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Bietigheims Oberbürgermeister zeigt Verständnis für den Ärger des BVB

BVB-Handball-Frauen

Nach der Nicht-Vergabe des Meistertitels an die BVB-Frauen setzte sich Dortmunds OB Ullrich Sierau für die Handballerinnen ein. Jetzt äußert sich sein Kollege aus Bietigheim zu dem Thema.

Dortmund

, 04.05.2020, 11:00 Uhr / Lesedauer: 3 min
Nach Ullrich Sierau meldet sich nun auch Jürgen Kessing, Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen, im Titelstreit der HBF zu Wort.

Nach Ullrich Sierau meldet sich nun auch Jürgen Kessing, Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen, im Titelstreit der HBF zu Wort. © picture alliance/dpa

Der Ton wird rauer, der Ärger will nicht verstummen. Nachdem die Handball Bundesliga Frauen (HBF) durch ihren Chef Andreas Thiel nochmals den Entschluss bekräftigte, den BVB nach Abbruch der Saison nicht zum Meister zu küren, sprang Dortmunds OB Ullrich Sierau den BVB-Handballerinnen mit einem Offenen Brief zur Seite.

Seine Forderung, den BVB-Frauen den Titel doch noch zuzusprechen, sorgte für Aufsehen. Wir sprachen mit Sieraus Amtskollegen Jürgen Kessing, dem Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen und seit 2017 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Die SG BBM Bietigheim-Bissingen lag bei Abbruch der Saison einen Punkt hinter dem BVB auf Rang zwei.

Nach der Entscheidung der HBF, die Saison abzubrechen und keinen Meister zu küren, sind die Wellen der Entrüstung in Dortmund ja ziemlich hoch geschlagen. Selbst Dortmunds OB Ulrich Sierau initiierte einen Brief an die HBF mit dem Inhalt, den BVB-Frauen doch noch den Meistertitel zu verleihen. Er forderte ein Umdenken in der Meisterfrage. Wie stehen Sie dazu?

Ich kann beide Seiten verstehen. Natürlich ist es die erste und naheliegende Reaktion jedes Unterstützers und Fans einer Mannschaft, die gerade vorne liegt, in einer solchen Lage den Titel auch einzufordern. Andererseits ist es verständlich, dass die HBF die ungewöhnliche Entscheidung eines vorzeitigen Saisonendes nicht mit einer Titelkür ‚normalisieren‘ will. Es ist und bleibt eben eine außergewöhnliche Saison.

Wie ist die Stimmung in Bietigheim, wie wurde dort die Entscheidung aufgenommen, keinen Meister zu küren?

In Bietigheim-Bissingen ist naturgemäß das Verständnis für ein Saisonende ohne Titel größer als in Dortmund, denn man hat ja noch keinen Titel gewonnen geglaubt. Vielleicht hätte ich im umgekehrten Fall ähnlich reagiert.

Die Liste, die diesen Brief unterschrieben hat, wird immer länger. Unter anderen gehört auch Kiels OB Ulf Kämpfer dazu. Würden Sie auch unterschreiben?

Ich habe nicht unterschrieben, weil ich tatsächlich der Meinung bin, dass angesichts der besonderen Verhältnisse ein ‚unsportliches‘ Ende die Situation am besten widerspiegelt. Es ist eben gerade kein sportlich adäquates Ende möglich gewesen. Dazu hätte man spielen müssen.

Ihr Amtskollege Sierau sprach von Fairness und Sportsgeist und empörte sich über fadenscheinige Begründungen. Können Sie das nachvollziehen?

Wie bereits erwähnt, verstehe ich den Ärger des Fans seiner Mannschaft. Aber Sportgeist ist bei einem solchen Saisonabbruch ohnehin nicht mehr gegeben. Das Sportlerherz blutet gerade, ganz egal, wie die Saison gewertet wird.

Dortmund OB Ullrich Sierau (3.v.r.), hier mit BVB-Präsident Reinhard Rauball (3.v.l.), hatte sich mit klaren Worten an HBF-Chef Andreas Thiel gewandt.

Dortmund OB Ullrich Sierau (3.v.r.), hier mit BVB-Präsident Reinhard Rauball (3.v.l.), hatte sich mit klaren Worten an HBF-Chef Andreas Thiel gewandt. © Ludewig

Was hätte man anders machen können, um diesen Streit nicht so eskalieren zu lassen? Man hat das Gefühl, der Schaden, der damit angerichtet wurde, ist größer als gedacht.

Ich glaube nicht, dass der Schaden wirklich so groß ist. Aber eine vorherige Diskussion mit allen Beteiligten hätte vielleicht etwas Verständnis wecken können. Vielleicht wäre es auch klug gewesen, bei den Männern den Titel nicht zu vergeben.

Was bei den Männern geht, ging bei den Frauen nicht. Die Männer haben 77 Prozent der Bundesliga-Spiele absolviert, die Frauen 70 Prozent. Das war eine der Begründungen, keinen Meister auszusprechen. Können Sie das nachvollziehen?

Die Frage, wie viel Prozent der Spiele absolviert wurde, halte ich nicht für entscheidend. Vielmehr zeigten die eng beieinander liegenden Teams, dass es eine ausgewogene Spitzengruppe gibt und die Meisterschaft eben tatsächlich nur dann echt gewesen wäre, wenn sie ausgespielt worden wäre.

HBF-Chef Andreas Thiel steht hinter der Entscheidung, auch deshalb, da sowohl der BVB und als auch Bietigheim noch aus eigener Kraft hätten Meister werden können. Zudem habe er in den Vorgaben des Verbandes nirgendwo gelesen, dass er einen Meister benennen müsse.

Natürlich kann eine Saison unter solchen Bedingungen auch ohne Titelvergabe enden, das trägt den besonderen Bedingungen Rechnung. Es ist eben kein sportliches Ende möglich gewesen.

Bietigheims Geschäftsführer Torsten Nick hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen, keinen Meister zu küren. Auch, weil der BVB nur ein Punkt Vorsprung hat und das Rückspiel noch aussteht. Das stimmt natürlich. Aber das Hinspiel hat der BVB klar gewonnen. Können Sie nachvollziehen, warum die Fronten so verhärtet sind?

Verhärtet würde ich es nicht nennen. Jedes Team sieht zuerst seine Stärken und Hoffnungen. Das ist im Sport naturgemäß so. Aber klar ist auch: eine Garantie ein Rückspiel zu gewinnen, gibt es auch nicht.

Ist solch eine Entscheidung zum Wohle des Frauenhandballs? Die Liga hat keinen aktuellen Meister, damit ein Zugpferd weniger in der kommenden Saison.

Ein Meistertitel ist nicht immer ein Zugpferd – nur, wenn er echt erspielt wurde. Das ging hier nicht und deshalb sehe ich auch keine großen Verluste. Erstaunlich ist für mich, dass über den Frauenhandball jetzt mehr gesprochen und diskutiert wird als in einer normal verlaufenden Saison. Der Grad der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung scheint im Moment deutlich höher.

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