
© Markus Gehring
Jochen Meyer aus Ahaus hat das Internet mitgeprägt
Mediabeam
Jochen Meyer gründete Mediabeam 1999, als das Internet noch jung war und voller fantastischer, innovativer Möglichkeiten steckte. Er und seine Mitarbeiter haben das Internet mitgeprägt.
Diese Zeiten muss man sich heute, 21 Jahre später, mal vorstellen: es gab kein Smartphone, viele hatten noch nicht einmal ein Handy. Der Internetzugang erfolgte über ratternde Modems, die – wenn man online war – den Rest der Familie vom Telefonieren abhielten.
Damals, 1999, war Jochen Meyer Mitgründer des Ahauser Unternehmens Mediabeam, heute ist er als einziger Gründer noch immer dessen Geschäftsführer. Der 51-Jährige erinnert sich im Gespräch mit unserer Redaktion an die Anfänge der Digitalisierung in Ahaus.
Bestellvorgang programmiert
Jochen Meyer, studierter Informatiker, war fünf Jahre lang – von 1993 bis 1998 – verantwortlich für das Technical Engineering bei Tobit in Ahaus und danach im Bereich Internet-Marketing bei Maxdata tätig.
Das Unternehmen produzierte Ende der 90er-Jahre unter anderem Belinea-Monitore.
Jochen Meyer: „So wie man heute Autos zusammenstellen kann, so konnten bei Maxdata Computer aus Einzelkomponenten zusammengestellt werden.“ Diesen Bestellvorgang über das Internet programmierte er federführend gemeinsam mit dem Ahauser Unternehmen Amexus.
Bei den morgendlichen Fahrten zum Job nach Marl kam Jochen Meyer gemeinsam mit seinem damaligen Arbeitskollegen Frank Beckert die Idee, sich selbstständig zu machen. Ende 1998 war das Produkt online: ein E-Mail-Dienst mit Fax, SMS, Kalender, Kontakten und mehr. Dann stieß Heinz Walfort als Dritter dazu und am 10. September 1999 war Mediabeam geboren.
„Nur wenige Internetseiten“
Jochen Meyer war für Technik und Betrieb verantwortlich, Frank Beckert (heute Intradus) für Vertrieb und Marketing, Heinz Walfort (heute Mediahaus) für die Finanzen und Strukturen. Es war eine wilde Zeit, denn das kommerzielle Internet war noch jung. „Es gab nur wenige Internetseiten.“ Das Wort „Copyright“ galt im Internet noch nicht.
Wenige Wochen nach dem Start der „Directbox“ von Mediabeam ging auch „Web.de-Freemail“ an den Start. „Eine exakte Kopie unseres Produkts“, erinnert sich Jochen Meyer. Web.de sei zu der Zeit eine Art Internet-Archiv gewesen, erinnert sich der Ahauser. „Eine Adressensammlung. Aber sie fanden das Thema E-Mail wohl hoch spannend.“
Kritik an Geldinstituten
Mediabeam, das zu diesem Zeitpunkt ungefähr 100.000 registrierte Benutzer hatte, finanzierte sich aus Eigenmitteln. Eine Entscheidung, die zu New-Economy-Zeiten recht ungewöhnlich war.
In den Jahren nach der Mediabeam-Gründung wurden einige Internetfirmen richtig groß, allen voran GMX und Web.de. „Deren Gründer wussten, wie man durch eine gute Story schnell an Geld herankommt.“
Viele andere Internet-Startups hingegen mussten Insolvenz anmelden. Ein Grund dafür sei damals wie heute mangelnde Weitsicht der deutschen Geldinstitute, sagt Jochen Meyer. „Hochriskante Geschäftsmodelle kann man hierzulande mit den klassischen Banken nicht machen, weil niemand bereit ist, darin zu investieren.“
Das Problem: „Deutsche Geldinstitute sind heute immer noch nicht in der Lage, Software als Wert anzusehen.“ Eine Maschine, ein Grundstück, ein Haus – das habe für eine Bank einen Wert. „Aber keine Software.“
Wunschdenken
Es sei für Unternehmen schwierig, Anlaufkredite zu bekommen, ohne dass die Bank sage, der Chef müsse das volle Risiko tragen. „Wenn wir in Deutschland weiterkommen wollen, dann muss sich das Thema Unternehmertum und Risikobereitschaft komplett ändern“, sagt der 51-Jährige. „Wenn die Politik sagt, das nächste Facebook muss aus Deutschland kommen, dann ist das Wunschdenken. Das wird so nicht funktionieren. Wir sind ein Land der Bedenkenträger.“
Kooperationen
Trotz aller Bedenken der Banken – Mediabeam wuchs weiter, vor allem über Kooperationen - die erste wichtige war mit Ebay. Die Ahauser Firma bot unter „Telefonbieten.de“ einen Dienst an, bei dem man per Festnetztelefon an Auktionen teilnehmen konnte. Man wurde angerufen und konnte per Tastentelefon mitbieten.
Später bot MediaBeam als Ebay-Dienstleister dynamische Werbebanner an. Der Inhalt richtete sich nach dem Inhalt der Webseite. Stand auf der Seite ein Kochrezept, wurden zum Beispiel hochwertige Salzstreuer angeboten.
Ging es um Autos, zeigte das Banner passende Felgen an. Heute sind diese Banner allgegenwärtig, damals waren sie neu. MediaBeam meldete sie mit einem Partner zum weltweiten Patent an. Das Unternehmen hat das Angebot bis heute im Portfolio, unter anderem für Kunden wie Autoscout24.
Schneechaos 2005
Dabei hätte die Erfolgsgeschichte im münsterländischen Schneechaos 2005 fast ihr Ende gefunden. Im damaligen Rechenzentrum an der Parallelstraße überhitzten die Server. Jochen Meyer erinnert sich. „Es war der 25. November, der Tag des Sportlerballs in Ahaus.“
Es schneite und am nächsten Morgen gegen 6 Uhr bemerkte er 30 SMS vom gleichen Absender auf seinem Handy: die automatische Temperaturüberwachung meldete sich. Kurz zuvor hatten sich zwei autark voneinander laufende Klima-Anlagen verabschiedet.

Jede Menge Rechenleistung: Server von MediaBeam. © Markus Gehring
Die Außengeräte waren vom Schnee so eingehüllt, dass sie die Wärme nicht mehr loswurden, die Klima-Anlagen schalteten ab. Allerdings gab es im Rechenzentrum selbst keine Temperatur-Notabschaltung.
Die Server liefen weiter, aber es gab keine Möglichkeit mehr, die Abwärme loszuwerden. Im abgekapselten Serverraum herrschten Temperaturen um die 80 Grad Celsius.
Jochen Meyer: „Im Inneren der Rechner waren es sogar 96 Grad. Wir konnten die Temperaturen später auslesen.“ Im Serverraum stank es bestialisch nach verbranntem Plastik. „Ich musste erst mal Handschuhe suchen. Die Server hatten Taster aus Metall, die waren ziemlich heiß.“
Jochen Meyer schaltete alle Server aus und versammelte seine Mitarbeiter um sich, um sie über den Ernst der Lage zu informieren. Würden die Rechner wieder hochfahren – oder wäre das Geschäftsmodell sprichwörtlich verbrannt?
Server hochgefahren
Jochen Meyer fuhr den ersten Server hoch. „Es machte Piep und er lief. Ich gerate heute noch in Begeisterung, wenn ich an diesen Moment denke.“ Ein Server nach dem anderen ging in Betrieb.
Sämtliche Daten und Rechner konnten gerettet werden. Einer der Gründe, dass es Mediabeam noch heute gibt und das Unternehmen heute so etwas ist wie „der größte E-Mail-Provider, den keiner kennt“.

Telekommunikationsgeräte, die heute schon wie aus einer anderen (Technik)Zeit scheinen. © Markus Gehring
Weltweit sei Google der größte E-Mail-Anbieter, „aber der deutschsprachige Raum hat eine Sonderrolle“, erklärt Jochen Meyer. „Die Deutschen wollen in der Regel lieber eine E-Mail-Adresse von einem deutschen Anbieter. „1&1“ sei mit den Marken GMX und Web.de und etwa 40 Millionen aktiven E-Mail-Konten der größte Anbieter, gefolgt von T-Online mit etwa zehn Millionen Konten.
„Dann gibt es viele weitere mit etwa einer Million Konten“, sagt Jochen Meyer. Ab Ende 2020 wird sich Mediabeam von diesem Mittelfeld absetzen und zu den fünf größten E-Mail-Anbietern Deutschlands gehören. Eine Kooperation mit Vodafone Deutschland macht es möglich.
Rechenzentrum gebaut
Kapazitäten für diese Dienstleistungen hält Mediabeam in Ahaus vor. 2016 ließ Jochen Meyer ein Rechenzentrum in einem Ahauser Industriegebiet bauen.
„Aber wenn Sie mich heute fragen, ob ich noch mal eins bauen würde, dann wäre die Antwort „Nein“, sagt er. „Ich bin aber froh, dass wir es haben.“
Jochen Meyer erklärt die Gründe dieser Kehrtwende um 180 Grad. „In den vier Jahren seit 2016 ist etwas passiert, das uns weiter begleiten wird. Damals wollten Unternehmen Daten in Rechenzentren, die nah am eigenen Schornstein sind. Heute reden wir über die großen fünf Cloud-Provider: Amazon, IBM, Google, Microsoft und Alibaba.“
Diese Global Player würden ein weltweites Netz von Rechenzentren betreiben. „Wenn Sie deren Dienste über das Internet buchen, stehen sie ultimativ zur Verfügung.“
Entwicklungen, die sich vor wenigen Jahren noch nicht in dieser Deutlichkeit abzeichneten. Was die nächsten Jahre bringen? Jochen Meyer wird mit seinen 22 Mitarbeitern an der Erhardstraße in Ahaus weiter an der Digitalisierung für Telekommunikationsanbieter und andere Unternehmen arbeiten – und das Internet weiter mitprägen.
Christian Bödding, Jahrgang 1966, ist bekennender Westfale, aber kein Sturkopf. Er schreibt gerne tiefgründig und am liebsten über lokale Themen, über die sich andere nach der Lektüre seiner Texte aufregen.
