Sturm Friederike vor einem Jahr: Geschwächter Wald muss sich für schwere Zeiten wappnen

© Andrea Wellerdiek

Sturm Friederike vor einem Jahr: Geschwächter Wald muss sich für schwere Zeiten wappnen

rnGefahren für den Wald

Sturmtief Friederike, Hitzesommer und Borkenkäfer-Invasion. Das Jahr 2018 war ein extremes für die Wälder in NRW. Der Wald muss sich wappnen für die Zukunft. Denn die ist besorgniserregend.

von Andrea Wellerdiek

Werne, Selm

, 18.01.2019, 12:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Marco Adamek (58) hat in seiner 30-jährigen Laufbahn als Revierförster schon viel in den hiesigen Wäldern erlebt. Aber so ein extremes Jahr wie 2018 bleibt auch ihm in besonderer Erinnerung. Dem Wald geht es aktuell so schlecht wie schon seit Langem nicht mehr. Mehrere Faktoren sorgten für eine tödliche Mixtur für mindestens vier Millionen Bäume.

Alles begann mit dem schweren Sturm Friederike, der genau vor einem Jahr, am 18. Januar 2018, in Nordrhein-Westfalen wütete. Insgesamt zwei Millionen Bäume warf oder knickte der Orkan um. Die Pflanzen, die verschont blieben, wurden durch den trockenen und heißen Sommer geschwächt, sodass sie leichte Beute für den Borkenkäfer waren. Die Folge: Ganze Wälder wurden in NRW zerstört.

Von der Waldschonung bleibt nicht viel übrig

Das gesamte Ausmaß der Zerstörung ist noch nicht zu beziffern. Auch die Wälder in der Region blieben von dem Extremjahr nicht verschont. Sie hatten Glück im Unglück, wie Revierförster Marco Adamek bei einem Gang durch die heimischen Waldflächen zeigt.

Abgeknickte oder schiefe Bäume, braune Pflanzen, Baumstämme und sehr viel Gehölz, das auf dem Boden liegt: An der Stadtgrenze zu Selm ist an einem Waldstück heute noch gut zu erkennen, was das Extremjahr 2018 angerichtet hat. Von der Waldschonung ist nicht mehr viel übrig geblieben. An der linken Seite stehen noch Fichten, die schon seit dem August kein Grün mehr tragen, wie Revierförster Marco Adamek erzählt. Sämtliche Fichten sind nicht mehr zu retten. Sie werden, wie viele andere Pflanzen, bald auch weichen müssen.

Auf der Stadtgrenze zu Selm ist von einer Waldschonung nicht mehr viel übrig geblieben nach dem extremen Jahr 2018. Weitere Fichten müssen hier noch weichen.

Auf der Stadtgrenze zu Selm ist von einer Waldschonung nicht mehr viel übrig geblieben nach dem extremen Jahr 2018. Weitere Fichten müssen hier noch weichen. © Andrea Wellerdiek

Zwischen den Fichten ist ein Grünstreifen erkennbar. Den Buchen setzte das Extremjahr weniger zu. Denn der Borkenkäfer befällt nur Fichten. Die Insekten hatten leichtes Spiel, weil die Pflanzen durch den Sturm und den heißen und trockenen Sommer arg geschwächt waren.

Sie beißen sich vor allem an den Rinden von Fichten fest und saugen den Lebenssaft der Bäume aus. Die geschwächten Pflanzen können sich nicht mehr wehren, weil sie nur wenig eigenes Abwehrmittel ausbilden. Die Bäume sterben schließlich ab.

Von einer regelrechten Invasion der Insekten sprechen die Experten. So viele Borkenkäfer wie im vergangenen Jahr gab es in NRW noch nie. Die Borkenkäfer konnten die dritte Generation entwickeln, sprich ein weibliches Insekt konnte seit April mehr als 100.000 Nachfahren produzieren. Allein in NRW vernichtete das Millimeter kleine Insekt laut Umweltministerium etwa zwei Millionen Bäume.

Hier war der Borkenkäfer am Werk: Die wellenförmigen Spuren am Holz der Rinde sind gut zu erkennen.

Hier war der Borkenkäfer am Werk: Die wellenförmigen Spuren am Holz der Rinde sind gut zu erkennen. © Andrea Wellerdiek

Das gesamte Ausmaß ist aber längst noch nicht absehbar. Denn der Borkenkäfer könnte den Winter überstehen und im Frühjahr 2019 weiter wüten. „Am besten sollte es so nass wie jetzt bleiben. Da können die Käfer verpilzen und sterben ab. Frost hingegen macht ihnen nichts aus“, erklärt Michael Blaschke, Pressesprecher von Wald und Holz des Landes NRW. Wie viele der kleinen Tierchen überleben, zeigt sich erst in einigen Monaten. Bei Temperaturen von 16,5 Grad werden die Insekten laut Blaschke wieder aktiv.

„Wir machen im Moment nichts anderes, als zu gucken, wie wir reagieren können, wenn der Borkenkäfer sich im Frühjahr noch stärker ausbreitet“, so der 60-Jährige. Dabei geht es vor allem darum, die zerstörten Fichten aus den Wäldern zu entfernen, weg zu transportieren und sie zu lagern, um keinen weiteren Befall befürchten zu müssen. Die weniger widerstandsfähige Fichte, die nun millionenfach dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen ist, werde schon seit mehreren Jahren seltener gepflanzt, erklärt Blaschke.

„Der Klimawandel ist klar erkennbar. Und man weiß nicht, was noch kommt.“
Marco Adamek, Revierförster

Das ist auch im Revier von Förster Marco Adamek der Fall. In seinen zuständigen Forstbetrieben in Werne, Selm, Lünen, Cappenberg und Bork gibt es 95 Prozent Laubbäume, weil Fichtenholz schon längst von weniger wirtschaftlicher Bedeutung ist. Das sorgte dafür, dass die Wetterkapriolen im vergangenen Jahr verhältnismäßig wenig Schaden angerichtet haben. „Hätten wir mehr Nadelholz, hätten wir auch größere Probleme gehabt“, ist sich Marco Adamek sicher.

Dennoch blickt der 58-Jährige mit Sorgen in die Zukunft. „Der Klimawandel ist klar erkennbar. Und man weiß nicht, was noch kommt“, sagt Adamek. Zur Vorsorge werden dort, wo ansonsten die Fichten standen, andere Bäume gepflanzt. An der zerstörten Böschung an der Stadtgrenze zu Selm entsteht ein Stieleichen-Hainbuchen-Wald. Dass eine gewisse Mischung das Waldstück vor extremem Wetter schützen kann, zeigt sich nur 100 Meter weiter. „So muss ein Wald aussehen“, sagt Marco Adamek und zeigt vom Auto aus ins Grün. „Hier ist im selben Sturm alles stehen geblieben.“

Vereinzelte Bäume hat Sturm Friederike im Werner Stadtwald umgestürzt. Etwa einen fünf Meter großen Wurzelteller hatte dieser Baum.

Vereinzelte Bäume hat Sturm Friederike im Werner Stadtwald umgestürzt. Etwa einen fünf Meter großen Wurzelteller hatte dieser Baum. © Marco Adamek

Verhältnismäßig geringe Schäden hat der Sturm Friederike 2018 im Werner Stadtwald angerichtet. Auch dort gibt es kaum Nadelholzarten, sondern vor allem Eichen und Buchen. „Der Wald ist hier sehr gut zusammengesetzt – mit mittlerweile sehr hohen Bäumen von 30 Metern. Die teilweise mehr als 100 Jahre alten Bäume haben eine hohe Stabilität“, erklärt der Revierförster. Von dem insgesamt 30 Hektar großen Wald seien nur 1,6 Prozent Fläche zerstört worden, so Adamek.

Hier kümmert sich der Revierförster mit seinen Kollegen vor allem darum, mehr Fläche für die vorhandenen Bäume zu schaffen, damit sich Kronen und Wurzeln ausbilden können. „So wird jeder einzelne Baum stärker“, erklärt Adamek. Entscheidend sind dabei auch die Bodenverhältnisse. Nicht jede Baumart würde gut in den nassen, lehmigen Boden in seinem Revier passen, erklärt Adamek.

Dass eine gewisse Mischung den Bestand schützen kann – das hofft der 58-Jährige auch. „Wir sollten die Vielfalt zulassen und das natürliche Verjüngungspotenzial der Wälder nutzen. Wenn wir eine Vielfalt im Alter und in den Arten erreichen, haben wir viele Eisen im Feuer“, sagt Adamek, der auch private Waldbesitzer zu Mischwäldern berät.

„Es geht darum, in Zukunft aus jedem Baum das Optimum herauszuholen. “
Michael Blaschke, Pressesprecher von Wald und Holz des Landes NRW

Das Land NRW unterstützt diese Vorhaben. „Jeder Waldbesitzer sollte genauer auf die Standorte der Bäume schauen. Es geht darum, in Zukunft aus jedem Baum das Optimum herauszuholen. Denn dann sind sie am stärksten und können sowohl warme als auch kalte Verhältnisse aushalten“, erklärt Michael Blaschke, Pressesprecher von Wald und Holz des Landes NRW.

Auch eingeführte Baumarten aus anderen Regionen Deutschlands wie etwa die Douglasie oder die Weißtanne können künftig in den hiesigen Wäldern eine größere Rolle spielen. Denn auch einige heimische Arten sind bedroht. Neben den natürlichen Wetterbelastungen gefährdet der Mensch den hiesigen Bestand. So wurde ein Pilz aus Asien nach Europa eingeschleppt, der die heimische Esche bedroht. Ausgerechnet diese Baumart gilt laut Marco Adamek als die widerstandsfähigste. „Sie haben die letzten Stürme am besten überstanden“, sagt er.

Marco Adamek (58) hat als Revierförster schon vieles in den hiesigen Wäldern gesehen. Doch so ein Extremjahr wie 2018 hat er noch nicht erlebt.

Marco Adamek (58) hat als Revierförster schon vieles in den hiesigen Wäldern gesehen. Doch so ein Extremjahr wie 2018 hat er noch nicht erlebt. © Andrea Wellerdiek

Um den Wald wieder zu stärken und ihn für künftige Wetterverhältnisse zu wappnen, hat das Umweltministerium des Landes ein neues Waldbaukonzept initiiert. Es beinhaltet eine Art Bedienungsleitung für die rund 150.000 Waldbesitzer in NRW. Auch Fortbildungen zum Thema Mischwald bietet das Ministerium in diesem Jahr an.

Ein Online-Portal wurde bereits eingerichtet. „Darin sind Karten hinterlegt, sodass jeder Förster und Waldbesitzer bewerten kann, wie er auf bestimmte Situationen reagieren kann“, erklärt Blaschke. Eine Entwarnung nach dem verheerenden Extremjahr 2018 kann er nicht geben.

Größte Herausforderung bislang

Ganz im Gegenteil: Die Zukunft der Wälder sicher zu gestalten, sei die größte Herausforderung bislang. Längst hat das Umweltministerium eine Taskforce zum Borkenkäfer eingerichtet. Bei Wald und Holz NRW kümmert sich eine Arbeitsgruppe darum, wie sie die im Frühjahr zu erwartende Massenvermehrung des Insekts in den Griff zu bekommen ist. Auch wenn die Ausmaße in Teilen Deutschlands ganz unterschiedlich ausgefallen sind: Klar ist, dass das Ausnahmejahr 2018 dafür sorgt, dass sich der Wald hierzulande dauerhaft verändern wird.

Revierförster Marco Adamek kann sich in seiner 30-jährigen Laufbahn an vier Ausnahmestürme erinnern:
  • Sturm Wiebke, 1990: In den hiesigen Wäldern gab es seinerzeit noch einen hohen Anteil an Nadelholzbäumen, die dem Sturm wenig entgegensetzen konnten. „Das war einer der schlimmsten Stürme mit mehreren Orkanen in der Woche“, erzählt Marco Adamek. Große Baumverluste - höher als bei Kyrill - verzeichnete man damals.
  • Sturm Kyrill, 2007: 3000 Kubikmeter Holz wurden seinerzeit in den hiesigen Wäldern zerstört.
  • Gewittersturm Ela, 2014: Der Sturm um Pfingsten hat erhebliche Schäden in Selm, Lünen und Bork angerichtet. Werne blieb hingegen weitestgehend verschont. Weil die Bäume zu dieser Jahreszeit noch viel Laub hatten, gab es eine größere Angriffsfläche für den Sturm. „Meine größte Befürchtung ist, dass Stürme wie Ela im Sommer kommen würden. Das wäre der Alptraum“, sagt Adamek.
  • Sturm Friederike, 2018: Etwa 1500 Kubikmeter Holz wurden laut Adamek zerstört, wobei ein Teil auch auf den Borkenkäfer zurückzuführen ist.
Lesen Sie jetzt