Dass die Sparkasse an der Lippe mehrere Filialen und SB-Standorte in Lünen, Selm und Werne schließt, hat laut Sparkassenvorstand Heiko Rautert zwei wesentliche Gründe, die aber durchaus miteinander in Zusammenhang stehen. Da wäre einerseits der Aspekt der Wirtschaftlichkeit - denn Standorte sind teuer - und andererseits das „veränderte Kundenverhalten“. Der durchschnittliche Privatkunde komme nur noch einmal im Jahr für eine umfangreiche Beratung in eine Filiale, einen Großteil ihrer Bankangelegenheiten erledigten Kunden online, hieß es.
Um das zu verdeutlichen, legte die Sparkasse an der Lippe im Zuge der Vorstellung ihres „Zukunftskonzepts“ direkt auch mal ein paar Zahlen vor. Geliefert wurden die Daten vom Digitalverband Bitkom. Sie beruhen auf Befragungen von rund 1000 Kunden unterschiedlicher Banken aus den Jahren 2020 und 2021. Wer sich die Präsentation anschaut, die Bitkom-Präsident Achim Berg auf der „Digital Finance Conference“ 2021 gehalten hat, dem springen ein paar prägnante Sätze und Zahlen direkt ins Auge.
„Seniorinnen und Senioren stürmen die Online-Filialen“, heißt es da unter anderem. Die Studie hatte ergeben, dass im Jahr 2021 gut 80 Prozent der Befragten Online-Banking nutzen. 2020 waren es noch 73 Prozent, 2019 runde 70 Prozent und 2016 lediglich 57 Prozent. Ein klarer Trend. Einen satten Anstieg gab es der Umfrage zufolge bei den Menschen über 65 Jahren. Nutzten 2020 noch 22 Prozent der Befragten aus dieser Altersgruppe Online-Banking, waren es 2021 bereits 39 Prozent.
Interesse an Online-Banking nimmt wieder ab
Hinzu kommt: 53 Prozent der Online-Banking-Nutzer aus der Gruppe 65+ gab zum Zeitpunkt der Befragung an, „ausschließlich“ Online-Banking zu nutzen. 27 Prozent gaben an, „überwiegend“ Online-Banking zu nutzen aber auch „hin und wieder“ eine Filiale zu besuchen. 15 Prozent hingegen nutzten überwiegend die Bankfiliale mit persönlichem Kontakt zu Bankangestellten.
All das sind Zahlen auf die auch die Sparkasse an der Lippe bei ihrer Argumentation verweist. Eine klare Sache also? Nicht ganz. Denn Anfang Mai legte Bitkom erneut Studienergebnisse vor. Diesmal für die Jahre 2023 und 2022. Und da sieht die Sache schon wieder etwas anders aus. Wieder wurden knapp 1000 Menschen befragt. Das Ergebnis: Der Anteil der Online-Banking-Nutzer ist rückläufig. Von 80 Prozent im Jahr 2021 rutschte der Wert zunächst auf 78 Prozent in 2022 und 76 Prozent in 2023.
Immerhin: Die Gruppe der Ü-65-Jährigen, die Online-Banking betreiben, lag 2023 bei stolzen 45 Prozent. Allerdings zeigt sich auch ein weiterer Trend, den man vielleicht als „Rückkehr in die Filiale“ betiteln könnte (auch wenn Bitkom das in seiner Präsentation nicht tut). Denn unter den befragten Online-Banking-Nutzern ist der Anteil derjenigen, die „überwiegend eine Bankfiliale und zumindest hin und wieder auch Online-Banking nutzen“, über alle Altersklassen hinweg auf 17 Prozent gestiegen.
So hoch war der Wert seit 2018 nicht mehr. Gegenüber dem Vorjahr gaben zudem weniger Menschen an, ausschließlich Online-Banking zu nutzen (38 statt 41 Prozent). Der Anteil der Menschen, die überwiegend Online-Banking nutzen und nur hin und wieder eine Bankfiliale besuchen, war ebenfalls rückläufig - er sank von 53 Prozent (2021) zunächst auf 46 Prozent (2022) und schließlich auf 43 Prozent (2023).

Woher kommt der neue Trend zum Filialbesuch? Müsste die Corona-Pandemie, während deren Hochphase sich manch ein Kunde den Filialbesuch aus nachvollziehbaren Gründen sicher zweimal überlegte, nicht alle zu Online-Banking-Experten gemacht haben? Und warum sollten diese nun plötzlich wieder ihr Handy aus der Hand legen und sich auf den Weg zur Bank machen? Gerade die ältere Generation könnte sich den mühsamen Gang durch ihr neu erworbenes Digital-Verständnis doch wohl sparen - oder etwa nicht?
Betrugsversuche mit falschen Polizisten
Viele Fragen, auf die auch Dieter Schimmel nicht alle Antworten kennt. In einem Punkt ist sich der Vorsitzende der Seniorenvertretung der Stadt Werne allerdings ziemlich sicher: die Entscheidung der Sparkasse wird ältere Kunden vor Probleme stellen. „Ich kann die Begründung der Sparkasse hinsichtlich der wirtschaftlichen Zwänge nachvollziehen. Aber nicht jeder ist so technisch versiert, dass er seine Bankangelegenheit am Automaten oder online erledigen kann“, sagt Schimmel.
Er selbst kontaktiere seinen Sohn, wenn er Probleme mit dem Computer habe: „Aber nicht jeder Mensch hat jemanden im Freundes- oder Verwandtenkreis, der ihn dabei unterstützen kann.“ Anhand der Nachfrage nach PC-Kursen könne man zwar erkennen, dass das Interesse von Senioren am Umgang mit Computern zugenommen habe - doch das bedeute ja nicht, dass die Leute dann auch tatsächlich mit der Technik umgehen können. Zumal die Wahrnehmungsfähigkeit und das Erinnerungsvermögen im Alter nachlassen können.
Schimmel weist allerdings noch auf einen anderen Aspekt hin: Der Wegfall von Personal in den Filialen könne das Risiko erhöhen, dass Senioren Opfer von Betrug werden. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür hat es auch in Werne bereits gegeben. Im Februar 2023 hatte sich ein Mann aus Essen gegenüber einer 77-jährigen Frau am Telefon als Polizeibeamter ausgegeben.
„Er gaukelte ihr die klassische Legende vor, dass in ihrer Nachbarschaft eingebrochen worden sei. Die Täter würden über einen Zettel mit ihren Personalien verfügen. Deshalb müsse ihr Geld in Sicherheit gebracht werden, das jemand an einem vereinbarten Treffpunkt abholen würde“, berichtete die Kreispolizeibehörde Unna seinerzeit in einer Pressemitteilung.
Die Seniorin glaubte dem Anrufer, suchte ihre Bank auf und hob eine hohe Summe Bargeld von ihrem Konto ab. Ein aufmerksamer Bankmitarbeiter wurde jedoch skeptisch, vermutete einen Betrugsversuch und alarmierte die Polizei. Diese konnte den Essener dann bei der Geldübergabe festnehmen.
Angst vor Verlust der Selbstständigkeit
Die Angst vor Betrug scheint auch Online-Banking-Nutzer zu beschäftigen. Das geht ebenfalls aus der aktuellen Bitkom-Studie hervor. Demnach gaben 78 Prozent der Befragten an, sich Sorgen zu machen, dass ihr Online-Banking-Zugang von Kriminellen missbraucht werde.
Bei der Frage nach dem Personal in Filialen geht es aber nicht nur um den Sicherheitsgedanken. Es geht auch um den sozialen Aspekt, wie Angelika Roemer erklärt. „Zwischenmenschlichkeit ist wichtig - selbst wenn es nur zwei oder drei freundliche Worte sind. Menschen, die beeinträchtigt sind, brauchen Gründe, um rauszugehen. Der Besuch auf dem Markt, beim Arzt, bei der Post oder eben auch bei der Bank gehören dazu“, sagt die Vorsitzende des Behindertenbeirats in Werne. Solche Einrichtungen seien Orte der Begegnung.

Wer seine Bankangelegenheiten nun nicht mehr selbst erledigen könne, weil er technisch nicht fit genug sei und keinen Ansprechpartner am Schalter seiner Filiale mehr habe, der verliere zudem ein Stück Selbstständigkeit. In puncto Inklusion ein echter Rückschritt, findet Roemer.
Dieter Schimmel hat allerdings einen möglichen Lösungsvorschlag parat: Die Sparkasse könne doch mal darüber nachdenken, einen Fahrdienst einzurichten. Einen Bus, der die Kunden zu festen Zeiten von den bald geschlossenen Filialen beziehungsweise reinen SB-Standorten abholt und sie zu einer der Hauptstellen fährt. Dorthin, wo es noch echte Mitarbeiter gibt.
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