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Was Temposünder tun können, wenn die Polizei die Geschwindigkeit geschätzt hat
Straßenverkehr
Eine Überschreitung des Tempolimits ist gefährlich und kann für den Sünder teuer werden. Doch wie sieht es rechtlich aus, wenn die Polizeibeamten das Tempo geschätzt statt gemessen haben?
Eines vorweg: Dass die Polizei Temposünder mittels einer Schätzung überführen darf, ist rechtlich zulässig. Dies belegen diverse Gerichtsurteile. Allerdings gibt es bei diesem Vorgehen Einschränkungen. Und Temposünder können gegen diese Schätzung natürlich rechtlich vorgehen – mit Chancen auf Erfolg.
Dass die Vorgehensweise der polizeilichen Schätzung vielen Menschen nicht geläufig ist, zeigen die regen Diskussionen in einer örtlichen Facebookgruppe. In dieser wurde nach der Schätzmessung der Polizei in der Lohstraße am vergangenen Donnerstag (2. Mai) kontrovers diskutiert.
Kontroverse Diskussion auf Facebook
„Alles zulässig, darf per Augenmaß gemacht werden“, heißt es dort. Oder: „Ich würde nicht zahlen und Einspruch einlegen.“ Andere Gruppenmitglieder schreiben: „Doof, dass du bezahlt hast. Sollst zur Wache gehen und da vorsprechen. Kriegst du vor jedem Gericht der Welt recht.“
Die Meinungen bezüglich einer Tempo-Schätzmessung gehen also weit auseinander. Fakt ist: Das Verfahren ist ausschließlich in einer verkehrsberuhigten Zone – einer Spielstraße – erlaubt. Und es darf immer nur der niedrigste Verwarnungssatz ausgesprochen werden, also 15 Euro. Ganz gleich ob das Tempo deutlich oder sehr deutlich überschritten wurde.
Was heißt „deutlich“ zu schnell?
Und damit sind wir bei der zentralen Frage. Was ist deutlich? „Deutlich kann man sehen. Die Beamten haben Erfahrung und es erkennt jeder, ob ein Auto 7 oder 20 km/h fährt“, sagt Vera Howanietz, Pressesprecherin der Kreispolizeibehörde Unna.
Zulässig sind in einer verkehrsberuhigten Straße 7 km/h. Soweit so gut. Doch ab welchem Grenzwert bitten Beamten den Temposünder zur Kasse? Michael Jahn, Kriminalhauptkommissar vom Verkehrsdienst der Polizeikreisbehörde Unna, liefert eine klare Antwort: „Deutlich heißt für mich, wenn der Verkehrsteilnehmer mit 20 bis 25 km/h da rumfährt.“
Schätzungen sind ein subjektives Empfinden
Eine Schätzung sei zwar immer subjektives Empfinden des jeweiligen Beamten, aber: „Es gibt Möglichkeiten, die Geschwindigkeit an äußeren Gegebenheiten festzumachen.“ Dazu nimmt der Kriminalhauptkommissar zum Beispiel Fußgänger als Bezugspunkt. „Die laufen normalerweise in Schrittgeschwindigkeit. Wenn an denen ein Auto vorbeibrettert, dann war das keine Schrittgeschwindigkeit mehr.“
Auch sei es möglich zu sehen, wie schnell sich ein Auto von einem Objekt, etwa einer Laterne, entfernt. „In Schrittgeschwindigkeit dauert das schon etwas.“ Dass überhaupt Schätzungen durchgeführt werden, läge an den örtlichen Gegebenheiten. „Nicht überall kann man einen Radarwagen aufstellen“, so Jahn.
Doch was, wenn man nach einer Schätzung der kontrollierenden Beamten zur Kasse gebeten wird? Es gibt zwei Möglichkeiten. Strafe akzeptieren und 15 Euro zahlen oder auf rechtlichem Wege Widerspruch einlegen.
Schätzungen des Tempos „sind nicht sauber“
Denn: „Schätzungen des Tempos sind nicht sauber und die Gerichtsverwendbarkeit ist schwierig.“ Das erklärt ein Fachanwalt für Verkehrsrecht aus unserem Verbreitungsgebiet, der jedoch nicht beim Namen genannt werden möchte. „Es muss gemessen werden. Alles andere ist einfach unsauber.“
Lohnt es sich also, Widerspruch einzulegen? „Es kommt auf die persönliche Befindlichkeit des Betroffenen an“, so der Fachanwalt. Die Erfolgsaussichten vor Gericht seien nicht schlecht, aber bei einer Ordnungswidrigkeit von 15 Euro stelle sich eben auch die Frage der Verhältnismäßigkeit. „Personen, die eine Rechtsschutzversicherung haben, sind da im Vorteil. Aber diese sollte man auch nicht für jede Kleinigkeit nutzen“, sagt der Fachanwalt.
Der Temposünder selbst entscheidet, wie er vorgeht
Letztlich muss jeder Temposünder selbst entscheiden, welchen Weg er wählt. Entscheidet man sich jedoch, nicht zu zahlen, dann gilt es einige Dinge zu beachten. Der Fachanwalt erklärt: „Keine Angaben machen, die schriftliche Anhörung abwarten und dann einen Anwalt vom Fach einschalten.“
Übrigens: Zahlt man vor Ort nicht, dann stellen die Beamten einen Zahlschein aus. In den meisten Fällen, so schildert es Kriminalhauptkommissar Jahn, würden die Ertappten ohnehin zahlen. „Einige mit einem Zähneknirschen, aber der Großteil zeigt sich einsichtig.“
Und er selbst habe auch noch nie vor Gericht aussagen müssen, weil ein Temposünder gegen seine Schätzung Widerspruch eingelegt habe. „Das freut mich natürlich. Wichtig ist, den Dialog mit dem Bürger zu suchen und die Sachlage zu erklären.“
Liebt als gebürtiger Münsterländer die Menschen und Geschichten vor Ort. Gerne auch mit einem Blick hinter die Kulissen. Arbeitsmotto: Für eine spannende Story ist kein Weg zu weit.
