
Gut vier Meter tief haben die Experten an der Absturzstelle gegraben. Ein Kampfflugzeug von der Royal Airforce, das noch Munition an Bord hat, soll freigelegt werden. © Martin Borck
Wo ist der Pilot? Spezialteam gräbt im Amtsvenn abgestürztes Kampfflugzeug aus
Zweiter Weltkrieg
Über 77 Jahre lang hat sie im Ackerboden in Enschede am Rande des Amtsvenns gelegen, die Maschine der britischen Royal Air Force (RAF). Nun wird das Kampfflugzeug ausgegraben.
Ein Spezialteam des niederländischen Verteidigungsministeriums ist im Amtsvenn im Einsatz, und zwar unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Es befindet sich noch Munition an Bord der Maschine der britischen Royal Air Force (RAF), die seit über 77 Jahren am Rande des Amtsvenns liegt. Das Kampfflugzeug wird ausgegraben.
„Vorsicht!“, warnt denn auch ein Militärangehöriger einen Besucher, der eine der großkalibrigen Patronen anfasst und nimmt sie ihm aus der Hand. „Das ist immer noch Munition!“ Kürzlich präsentierten die Fachleute in einem Zelt an der Absturzstelle die ersten Funde, die sie aus dem Boden geholt haben: eines der Geschütze, einen verbeulten Brennstofftank, Munitionsmagazine, Überreste der Bereifung.
Die Fundstelle auf dem Acker am Lappenpad in Enschede, ein paar Hundert Meter vor der Grenze, gleicht einer archäologischen Ausgrabungsstelle. Schichtweise wird der Boden abgetragen. An der tiefsten Stelle sind die Fachleute bereits über vier Meter vorgedrungen.
Das Cockpit und der Motor dürften sich in einem Bereich befinden, der als nächstes an die Reihe kommt. „Wenn sich ein Motor in den Grund bohrt, dreht er sich ja und pflügt sich unter Umständen ein ganzes Stück unterirdisch weiter“, sagt einer der Fachleute.
Die Experten gehen sehr sorgfältig vor. Alles, was einen Durchmesser größer als acht Millimeter hat, wird extra unter die Lupe genommen und daraufhin untersucht, ob es zu dem Wrack gehören könnte.
Metalldetektor eines Schatzsuchers hatte ausgeschlagen
Aber wie ist man überhaupt darauf gekommen, gerade hier zu graben? „Dass in der Umgebung ein Flugzeugwrack liegen musste, war bekannt“, sagt Stabsoffizier Hubert Schuncken vom Bergungsteam des niederländischen Verteidigungsministeriums. Vor rund zwei Jahren hatte der Metalldetektor eines Schatzsuchers an der Stelle ausgeschlagen. Erste Sondierungen wiesen darauf hin, dass es sich um diese Maschine handeln musste.
Rückblick: Im März 1945 war der Zweite Weltkrieg fast zu Ende. Die alliierten Truppen stießen auch bei Enschede Richtung Grenze vor, und die Deutschen zogen sich langsam aus den Niederlanden zurück. Trotz der ausweglosen Situation kam es auch Ende März noch zu Gefechten, auch im bewaldeten Gebiet im Amtsvenn, heißt es in einem Bericht der Stadt Enschede, die Auftraggeberin der Ausgrabung ist.
Um diesen Widerstand zu brechen, setzten die Alliierten auf Unterstützung aus der Luft. Mehrere RAF-Maschinen starteten auf dem Flughafen in Helmond, um die deutschen Besatzer im Osten von Enschede unter Beschuss zu nehmen. Am 31. März stiegen acht Flugzeuge auf, um die deutschen Linien um Enschede unter Feuer zu nehmen. Zwei der Maschinen wurden dabei von der deutschen Flugabwehr getroffen. Einer der Piloten musste seine getroffene Maschine notlanden.

Eines der aus dem abgestürzten Gefechtsflugzeug geborgenen Geschütze. Er war an einem Flügel der Hawker Typhoon befestigt. © Martin Borck
Er überlebte wie durch ein Wunder und kehrte zu seinem Bataillon zurück. Der andere Pilot, Sergeant Derek Carter, hatte weniger Glück: Seine Hawker Typhoon wurde in Brand geschossen, der Pilot katapultierte sich aus der Maschine – doch sein Fallschirm öffnete sich nicht und er stürzte in der Nähe der Stelle zu Boden, wo sich die Maschine in den Boden gebohrt hatte.
Diese Version der Ereignisse ist die wahrscheinlichste – doch es ist unklar, wo die Leiche des Piloten geblieben ist. Ein paar Hundert Meter entfernt von der Maschine wurden damals die sterblichen Überreste eines Mannes gefunden, die einige Tage später von Bürgern aus Glanerbrug abgeholt wurden. Zeugen, die damals noch Kinder waren, erinnern sich, dass die Männer eine – offenbar bis auf die Unterwäsche geplünderte – Leiche geborgen, mit einer Schubkarre in den Ort geholt und aufgebahrt hatten.
Wo der Leichnam danach blieb, ist allerdings ungeklärt. Möglicherweise haben englische Soldaten ihn mitgenommen und bestattet. Auf dem Friedhof Oosterbegraafplaats in Enschede befindet sich das Grab eines unbekannten Soldaten. DNA-Untersuchungen könnten Aufschluss geben – doch das britische Militär untersagt es, das Grab zu öffnen. Offiziell gilt der Pilot immer noch als verschollen.
Möglicherweise war der geborgene Leichnam aber auch nicht der des Piloten. Theoretisch könnte es also sein, dass die Leiche des Piloten sich noch in dem Flugzeug befindet. „Allerdings ist das sehr unwahrscheinlich“, so Schuncken. Falls aber doch menschliche Überreste entdeckt werden sollten, werden sie von Forensikern der niederländischen Armee untersucht werden.
Aktion auch eine Ehrbezeugung an den Piloten
Für den Enscheder Beigeordneten Marc Teutelink ist die Aktion auch eine Ehrbezeugung an den Piloten, der für die Freiheit der Niederländer kämpfte. „Wir müssen uns auch heute noch ständig bewusst machen, dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist“, sagte er am Donnerstag vor geladenen Gästen und Medienvertretern an der Absturzstelle.
Enschede hatte stark unter Luftangriffen gelitten – häufig auch von alliierten Bombern, deren Besatzung der irrigen Ansicht war, eine deutsche Stadt zu bombardieren. Fast 350 Angriffe wurden verzeichnet, es gab 360 Tote, 1.300 Häuser wurden verwüstet, 11.000 beschädigt.
Die historischen Hintergründe anhand des konkreten Bergungsprojekts zu vermitteln, ist Aufgabe der Stiftung Erfgoed Luchtoorlog Nederland. Projektleiter Johan de Noord: „Wir haben extra Unterrichtsmaterial für Lehrpersonal und Schüler zusammengestellt.“
Darin wird die Geschichte des abgeschossenen Flugzeugs und des Piloten im historischen Kontext des Zweiten Weltkriegs verortet. Mehrere Schulklassen aus Enschede haben bereits die Ausgrabungsstelle besucht – konkreter Geschichtsunterricht.