Vor genau einem Jahr hat Russland die Ukraine überfallen. Am 24. Februar 2022 brach damit mitten in Europa ein Krieg aus.
Olena Yaresko kam gut vier Wochen später nach Wessum. Sie stammt aus Tschernihiw, einer Millionenstadt im Grenzdreieck zwischen der Ukraine, Belarus und Russland. Und eines der ersten Ziele der russischen Armee. „Der erste Angriff war gewaltig“, sagt sie. Doch die Verteidigung habe gehalten.
Natalia Gensler (42) übersetzt. Sie stammt aus Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine, lebt aber schon seit 1998 in Deutschland und unterstützt viele der inzwischen über 600 Flüchtlinge in Ahaus und den Ortsteilen. Man halte zusammen, sei über Telegram-Gruppen vernetzt, organisiere Treffen.
Mit ihrer Familie sei Olena Yaresko von Keller zu Keller gerannt. Als an einem Tag fünf Bomben auf das Nachbarhaus fielen, war das für sie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
„Ich musste meinen Sohn in Sicherheit bringen“, sagt sie. Der kleine Hordii ist sechs Jahre alt, besucht in Wessum den Kindergarten. Demnächst soll er in die Schule gehen. Ob in Ahaus oder der ukrainischen Heimat? Olena Yaresko mag die Frage nicht beantworten. Sie würde sofort zurück in die Ukraine gehen. „Aber es ist einfach nicht sicher“, sagt sie.

Ihr älterer Sohn Bogdan (18) ist in der Ukraine geblieben. Sie zeigt Fotos von ihm: mit Sturmgewehr und in Uniform. „Er kämpft gegen die Russen“, sagt sie und starrt für einen Moment auf das Handy in ihrer Hand. Wo er gerade ist, wie es ihm geht? Genau weiß sie es nicht. Schon um die Verteidigung nicht zu gefährden, gibt er keine Details preis. Zu viele Informationen seien schon durchgesickert.
„Wir schreiben oder telefonieren kurz“, sagt sie. Viel mehr als ein Lebenszeichen oder der kurze Satz, dass alles in Ordnung ist, sei nicht möglich. Mehr verrate er wohl auch nicht, um sie nicht zu beunruhigen. Aber natürlich mache sie sich Sorgen. Als sie flüchtete, hätte Bogdan sogar noch mit nach Deutschland kommen können. „Er war ja erst 17“, sagt sie. Doch er habe bleiben wollen. Sie konnte ihn nicht überreden.
Wessum ist Zuhause geworden
Ein halbes Jahr habe sie mit Hordii gebraucht, um anzukommen. Sie sei unendlich dankbar für die Hilfe und Unterstützung, die sie hier erhalten habe. Auch ihr Sohn öffne sich langsam. Immer noch sei er aber gerade bei Fremden sehr zurückhaltend. „Ich finde es schon erschreckend, dass ich mich hier zu Hause fühle“, sagt sie lächelnd. Schließlich habe sie wie Millionen Menschen in der Ukraine glücklich und in Frieden gelebt. War Verkäuferin bei einem Juwelier in Tschernihiw.
Am Anfang des Krieges habe sie noch jeden Tag damit gerechnet, dass am nächsten Tag plötzlich wieder Friede herrschen würde. Diese Hoffnung ist verflogen. „Wir müssen einfach abwarten, bis es aufhört“, sagt sie. Wie und wann das passieren soll, mag sie nicht abschätzen. „Wir sind stark. Wir verteidigen unser Land. Aber wir brauchen auch Hilfe“, sagt sie.
Keine Hoffnung auf schnellen Frieden
Keine Hoffnung auf ein schnelles Kriegsende macht sich auch Julia Rudde. Die 43-jährige Hebamme aus Ahaus, hatte unserer Redaktion bei Ausbruch des Krieges von ihrer Familie in Charkiw im Osten der Ukraine erzählt. Auch sie wirkt resigniert: „Der Krieg wird noch lange dauern“, sagt sie.
So traurig es sei: „Man versucht einfach, weiterzuleben“, erklärt sie. Ihre Mutter beispielsweise, eine Ärztin von weit über 60 Jahren, weigere sich, aus Charkiw zu fliehen. „Sie will vor Ort helfen“, sagt Julia Rudde, die seit sechs Jahren in Ahaus lebt und im Bocholter Krankenhaus arbeitet. Ihre Mutter wolle vor Ort helfen. „Sie weiß inzwischen, wann die Bomben fallen“, erklärt sie. Den Weg zur Arbeit und zurück nach Hause passe sie ganz einfach an die regelmäßigen Bombardements an. „Man gewöhnt sich eben einfach an den Krieg“, sagt sie. Auch daran, dass alles, was repariert und wieder aufgebaut wird, direkt wieder beschossen und zerstört werde.
Friedensgebet am Mahner
Gemeinsam mit anderen Menschen aus der Ukraine, den beiden Kirchengemeinden, dem Polizeichor Hamaland und der städtischen Kapelle Ahaus gestalten sie am Freitagabend (24. Februar) ab 17 Uhr ein ökumenisches Friedensgebet am Mahner. „Ursprünglich war das nur für Ukrainer gedacht“, sagt Natalia Gensler. Zum Gedenken an die gefallenen Soldaten und die vielen Zivilisten und Kinder, die ums Leben gekommen sind. „Die im Krieg umgebracht wurden“, sagt sie. Die Erinnerung an jeden müsse wach gehalten werden.
Die Veranstaltung genau ein Jahr nach Kriegsausbruch sei schon lange in Planung. Habe sich dann aber irgendwann verselbstständigt und sei immer größer geworden. Allein 100 Flüchtlinge aus der Ukraine hätten sich inzwischen fest angemeldet. Dazu kämen die anderen Organisationen. „Dass es so groß wird, hatte ich überhaupt nicht erwartet“, sagt sie. Das mache ihr direkt etwas Angst, fügt sie lächelnd hinzu. Aber es werde schon alles klappen.
Milde Strafe: 32-Jähriger missbrauchte in Ahaus Tochter seiner Lebensgefährtin
Eintopf und Liebe: Threse und Heinz Arira müssen dem Wochenmarkt Adieu sagen
Prioritätenliste: Stadt Ahaus will Baumaßnahmen ab sofort nach Notwendigkeit staffeln