Schausteller John Wiegand (40) ist mit seiner Familie neun Monate im Jahr unterwegs. Auf Volksfesten bauen sie ihr Karussell auf und verkaufen Mandeln. Ihr Leben ist darauf eingestellt.
Es ist voll auf der Wiese am Rapunzel: Ein Wohnmobil steht neben dem nächsten. Schausteller, die in den kommenden Tagen ihr Geld bei Simjü verdienen wollen, haben sich dort eingerichtet. Einer von ihnen ist der 40-jährige John Wiegand.
„Ich war der erste hier auf dem Wohnmobil-Stellplatz“, sagt Wiegand, der bei Simjü ein Kinderkarussell betreut und einen Mandelstand besitzt. Seit gut zwei Wochen ist Werne bereits sein vorübergehendes Zuhause. Von hier aus konnte er zur Kamener Herbstkirmes und zum Severinsmarkt nach Bergkamen pendeln, um auch dort seine Geschäfte zu betreiben.

Familie Wiegand am Küchentisch: John (v.l.), John Jr., Lucy und Janine. © Mario Bartlewski
„Das ist ein echter Luxus mal so lange an einer Stelle zu sein“, sagt Wiegand. Zusammen mit seiner Frau Janine und den Kindern John Jr. und Lucy ist er neun Monate im Jahr in ganz Deutschland unterwegs. An knapp 30 Orten machen sie zwischen Ostern und Weihnachten Halt. „Deshalb hab ich auch gar keine Wohnung oder ein Haus – das lohnt sich nicht“, sagt Wiegand.
Stattdessen wohnt Wiegand mit seiner vierköpfigen Familie in einem 36 Quadratmeter großen Wohnmobil. „Da ist alles drin, was man braucht“, sagt Wiegand. Und ein Blick in sein rollendes Zuhause zeigt: es passt erstaunlich viel hinein.

Janine Wiegand brät Schnitzel in der Küche. © Mario Bartlewski
Mit den ersten Schritten in das Wohnmobil aus dem Jahr 1966 steht man bereits in der Küche. Ein Tisch und zwei Sitzbänke bieten Platz für alle vier Familienmitglieder. Gleich gegenüber stehen Backofen, Spülbecken und ein Herd, an dem Janine Wiegand gerade Schnitzel und Gemüse zubereitet.
Ein Stückchen weiter befindet sich das kleine aber voll eingerichtete und geflieste Badezimmer mit Dusche, Waschbecken, Waschmaschine und einer Toilette. „Viele, die das nicht kennen, wundern sich, dass wir hier ein echtes Klo haben“, sagt Wiegand. Direkt neben dem Badezimmer befindet sich das Kinderzimmer von John Jr. und Lucy.

Ein Doppelbett bietet Platz für die beiden Kinder. © Mario Bartlewski
Die beiden Kinder schlafen übereinander in einem Doppelbett. Doch so, wie es gerade aussieht, könnte es am Abend eng werden, denn ein ganzer Haufen Kuscheltiere ist zusammen mit den Kindern auf Tour. Ein Stückchen Geborgenheit in einer Welt, die sich auch für die Kinder von Woche zu Woche verändert.
Fast jede Woche muss Lucy eine andere Schule besuchen. Immer dort, wo ihre Eltern gerade für die Arbeit halten. Hier betreuen die Lehrer sie individuell. Mit ihrer Schulmappe geht sie in die Schule und kann ihren Lernstoff dort fortsetzen, wo sie an der anderen Schule aufgehört hat.
Schausteller-Kinder bekommen Nachhilfe vom Schulwagen
Bei größeren Veranstaltungen gibt es auf dem Wohnmobil-Stellplatz auch einen Schulwagen, in dem geschultes Personal den Schausteller-Kindern Nachhilfe gibt und sie bei den Hausaufgaben unterstützt.
Ob es das auch bei Simjü gibt? „In den Vorjahren war das so. Ob das jetzt auch wieder so ist, weiß ich gar nicht“, sagt Wiegand, der zum zwölften Mal in Folge Simjü als Schausteller besucht. Sohn John besucht hingegen gerade den evangelischen Kindergarten Arche Noah.

Die große schwarze Couch ist der Hingucker im Wohnzimmer. © Mario Bartlewski
Aber zurück zum Wohnwagen. Auf der anderen Seite der Küche liegt das gemütliche Wohnzimmer der Familie. Bilder der Familie hängen an der Wand, eine große schwarze Couch lädt zum Verweilen ein und einer von drei Fernsehern, die im Wohnwagen zu finden sind, flimmert.
Auch eine Klimaanlage darf hier für die Sommermonate nicht fehlen. „Man macht es sich hier halt so bequem wie möglich“, sagt Wiegand. Sideboards und kleine Schränke stehen an der Wand und sind mit Deko-Elementen bestückt. Die sorgen für ein gemütliches Gefühl, sorgen aber auch für Umstände bei den Fahrten. „Das ist wie ein kleiner Umzug, jedes Mal müssen wir alles wieder ein und auspacken. Wahnsinn.“
Mit zwei Kindern genügte der Campingwagen nicht mehr
Gut gesichert werden muss auch der Trockner, der im Schlafzimmer des Ehepaars steht – dem letzten Raum im Schausteller-Wohnmobil, das nicht zu vergleichen sei mit seinem Vorgänger, einem Campingwagen. „Mit zwei Kindern hat das schlichtweg nicht mehr gereicht“, so der 40-Jährige.
Neben seiner Liebe zum Beruf sieht Wiegand noch einen weiteren positiven Punkt am Schaustellerdasein: „Wenn man sich mal mit den Nachbarn nicht versteht, ist man nach einer Woche wieder weg.“
Lebt und arbeitet gerne digital - egal, ob mit Texten, Fotos oder Videos. Hat in Essen Literatur und Medienpraxis studiert, arbeitet seit 2014 bei den Ruhr Nachrichten und ist seit 2018 als Redakteur in Werne tätig.
