
Helm auf! Verkehrssicherheitsberater Jan Tonke von der Polizei im Kreis Borken tut alles, damit möglichst viele Pedelec-Fahrer mit Helm unterwegs sind. Im ersten Quartal 2022 gab es sechs tödliche Unfälle mit Pedelecs. Jedes Mal waren die Opfer an ihren schweren Kopfverletzungen gestorben. © Stephan Rape
Schwarzes Frühjahr: Polizei kann wenig gegen schlimme Pedelecunfälle tun
Verkehrstote
Sechs Pedelecfahrer sind in Ahaus und Umgebung im ersten Quartal tödlich verunglückt. Die Polizei ist alarmiert und besorgt. Doch die Beamten können nur relativ wenig tun.
Schwere Unfälle mit Pedelecs bereiten der Polizei gerade große Sorgen: Manfred Lütjann, Leiter der Polizeiwache Ahaus, hatte darüber im jüngsten Verkehrsausschuss berichtet. „Wir sprechen von einem schwarzen Frühjahr“, sagte er da. Im Jahr 2021 habe es im kompletten Kreis Borken 18 Verkehrstote gegeben. In den ersten drei Monaten 2022 seien es allein im Bereich der Ahauser Wache schon acht Verkehrstote gewesen. Sechs von ihnen im Zusammenhang mit Pedelecs.
„Wir haben keinen Anpacker. Es waren jeweils völlig unproblematische Verkehrsverhältnisse“, erklärte er. Beispielsweise sei einer der später Verstorbenen auf einem freien Wirtschaftsweg mit dem eigenen Vorderrad an das Hinterrad seiner Frau gestoßen – und dadurch gestürzt. Dabei zog er sich so schwere Kopfverletzungen zu, dass er wenig später im Krankenhaus verstarb.
Kaum einer hatte einen Helm auf dem Kopf
Bernhard Hackfort, CDU-Politiker und Polizist im Verkehrskommissariat, brachte es auf den Punkt: „Alle hatten schwere Kopfverletzungen, und fast alle hatten keinen Helm auf dem Kopf.“ Denn natürlich könne sich ein Rentner auf dem Pedelec längst nicht mehr so gut abfangen, wie ein Jugendlicher. Auch deswegen seien die Folgen eines Sturzes bei den Älteren meist viel größer.

Jan Tonke (l.) und Stefan Benölken sind als Verkehrssicherheitsberater im ganzen Kreis Borken unterwegs – nicht nur in Kindergärten und Grundschulen sondern auch bei Seniorengruppen. © Stephan Rape
Doch der fehlende Helm sei nicht das einzige Problem: Manfred Lütjann fand deutliche Worte: Seiner 85-jährigen Mutter habe verboten, Pedelec zu fahren. „Viele Ältere fahren Pedelec, weil ihnen Radfahren zu anstrengend geworden ist. Sie fangen damit aber nicht an, wenn sie noch fit sind, sondern steigen erst mit 80 um“, erklärte er weiter.
Und dann seien sie plötzlich wieder mit 25 Stundenkilometern auf dem Rad unterwegs. „Das ist dann einfach nicht beherrschbar“, machte Manfred Lütjann deutlich. Und ein Fehler auf dem Rad – egal ob mit oder ohne Motor – könne schnell schlimme Folgen haben. Weil Sicherheitssysteme und Knautschzone fehlen.
Polizei will mit Lehrgängen gegen Unfallzahl ansteuern
Die Polizei versucht, mit Lehrgängen gegenzusteuern. Die beiden Verkehrssicherheitsberater Jan Tonke und Stefan Benölken sind nicht nur in Kindergärten und Grundschulen unterwegs. Auch verschiedene Seniorengruppen wollen sie für Probleme sensibilisieren. Und dafür, einen Helm zu tragen.
Stefan Benölken wählt einen einprägsamen Vergleich: „Ein normales Mofa fährt 25 km/h. Da käme niemand auf die Idee, keinen Helm zu tragen.“ Genauso wenig, wie im Auto ohne Gurt zu fahren. Zwar gebe es keine Pflicht, auf dem Pedelec einen Helm zu tragen, dennoch sei es das einzig Sinnvolle, um schwere Verletzungen zu vermeiden. Doch auch wenn es die Helme schon seit Jahrzehnten und die Pedelecs immerhin seit vielen Jahren gebe, noch habe sich der Helm nicht richtig durchgesetzt. „Der Anteil der Helmträger steigt stetig“, sagt Jan Tonke.
Oft gehörte Ausreden statt Helm zu tragen
Doch noch würden sie bei ihren Schulungen immer wieder Ausreden hören, warum Radfahrer auf den Helm verzichten. „Jeder geht davon aus, dass er oder sie selbst schon in keinen Unfall verwickelt werden“, sagt Jan Tonke. Die Polizei setzt in diesen Schulungen auf Theorie und Praxis.

Die Einmündung der Ikemann- in die Wessumer Straße ist ein Unfallhäufungspunkt in Ahaus. Immer wieder kommen sich Rad- und Autofahrer dort in die Quere. Die Polizei rät dazu, defensiv zu fahren und immer mit Fehlern anderer Verkehrsteilnehmer zu rechnen. © Stephan Rape
An zwei Nachmittagen geht es erst um Verkehrsregeln, geänderte Anforderungen und die Sensibilisierung vor Gefahren. „Man muss immer mit dem Fehlverhalten anderer rechnen“, sagt Stefan Benölken. Am zweiten Nachmittag nehmen sich die beiden Polizisten dann die Zeit und machen sich mit den Gruppen auf den Weg in die nähere oder weitere Umgebung. Beispielsweise zu typischen Gefahrenstellen oder Unfallschwerpunkten.
Mit einer Gruppe aus Wessum hatten sie zuletzt besonders über die Einmündung der Ikemannstraße in die Wessumer Straße gesprochen. Einer von drei Unfallhäufungspunkten in Ahaus. Immer wieder übersehen dort Autofahrer den querenden Radverkehr. Es kommt zu leichten und schweren Unfällen. Aber auch das richtige Verhalten im Kreisverkehr sei für junge und ältere Radfahrer immer wieder Thema. „Das wiederholen wir gebetsmühlenartig“, sagt Jan Tonke.
Die beiden Verkehrssicherheitsberater würden sich zwei Dinge wünschen: eine Helmpflicht und eine verpflichtende Fahrerschulung für jeden, der auf das Pedelec umsteigt. Die Technik entwickle sich schneller als das Bewusstsein der Menschen: Mit einem Pedelec auf voller Leistung sei jeder Fahrer oder jede Fahrerin mit minimaler Kraftanstrengung sofort auf Tempo.
Sicherheitsschulungen im ganzen Kreisgebiet
- Die beiden Verkehrssicherheitsberater Jan Tonke und Stefan Benölken bieten für Gruppen kostenlose Sicherheitsschulungen im ganzen Kreis rund um das Thema Pedelec und Verkehr an.
- Interessierte können Termine vereinbaren unter Tel. (02861) 9006140
Stefan Benölken wählt noch einmal der Mofa-Vergleich: „Jeder 15-Jährige braucht eine Prüfbescheinigung, um Mofa zu fahren.“ Für ein Pedelec mit dem gleichen Tempo sei das keine Pflicht. „Das passt einfach nicht zusammen“, erklärt der Polizist. Je stärker die Zahl der Pedelecs steige, umso wichtiger werde die passende Schulung der Fahrer.
Schulungen kommen an und bringen erste Erfolge
Und sie berichten auch davon, dass die Schulung ankomme: Zum Theorieunterricht sei die Wessumer Gruppe beispielsweise noch fast komplett ohne Helm gekommen. „Zum Praxistag hatten dann alle einen Helm auf“, erzählt Jan Tonke. Nicht, weil die Polizisten ihnen Angst gemacht hätten. Sondern weil sie es ihnen offenbar bewusst geworden sei, welche Gefahr sie eingehen. Wie zum Beweis kommt gerade ein Pedelec-Fahrer aus der Gruppe an der Einmündung Ikemannstraße vorbei. Natürlich mit Helm. „Alles richtig so?!“, ruft er den Polizisten zu. Die recken nur den Daumen in die Luft.
Ursprünglich Münsteraner aber seit 2014 Wahl-Ahauser und hier zuhause. Ist gerne auch mal ungewöhnlich unterwegs und liebt den Blick hinter Kulissen oder normalerweise verschlossene Türen. Scheut keinen Konflikt, lässt sich aber mit guten Argumenten auch von einer anderen Meinung überzeugen.
