
© Felix Püschner
Gastronom aus Werne: „Du weißt nicht, wie du den nächsten Monat überleben sollst“
Stadthotel im Kolpinghaus
Hilfsprogramme hin oder her - der Lockdown schlägt vielen Gastronomen böse auf den Magen oder treibt sie gar in die Insolvenz. Zwei Gastronomen aus Werne erklären, wo die Probleme wirklich liegen - und womit sie sich über Wasser halten.
Bettina Schriever (53) und Horst Nußbaum (55) sind das, was man gerne als „Frohnatur“ bezeichnet. Immer ein Lächeln auf den Lippen, stets aufgeschlossen und freundlich. Auch in Krisen-Zeiten. Seit 2017 führen die beiden das Stadthotel im Kolpinghaus an der Alten Münsterstraße in Werne. Momentan herrscht - mal wieder - gähnende Leere im Gastro-Bereich. Schuld ist der Lockdown. Deprimiert und verzweifelt wirken die beiden aber nicht, als wir sie zum Interview-Termin treffen.
Das typische Lächeln ist noch da. Bis die Frage kommt, wie sie sich jetzt eigentlich fühlen nach so einem Ausnahmejahr, mitten im zweiten Lockdown, ohne Restaurant-Gäste. „Mich hat das alles inzwischen doch schon sehr in meiner Sicherheit erschüttert“, sagt Schriever: „Können wir das Hotel hier wirklich behalten? Wo arbeite ich nächstes Jahr, falls das nicht klappt? Wo wohne ich nächstes Jahr?“ Dann nimmt sie ihre Brille ab, um sich eine Träne aus den Augen zu wischen. Ihre Stimme wird brüchig: „Das beschäftigt mich unterschwellig sehr. Das lässt mich nicht los. Da träume ich sogar von.“
Im Sommer 2020 konnte sie diese Sorgen noch weit im Hinterkopf vergraben. Klar, auch die erste coronabedingte Schließung hatte bereits ihre Spuren hinterlassen. Aber im Sommer habe man dann die Leichtigkeit wiedergefunden, erinnert sich Schriever. Auch wenn der Betrieb da schon nur noch eingeschränkt möglich war. Verschärfte Hygienemaßnahmen, Kontaktlisten und Co. bestimmten den Alltag. Aber immerhin kamen wieder Gäste. Anders als jetzt.
„Du weißt teilweise nicht, wie du den nächsten Monat überleben sollst“, sagt Horst Nußbaum und zuckt mit den Schultern: „Wir haben zwar noch keine großen Schulden. Aber die werden in den nächsten Wochen kommen. Die Reserven sind nämlich aufgebraucht.“ Rücklagen habe er nicht mehr. Trotz der staatlichen Hilfen, mit denen die Bundesregierung den arg gebeutelten Unternehmern unter die Arme greifen wollte: Erst gab’s die Soforthilfe in Höhe von 9000 Euro, dann das Kurzarbeitergeld, die Überbrückungshilfen I bis III und schließlich die November- und Dezemberhilfen.

Ordentlich sollte es in den 17 Hotelzimmern im Kolpinghaus in Werne schon sein - auch wenn die derzeit kaum wirklich genutzt werden. Lediglich Monteure dürfen hier aktuell übernachten. © Felix Püschner
Das klingt nach viel Geld. Und nach schneller Unterstützung. Zumindest in der Theorie. In der Realität sieht es laut Nußbaum allerdings anders aus. „Die Dezemberhilfe konnten wir bis heute nicht beantragen. Dafür gab es noch gar nicht die nötigen Formulare“, sagt der 55-Jährige. Und die Novemberhilfe? Ja, die schon. Aber bislang sei nur gut die Hälfte davon tatsächlich auf dem Konto des Gastronomen angekommen. Wann die andere Hälfte folgt, ist noch unklar. Es ist eines von vielen Fragenzeichen.
Das liegt auch daran, dass die Regierung bei den verschiedenen Programmen immer mal wieder nachjustieren musste. Das EU-Beihilferecht machte dies beispielsweise bei den Überbrückungshilfen II erforderlich. Und mit Blick auf die Novemberhilfe macht Nußbaum klar, dass letztlich gar nicht so viel ankommt, wie man es sich einst erhofft hatte: „Es hieß bei der Novemberhilfe zunächst, dass wir 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat bekommen würden. Das konnte man sich ja leicht ausrechnen. Aber dann kamen plötzlich die Änderungen.“
Anpassungen bei Hilfspaketen bereiten Bauchschmerzen
Abgezogen worden sei von dem angekündigten Betrag nämlich sowohl das Kurzarbeitergeld als auch das Geld, das die Unternehmen im Zuge der Überbrückungshilfen II erhalten hatten. „Da wurden aus den 75 Prozent schnell 38“, so Nußbaum. Zudem geht er davon aus, dass der Staat bald weitere Rückzahlungen einfordert - so wie es bei vielen Unternehmern bereits mit Blick auf die 9000-Euro-Soforthilfe der Fall war. Und weil die Überbrückungshilfen als Einnahmen zählen, werden dafür selbstverständlich auch Steuern fällig.
Dass Schriever und Nußbaum momentan doppelt so häufig mit ihrer Steuerberaterin sprechen wie früher, hat aber einen anderen Grund: Empfänger von Hilfen können die Anträge zwar vorbereiten. Eingereicht werden müssen sie allerdings vom Steuerberater.
Der arbeitet natürlich nicht umsonst, sondern stellt seinen Mandanten eine Rechnung aus. Die gilt es für die Gastronomen genauso zu bezahlen, wie die restlichen Kosten, die ohnehin anfallen: Strom, Wasser und Leasing-Gebühren für die Küchenmaschinen zum Beispiel. Und auch die Kosten für Dienstleister, mit denen die Stadthotel-Inhaber feste Verträge haben.
Verträge mit externen Firmen laufen weiter
Zum Beispiel mit der Firma, deren Mitarbeiter regelmäßig Seifenspender und Klopapier auffüllen und kleinere Wartungsarbeiten durchführen. „Es gibt viele Verträge, die weiterlaufen und aus denen man nicht einfach so rauskommt“, sagt Nußbaum. Darum habe man jetzt unter anderem jede Menge Klopapier - aber niemanden, der es verbraucht. Lediglich der Pay-TV-Sender Sky habe die Gebühren erlassen, die die Gastronomen normalerweise für die Live-Übertragung von Fußballspielen im Gastraum zahlen müsste. Alles andere läuft weiter.
Er könne auch nicht einfach die Heizung auf null fahren oder das Wasser abdrehen, betont Nußbaum: „Bei einem 125 Jahre alten Haus gehen dir dann die Leitungen kaputt. Außerdem haben wir ja noch Gäste.“ Gäste gibt es in dem Hotel an der Alten Münsterstraße tatsächlich noch. Zumindest ein paar. Denn Monteure dürfen nach wie vor hier übernachten und bewirtet werden. Doch deren Anzahl ist - gelinde gesagt - überschaubar. Die meisten der 17 Zimmer sind dauerhaft leer.

Die Speisekarte bleibt derzeit (wieder) unberührt. Der Gastronomiebetrieb ist natürlich auch den Inhabern des Stadthotels untersagt. Einzige Ausnahme: Die Monteure, die nach wie vor hier übernachten, dürfen bewirtet werden. © Felix Püschner
Die Situation ist grenzwertig. „Wenn ich nur drei Gäste pro Woche habe, dann nehme ich nichts ein. Im Gegenteil: Das kostet mich etwas“, sagt Nußbaum. Und manchmal gebe es tagelang keine Buchung: „Dann rufen wir uns schon selbst vom Handy aus an, um zu testen, ob das Telefon im Hotel noch funktioniert.“ Der 55-Jährige schmeißt den Laden momentan quasi im Alleingang. Frühstück zubereiten - auch wenn es nur einen einzige Gast gibt -, putzen, die Zimmer machen und Bürokram stehen auf der To-Do-Liste.
Schriever ist in Kurzarbeit. Genauso wie eine weitere Angestellte. Der Koch hat bereits im September gekündigt, als sich der zweite Lockdown allmählich anbahnte. Die Aushilfen auf 450-Euro-Basis sind auch nicht mehr da. Dennoch: Die Ausgaben, die der Werner Hotelier aktuell hat, kann er allein mit dem Geld aus den Hilfsprogrammen gar nicht bezahlen. Es reiche nicht. Einen Abhol- und Lieferservice anzubieten, würde den Karren auch nicht aus dem Dreck ziehen. Denn wer bestellt sich schon Ochsenbäckchen, Schweinemedaillons oder Lachsfilet für den Fernsehabend auf der heimischen Couch?
„Außerdem müsste ich dann wieder einen Koch einstellen, das Kühlhaus anschmeißen und so weiter - das lohnt sich einfach nicht. Und ich meine damit nicht, dass ich dadurch zu wenig einnehmen würde, sondern dass ich draufzahlen würde, wenn ich dann wahrscheinlich nur zehn Essen am Tag verkaufe“, erklärt Nußbaum. Nicht ohne Grund hätten andere Gastronomen ihr Essen-to-go-Angebot inzwischen wieder zurückgenommen oder zumindest die Zahl der Öffnungstage nach unten geschraubt.
So banal es sich anhört: Was bei all der Rechnerei und Beantragung von staatlichen Hilfen meist unter den Tisch fällt, ist die Tatsache, dass auch Gastronomen ein Privatleben haben. Eines, das ebenfalls Geld kostet. Für Miete, Auto und Versicherung zum Beispiel. Wenn noch nicht einmal die Kostendeckung fürs Geschäft funktioniert, wie soll es dann im Privaten aussehen - erst Recht, wenn man seine Rücklagen bereits aufgebraucht hat?
Natürlich schlecht. Und darum ist es auch kaum verwunderlich, dass Nußbaum und Schriever sich mit „Nebenjobs“ über Wasser halten. Nußbaum verkaufte vor Weihnachten mehrere Wochen lang Tannenbäume. Inzwischen ist er in der Alltagsbetreuung für Senioren tätig. Das sei zwar nur für ein paar Stunden pro Woche, aber immerhin besser als nichts. Zumal es ihm auch noch Spaß mache. Schriever hingegen arbeitete im vergangenen Jahr zeitweise im Baumarkt und will demnächst eine Bürotätigkeit ausüben.
Und dann? Sollte man tatsächlich bald wieder öffnen dürfen - vielleicht um Ostern -, dann würden die Kunden bestimmt nicht gleich Schlange stehen. Da ist sich Nußbaum sicher. Die Angst, sich anzustecken, sei ja weiterhin da. Das habe sich jetzt bei den Menschen eingebrannt. Aufgeben will das Gastronomen-Paar aber noch nicht. Obwohl man von dem sprichwörtlichen Licht am Ende des Tunnels aktuell kaum etwas sieht. Nußbaum gibt sich mit weniger zufrieden: „Wir sehen zumindest immer noch eine Tür am Ende des Ganges. Da ist unten eine ganz kleine Lichtspalte. Und wir hoffen, dass wir diese Tür irgendwann wieder öffnen können.“
Geboren 1984 in Dortmund, studierte Soziologie und Germanistik in Bochum und ist seit 2018 Redakteur bei Lensing Media.
