Alles oder nichts: Der BVB, Lucien Favre und die Macht des Pokals

© Guido Kirchner

Alles oder nichts: Der BVB, Lucien Favre und die Macht des Pokals

rnBorussia Dortmund

Hinter Lucien Favre und Borussia Dortmund liegen zwei enttäuschende Pokalrunden. Dieses Jahr soll alles besser werden beim BVB. Und das muss es wohl auch. Über die Macht des Pokals.

Dortmund

, 12.09.2020, 17:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Eigentlich durfte dieser Moment durchaus als Erfolg bewertet werden, und doch wurde auffällig viel über den Misserfolg gesprochen. Mats Hummels tat es, Hans-Joachim Watzke ebenfalls, auch Michael Zorc konnte und wollte ihn nicht verschweigen. „Wenn wir in zwei Wochen noch ein Endspiel in Berlin vor der Brust hätten, wäre die Stimmung jetzt sicherlich eine ganz andere“, sagte der BVB-Sportdirektor. „Unser letztes Finale ist jetzt drei Jahre her. Da müssen wir in der nächsten Saison ein besonderes Augenmerk drauf legen.“

Der BVB will in den Pokalwettbewerben besser abschneiden

Am 20. Juni war das, Zorcs Sätze sind knapp drei Monate alt. Borussia Dortmund hatte soeben 2:0 bei RB Leipzig gewonnen, sich in der Bundesliga erneut die Vizemeisterschaft gesichert und zumindest an diesem Samstagnachmittag beeindruckend gut Fußball gespielt. Wirklich zufrieden war trotzdem niemand. Hummels sagte, man müsse in der nächsten Spielzeit vor allem „in den Pokalwettbewerben besser abschneiden, das war diese Saison nämlich leider nichts“. Watzke wurde noch deutlicher. „Ganz wichtig ist, dass wir uns und unseren Erfolg nicht nur über die Bundesliga definieren“, erklärte der BVB-Boss, „ich wäre schon sehr gerne am 4. Juli nach Berlin gefahren. Dass wir zweimal so unnötig aus dem Pokal ausgeschieden sind, ärgert mich.“

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Damit war ausdrücklich der DFB-Pokal gemeint, in dem der BVB in den vergangenen zwei Jahren zweimal im Achtelfinale an Werder Bremen gescheitert war. Einmal war im Elfmeterschießen Schluss, das war im Februar 2019 (5:7 n.E.), einmal nach regulärer Spielzeit, das war im Februar 2020 (2:3). Borussia Dortmund, das war das Gefühl, das nach beiden Niederlagen überwog, hatte den wohl am einfachsten zu gewinnenden Titel leichtfertig hergeschenkt – und BVB-Trainer Lucien Favre musste damit leben, dass er sich vor beiden Pokal-Partien gegen Werder im Vergleich zum vorangegangenen Bundesliga-Spieltag jeweils für vier Veränderungen in seiner Anfangself entschieden hatte, die nur zum Teil mit Verletzungen begründbar waren, vor allem hatte er jeweils auf die Startelf-Nominierung seiner zum jeweiligen Zeitpunkt besten Torjäger verzichtet. 2019 saß Paco Alcacer zunächst nur auf der Bank, 2020 musste sich Erling Haaland mit der Joker-Rolle begnügen.

Lucien Favre geht in die dritte BVB-Saison: Viel Druck auf dem Pott

Der Rotationsplan ging, auch wenn man hinterher freilich immer schlauer ist als vorher, nicht auf. Und deswegen ist vor Favres dritter Saison in Dortmund sehr viel Druck auf dem Pott, der planmäßig am 22. Mai 2021 im Berliner Olympiastadion überreicht werden soll. Zwar schied der 62 Jahre alte Schweizer mit seiner Mannschaft auch in der Champions League gegen Tottenham Hotspur (2019, 0:3 und 0:1) sowie Paris Saint-Germain (2020, 2:1 und 0:2) in der Runde der letzten 16 Mannschaften aus, aber anders als die beiden Niederlagen gegen Werder, die in dieser doppelten Form intern als inakzeptabel angesehen werden, wird ein Ausscheiden gegen spätere Finalisten der Königsklasse beim BVB zwar als ärgerlich, aber auch als hinnehmbar eingestuft.

Die Zielsetzung im Verein ist daher einfach: Im Pokal darf nicht mehr verloren werden, das Finale in Berlin ist das glasklare Ziel. Einzig Los-Pech und ein Ausscheiden gegen Bayern München würden vermutlich als Entschuldigung dafür dienen, wenn der nationale Fußball-Saisonabschluss auch 2021 ohne Dortmunder Beteiligung gefeiert würde. Favre sollte und wird die Macht des Pokals nicht unterschätzen. Anders als im Vorjahr setzt er nach Informationen der Ruhr Nachrichten auch im DFB-Pokal im Tor auf Roman Bürki und nicht auf Marwin Hitz, die Nummer zwei beim BVB zwischen den Pfosten. Für Experimente und Belohnungen ist schlicht kein Platz mehr.

Borussia Dortmund kann mit dem DFB-Pokal viel Geld verdienen

Das liegt ein bisschen am Geld, denn auch im Pokal gibt es „nebenher ja auch viel Geld“ zu verdienen, wie Zorc betont. Für eine Finalteilnahme winken fast fünf Millionen Euro nur an Preisgeld. Vorwiegend liegt es aber daran, dass es im Pokal einen Titel zu gewinnen gibt – und darauf wartet Borussia Dortmund seit 2017, wenn man den DFL-Supercup einmal ausklammert, der vermutlich in etwa so viel wert ist wie der Fuji-Cup, der mal in den Achtzigern und Neunzigern vor der Saison ausgespielt wurde.

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Der DFB-Pokal jedenfalls besitzt einen ganz anderen Stellenwert. Er hat nicht nur seine eigenen Gesetze, er hat über die Jahre auch seine ganz eigene Magie entwickelt. Das Finale in Berlin ist für die Fans, wenn nicht gerade Helene Fischer in der Halbzeit auftritt, längst zu einem echten Höhepunkt im Fußballkalender geworden. Darüber hinaus ist der Pokal die letzte wirkliche sportliche Verbindung zwischen Amateurfußball und Profifußball. Er bietet von Anfang bis Ende Alles-oder-nichts-Spiele im K.o.-Modus, liefert also anders als eigentlich jeder andere Wettbewerb von Beginn an echte Spannung, symbolisiert noch Fußball in seiner ursprünglichen Form. Und er ist für jede deutsche Mannschaft außer Bayern München der nationale Titel, von dem man glaubt, dass man ihn tatsächlich gewinnen kann, weil mittlerweile jedes Schulkind ausrechnen kann, dass es leichter ist, die Bayern in maximal 120 Minuten plus Elfmeterschießen zu besiegen als über 34 mal 90 Minuten in der Bundesliga.

Lucien Favres Leistung beim BVB wird am Pokal festgemacht

Daher überrascht es nicht wirklich, wie groß der Schatten ist, den Lucien Favres bisheriges Abschneiden im DFB-Pokal mit dem BVB auf seine Amtszeit in Dortmund geworfen hat. 91 Pflichtspiele hat er mit Borussia Dortmund bestritten, 57 davon hat er gewonnen, nur 19 hat er verloren, doch an zwei Niederlagen gegen Werder Bremen wird sich trotzdem ganz besonders erinnert. Das ist vermutlich nicht fair, aber es ist in jedem Fall das Geschäft. Und fest steht: Sein 92. Pflichtspiel mit dem BVB, am Montagabend beim MSV Duisburg, darf Favre auf keinen Fall verlieren. Denn sonst brennt der Baum, schon bevor die neue Saison so richtig angefangen hat.