Familie Cohen aus Ahaus wurde in den Kriegswirren auseinandergerissen
Serie
In unserer neuen Serie beleuchten wir in loser Reihenfolge die Schicksale von jüdischen Familien in Ahaus. Diesmal geht es um den Ahauser Geschäftsmann Moritz Cohen und dessen Familie.

Marga Cohen (sitzend, 1.v.r.) ging 1937 auf die Höhere Töchterschule im Canisiusstift. © Archiv
Heute sei an die jüdische Familie von Moritz Cohen und seiner Frau Gertrud erinnert, die vor 85 Jahren am 8. Februar 1937 im Alter von 38 Jahren verstarb. Gertrud Cohen erhielt den letzten von 57 Grabsteinen auf dem Jüdischen Friedhof in Ahaus.
Ihr Mann Moritz Cohen, geboren im Jahr 1878, hatte noch zu Beginn der 1930er-Jahre an der Hochstraße 2 (heute Parkplatz Wallstraße) ein Wohn- und Geschäftshaus gebaut, in dem Damenhüte und Textilwaren verkauft wurden.
Sein älterer Bruder Julius Cohen verstarb 1929. Seit dieser Zeit führte er gemeinsam mit seiner verwitweten Schwägerin Emilie Cohen bis ins Jahr 1935 auch deren Bekleidungshaus an der Wüllener Straße weiter. Moritz Cohen stammte aus einer seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Ahaus ansässigen jüdischen Familie, von der heute zehn Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof künden.

Moritz Cohen © Archiv
Anfang der 1920er-Jahre heiratete Moritz Cohen Gertrud Schönbach, die gebürtig aus Altena stammte und 20 Jahre jünger war als er. Mit ihr hatte er drei Kinder: Marga (geboren 1923), den 1927 geborenen Ernst und Miriam (geboren 1929). Als ihre Mutter 1937 starb, waren die Geschwister erst 14, 10 und 8 Jahre alt.
Miriam und Ernst besuchten die Ahauser Volksschulen Wallschule und Bernsmannskampschule. Ernst hatte während seiner Schulzeit unter den Schlägen seiner Mitschüler zu leiden. Ihre Schwester Marga erlebte indessen eine relativ behütete Schulzeit an der „Höheren Töchterschule“ des Canisiusstifts, wovon zwei Klassenfotos Zeugnis geben.

Dieses Foto zeigt den Standort des Wohn- und Geschäftshauses der Familie Cohen. © Archiv
Mit seinen Kindern und seiner unverheirateten Schwester Frieda blieb Moritz Cohen in Ahaus, während seiner Schwägerin Emilie Cohen, geb. Gumpert und ihrer Familie Ende 1939 die Flucht nach Chile gelang. Die Cohens hingegen wurden zusammen mit anderen Ahauser Familien am 10. Dezember 1941 über Münster ins Ghetto Riga deportiert.
Dort wurde der 66-jährige Moritz Cohen 1944 erschossen, während seine Kinder noch im gleichen Jahr über die Ostsee ins Konzentrationslager Stutthof gebracht wurden. Ernst verstarb dort kurz vor oder nach der Befreiung im Frühjahr 1945 im Alter von 17 Jahren an den Folgen der Lagerhaft.

Ernst Cohen © Archiv
Marga und Miriam überlebten das Konzentrationslager und den „Todesmarsch“ der Häftlinge. In ihren späteren Erinnerungen beschreibt Miriam Cohen, wie sie als 15-Jährige mehrfach von ihrer sechs Jahre älteren Schwester Marga vor dem Erfrieren, Verhungern oder Erschießen gerettet wurde. Beide Mädchen kehrten danach für ein Jahr nach Ahaus zurück. 1947 emigrierten beide in die USA, wo Marga möglicherweise heute noch lebt.
Miriam Cohen zog nach Israel, wo sie heiratete und Kinder bekam – im Alter von 61 Jahren starb sie. Am Grabstein der Mutter in Ahaus, den Marga bis vor 15 Jahren noch regelmäßig besuchte, ließ sie eine Gedenkplatte mit Namen und Daten ihrer Familie anbringen. Nur das Feld für sie selber ist noch frei. Den Kontakt zu Ahausern, auch zu Schülern, die ihr schrieben, hat sie stets gemieden.