
© Johannes Schmittmann
Küchen-Test statt Restaurant-Check: Gegessen wird zu Hause...
Coronavirus
Die Lokale haben geschlossen oder auf Lieferservice umgestellt. Kein Grund, unseren wöchentlichen Check ausfallen zu lassen. Diesmal im Test: Die Kochkünste unseres Redakteurs.
Normalerweise hätte an dieser Stelle der Restaurant-Check des Wüllener Lokals Höstenpumpe gestanden. Doch was ist in diesen Tagen schon normal? Die „Höste“ hat den regulären Restaurantbetrieb aufgrund der Corona-Krise mittlerweile genauso pausiert wie alle anderen Gastronomen.
Bis zur Wiedereröffnung sind mehr denn je die eigenen Kochkünste gefragt. Also haben meine Freundin und ich uns gesagt: Starten wir den Selbsttest. Ein Drei-Gänge-Menü im Hause Schmittmann/Brinkmann unter den kritischen Augen von ebenjenen. Die Veröffentlichung unseres Testessens in Wüllen, das vor dem Start der akuten Corona-Krise stattgefunden hat, holen wir zu einem späteren Zeitpunkt nach, versprochen.
Das Ambiente
Selbst ohne Reservierung erhalten wir problemlos einen Platz direkt am Fenster. Ohne prahlen zu wollen, können wir uns wohl als Stammgäste bezeichnen. Man ist sofort per Du und fühlt sich fast wie zu Hause. Dazu trägt auch der unaufgeräumte Schreibtisch im Nebenraum bei.
Der Blick geht in Richtung Innenhof. Dass die Räumlichkeiten an der viel befahrenen Steinfurter Straße liegen, hört man zumindest an dieser Stelle der Lokalität nicht. Das Foto von venezianischen Gondeln an der Wand soll wohl ein Stück „la dolce vita“ transportieren. Fehlt nur noch „Italienische Sehnsucht“ von Oliver Frank, um den Fake perfekt zu machen. Aber was soll‘s. Bei Tripadvisor hat User „JohSch91“ fünf Sterne vergeben. Wird schon schmecken.
Die Speisekarte
Eine feste Speisekarte gibt es hier nach Auskunft der Hausherrin nicht. Es werde gegessen, „was auf den Tisch kommt“. Wer möchte, könne sich aber am üppig befüllten Bücherregal bedienen und sich ein Gericht aus einem der zahlreichen, offensichtlich wenig studierten, Kochbücher wünschen.
Von diesem Jamie Oliver hab ich schon mal was gehört - wusste aber gar nicht, dass er aus dem Süden kommt. Das macht mich neugierig, weshalb ich mir „Jamie kocht Italien - Aus dem Herzen der italienischen Küche“ greife. Pah, nicht mal Pizza Hawaii steht drin und beim Rezept „Spaghetti Carbonara“ wurde die Sahne vergessen. Aber gut, will ja nicht meckern, bevor der Abend angefangen hat.
Immerhin gibt es hier den guten Maybach Riesling, der augenscheinlich so lange gelagert wurde, dass er mittlerweile seinen Wert auf sechs Euro pro Flasche verdoppelt haben dürfte.
Die Vorspeise
Wer braucht schon Kant, wenn er Stromberg hat? Lebensweisheit Nummer 128, diesmal vorgetragen von Ulf Steinke, Schadensregulierung M-Z: „Manchmal denke ich mir: Heute nehme ich auf jeden Fall das Schnitzel. Dann nimmt aber ein anderer die Spaghetti. Nachher denke ich, dass die Spaghetti auf jeden Fall viel besser gewesen wären und das Schnitzel heute laff schmeckt. Dabei ist das Schnitzel völlig okay.“
Vor einem ähnlichen Dilemma stehen häufig meine Freundin und ich, wenn es um die Bestellung von Speisen geht. Geht man auf Nummer sicher und bestellt „wie immer“ (Lieblingsbestellung von selbst ernannten Stammgästen) oder wagt man mal etwas? Und dann kommt ja noch die zweite Hürde: Weicht man von der Bestellung des Partners ab und riskiert den Glücksgriff des anderen, während man selbst in versalzenen Antipasti herumstochert?
Dieser Abend soll harmonisch werden. Also gibt es zweimal „Bruschetta Pomodoro e Ricotta“. Die offene Küche hat den Vorteil, dass man der Köchin direkt über die Schulter schauen kann. Nachteil: Als Spion wird man direkt zum Schnibbeln verdonnert.

Für das Bruschetta mit Ricotta und Kirschtomaten braucht es gar nicht viel. © Johannes Schmittmann
Also werden Knoblauch und Kräuter gehackt, die anschließend über die Kirschtomaten verteilt werden. Salzen, pfeffern, reichlich Olivenöl und ab in den Ofen. In der Zwischenzeit wird das Sauerteigbrot geröstet und der frische Mozzarella mit dem Ricotta vermischt. Wenn alles fertig ist, kann die Stulle belegt werden. Etwas Basilikum für die Farbe, fertig. Schmeckt fast so gut wie mit Leberwurst. Muss man zugeben.

Schmeckte ordentlich: Bruschetta mit Ricotta und Tomaten. © Johannes Schmittmann
Die Hauptspeise
Pizza gibt es hier gar nicht, das ist natürlich eine herbe Enttäuschung für jeden echten Gardasee-Touristen. Aber immerhin wird hier Deutsch gesprochen. „Was ist denn nah dran am Wiener Schnitzel?“, frage ich. Empfohlen wird mir „Saltimbocca“, was laut Google-Übersetzer so viel heißt wie „Spring in den Mund“. Ja, dann mal hurtig, Herr Ober.

Wiener Schnitzel gab es zwar nicht, stattdessen Saltimbocca. © Johannes Schmittmann
Aber wenn man es nicht selber macht... Also zurück in die Küche: Kalbsschnitzel klopfen, Parmaschinken, frischer Salbei, etwas Mehl und ab in die Pfanne. Parallel wird etwas zubereitet, was für mich aussieht wie unreifer Spargel mit schlecht gewordener Sauce Hollandaise. Wird uns aber als „Asparagi alla Parmigiana“ verkauft. An der Präsentation muss der Küchenchef noch feilen, ansonsten eine echte Alternative, wenn sich die gehamsterten Dosenravioli dem Ende zuneigen.

An der Anrichtung muss noch gefeilt werden, geschmacklich war das Saltimbocca mit gratiniertem Spargel aber in Ordnung. © Johannes Schmittmann
Das Dessert
Dass es hier keine Herrencreme gibt, überrascht mich nach dem Verlauf des Abends nicht mehr. Mein Gegenüber beschwichtigt mich aber mit den Worten: „Das Semifreddo schmeckt nach Milchreis.“ Zumindest ein bisschen wie bei Muttern.

Kein Augenschmaus, aber lecker: Risotto Semifreddo mit karamellisierten Feigen. © Johannes Schmittmann
Auch hierbei schaue ich genau hin, um meinen kulinarischen Horizont zu erweitern: Milch wird zusammen mit Vanilleschote, Lorbeerblatt, Orangenschale und Zimtstange erhitzt, dann Risottoreis untergerührt. Das Ganze wird mit getrennten Eiern und Zucker vermengt und für sechs Stunden gekühlt.
Statt der Kirsche auf der Sahnehaube, gibt es karamellisierte Feigen, die laut Rezept mit Zucker, Marsala-Likör, frischem Orangensaft, Vanillemark und einem Lorbeerblatt in der Pfanne geschwenkt werden. Der Outlaw in mir lässt den Marsala aber einfach weg und nimmt stattdessen Amaretto.
Optisch erinnert das Dessert zwar an das Selbstporträt eines Kindergartenkindes, aber geschmacklich ist es wirklich nicht schlecht. Schade, dass man den Laden nicht weiterempfehlen kann. Gerüchte besagen, die Betreiber zieht es schon zeitnah in Richtung Westmünsterland.
Das Fazit
“Man nehme den Wein und schütte ihn in den Koch“ steht auf einem Foto direkt am Eingang. Da darf man dann die Erwartungen wohl nicht zu hoch schrauben. In Zeiten der Corona-Krise ist man aber froh, wenn man sich nicht nur vom gebunkerten Klopapier ernähren muss.
Das Preis-Leistungs-Verhältnis
Dafür, dass man ziemlich viel selbst machen musste, sind 40 Euro recht happig. Allerdings garantieren die Gastgeber, dass hier alles zum Einkaufspreis angeboten wird.
Kinderfreundlichkeit
Die Playstation 4 neben dem Esstisch ist zwar gewöhnungsbedürftig, kann aber Eltern mit Söhnen zwischen sieben und 15 Jahren einen ruhigen Abend garantieren. Der Laubengang, der zur Wohnung führt, ist hingegen nur mit einem Geländer gesichert. Da besteht Verbesserungsbedarf.
Barrierefreiheit
Schmales Treppenhaus, Stufe am Eingang, quietschendes Laminat: Rollstuhlfahrer sollten um dieses Lokal einen großen Bogen machen.
Das sagt das Netz
„Haha, gab zwar keinen Nachtisch, dafür sechs Flaschen Wein“, schrieben Annika S. und Birte K. im Jahr 2016. Sie waren Teilnehmerinnen am „Running Dinner“, wo verschiedene Haushalte in ihre Küche einladen.
1991 in Ahaus geboren, in Münster studiert, seit April 2016 bei Lensing Media. Mag es, Menschen in den Fokus zu rücken, die sonst im Verborgenen agieren.
