Kriege rufen bei vielen Menschen existenzielle Ängste hervor und können zu schweren Traumatisierungen führen. Aber es gibt verschiedene Strategien, damit umzugehen.

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Psychologin über Kriegs-Traumata: „Darüber sollten sich auch Gastfamilien im Klaren sein“

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Der Ukraine-Krieg verängstigt viele Menschen. Wie können wir mit dieser Angst umgehen? Und was sollten Leute wissen, wenn sie Flüchtlinge bei sich aufnehmen? Das erklärt eine Werner Psychologin im Interview.

Werne

, 08.03.2022, 14:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Der Krieg in der Ukraine hat in vielerlei Hinsicht auch Auswirkungen auf die Menschen in Deutschland. Abgesehen von der in solchen Krisensituationen immer wieder drastisch steigenden Hilfs- und Spendenbereitschaft, den Solidaritätsbekundungen und Protesten führt er zu großen Sorgen. Dazu gehört die Angst davor, dass sich der Krieg noch mehr ausweitet und womöglich bald vor der eigenen Haustür wütet.

Wozu führt das alles und wie sollten wir mit dieser Angst umgehen? Unter anderem darüber haben wir mit der Werner Diplompsychologin und Psychotherapeutin Dr. Gabriele Angenendt gesprochen.

Frau Angenendt, der Krieg veranlasst einige Menschen bereits wieder zu Hamsterkäufen. Jodtabletten sind gerade besonders begehrt. Inwiefern ist dieses Verhalten nachvollziehbar?

Vorab muss man betonen, dass es keine gute Idee ist, Jodtabletten ohne ärztliche Anweisung rein prophylaktisch zu nehmen. Davon abgesehen ist dieses Verhalten aber durchaus nachvollziehbar. Denn unser Bedürfnis nach Berechenbarkeit und Sicherheit ist gerade nicht befriedigt. Es ist der Versuch, in einer unkontrollierbaren Situation, wieder die Fäden in die Hand zu bekommen. Der Versuch, etwas Sinnvolles zu tun, um sich selbst zu schützen und seinen Alltag dadurch einigermaßen stabil bewältigen zu können.

Die Werner Diplompsychologin und Psychotherapeutin Dr. Gabriele Angenendt.

Die Werner Diplompsychologin und Psychotherapeutin Dr. Gabriele Angenendt. © Angenendt

Aber nicht alle Menschen verhalten sich so. Manche scheinen sich überhaupt nicht zu sorgen. Sind die vielleicht schon emotional abgestumpft durch die Corona-Pandemie?

Abgestumpft würde ich das nicht nennen. Es handelt sich einfach um unterschiedliche Bewältigungsstrategien in Krisensituationen - um verschiedene Formen, mit Bedrohungen umzugehen. Das gilt für die Menschen hier genauso wie für die Menschen in der Ukraine. Einige reagieren mit großer Angst und wollen so schnell wie möglich weg, andere reagieren eher mit Aggressionen und gehen in den „Kampfmodus“. Wieder andere erstarren förmlich im Angesicht der erlebten Bedrohung.

Unterscheiden sich Pandemie und Krieg für den Einzelnen vor allem durch den Grad der Kontrollierbarkeit?

Das kann man schon so sagen. Bei der Pandemie konnten wir immer selber etwas tun - zum Beispiel, indem wir Abstand halten, Masken tragen, zu Hause blieben. Bei einem Krieg, den wir aus der Entfernung beobachten und bei dem wir Angst haben, dass er uns auch treffen könnte, ist das anders. Da kann man nur hoffen und irgendwie aktiv werden. Viele Menschen helfen ja gerade und spenden. Sie wollen nicht tatenlos zusehen. Es gibt aber natürlich weitere Unterschiede - und auch Gemeinsamkeiten.

Viele Menschen solidarisieren sich auf unterschiedliche Weise mit der Ukraine - wie hier bei einer Kundgebung des Internationalen Clubs Werne (ICW) auf dem Marktplatz.

Viele Menschen solidarisieren sich auf unterschiedliche Weise mit der Ukraine - wie hier bei einer Kundgebung des Internationalen Clubs Werne (ICW) auf dem Marktplatz. © ICW/Dammermann

Welche denn?

Man muss zunächst unterscheiden zwischen subjektivem Bedrohungserleben und objektiver realer Bedrohung. Das kann sehr voneinander abweichen. Es gibt schließlich auch Menschen, die sich durch die Pandemie hochgradig existenziell bedroht fühlen. Eine Gemeinsamkeit ist, dass es in beiden Fällen Feinde gibt: Bei der Pandemie sind es die Viren, beim Ukraine-Krieg ist es ein Aggressor, der Bomben wirft.

Wie bekommt man solche existenziellen Ängste in den Griff?

Wichtig in solchen Zeiten ist der Umgang mit den Informationen, die wir über die Medien bekommen. Als Einzelner sollte man versuchen, das für sich zu begrenzen, indem man sich beispielsweise nicht mehr abends unmittelbar vor dem Schlafen gehen noch diese schlimmen Bilder anschaut. Soziale Kontakte sind ebenfalls wichtig, um über Ängste und Sorgen sprechen zu können.

Manche Menschen haben durch die Pandemie auch schon ihre eigenen Strategien entwickelt, etwa Spazieren und Yoga - auch wenn sich das in Kriegszeiten etwas lapidar anhört. Wichtig ist in solchen Zeiten, sich mit Dingen zu befassen, die man kontrollieren kann, denn das nimmt das Gefühl des Ausgeliefert-Seins.

In Werne spenden viele Bürger für die Ukraine. Eine Sammelstelle befindet sich in der Lutherkirche.

In Werne spenden viele Bürger für die Ukraine. Eine Sammelstelle befindet sich in der Lutherkirche. © Felix Püschner

Und wenn man das nicht schafft? Wann sollte man sich Hilfe suchen?

Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber spätestens, wenn man merkt, dass man den Alltag nicht mehr bewältigen kann und nur noch Katastrophen-Gedanken hat, ist das ein Zeichen dafür, dass man sich professionelle Hilfe suchen sollte. Der erste Weg sollte zum Hausarzt führen. Man kann sich aber auch an die Hotline der KVWL wenden (Tel. 116 117). Ein Problem ist, dass die Praxen der Psychologen und Psychotherapeuten schon vor der Pandemie überfüllt waren. Das wird jetzt nicht besser.

Weil nun viele traumatisierte Flüchtlinge zu uns kommen?

Ja, deswegen auch. Und diese Menschen sind nicht nur durch den bisherigen Verlauf des Kriegs traumatisiert, den sie selbst vor Ort erlebt haben. Es wird für viele Frauen und Kinder noch traumatisierend sein, dass die Männer und Väter noch immer in der Ukraine sind und kämpfen. Das Trauma ist für sie also nicht vorbei. Vielleicht sehen sie ihre Familien nie wieder.

Das sind aber natürlich andere Traumata als sie die Bevölkerung hier hat, wo es eher um Informationstraumata geht. Die resultieren daraus, dass man diese schrecklichen Bilder sieht und nicht direkt helfen kann. Oder um Retraumatisierungen der älteren Generationen, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben.

Alina Gulianska (r.) mit Sohn Renat und Victoria Vlodisenko mit Sohn Vladislav stehen im Garten der Familie Baum in Werne. Dort fanden die Ukrainer eine Unterkunft.

Alina Gulianska (r.) mit Sohn Renat und Victoria Vlodisenko mit Sohn Vladislav stehen im Garten der Familie Baum in Werne. Dort fanden die Ukrainer eine Unterkunft. © Tobias Larisch

Auch Kinder sehen diese Bilder - wie sollten Eltern damit umgehen?

Sie sollten sie davor schützen, aber den Krieg durchaus thematisieren und versuchen, ihnen zu erklären, was dort passiert. Vorausgesetzt, die Kinder sind alt genug. Die Kinder alleine vor den Fernseher zu setzen, ist nicht gut. Wenn sie noch kein echtes Verständnis von Zeit und Entfernung haben, kann nämlich schon der Fernseher im Wohnzimmer für sie zu einer Bedrohung werden. Eltern sollten zeigen, dass der Krieg sie emotional berührt - aber sie sollten auch zeigen, dass Mama und Papa in der Lage sind, ihren Kindern Schutz zu bieten.

Schutz wollen viele Menschen auch den Flüchtlingen bieten und holen sie deswegen von der Grenze ab. Inwiefern kann das problematisch sein?

Es ist auf jeden Fall gut, dass die Menschen das tun. Denn die Alternative wäre ja, dass die Flüchtlinge noch länger an der Grenze stehen und dann in Auffanglagern untergebracht werden, wo man sich nicht ausreichend um sie kümmern kann. Wenn sie in Familien untergebracht sind, können sie mehr Zuwendung erhalten. Allerdings sollten sich die Familien auch im Klaren darüber sein, dass sie teils schwer traumatisierte Menschen zu sich holen, die medizinische und psychologische Hilfe benötigen.

Menschen tragen ihre Kinder und versuchen am Bahnhof von Kiew in einen Zug nach Lwiw zu steigen.

Menschen tragen ihre Kinder und versuchen am Bahnhof von Kiew in einen Zug nach Lwiw zu steigen. © picture alliance/dpa/AP

Und wie sollte man sich dann verhalten?

Sie sollten sehr achtsam im Umgang mit diesen Menschen sein. Schon für uns Alltägliches und zum Beispiel jeder Behördengang kann für die Flüchtlinge extrem belastend sein und sie überfordern. Sie können sich durch die große innere Unruhe vielleicht nicht mehr konzentrieren, Neues kaum aufnehmen, fangen plötzlich an zu weinen. Das kann aber auch im neuen „Zuhause“ passieren. Dann sollten die Gastfamilien Unterstützung anbieten und/oder sich an Fachleute wenden.

Was können denn die Schutzsuchende selber tun, damit es ihnen besser geht?

Sie könnten die Hilfsangebote annehmen, die es in ihrer Stadt schon gibt. Die ev. Kirchengemeinde Werne bietet zum Beispiel demnächst ein „interkulturelles Frauencafé“ an, in dem sich die geflüchteten Frauen treffen, vernetzen und sich auch mit deutschen Frauen über wichtige Themen austauschen können. Die Kinder werden in dieser Zeit betreut. Zudem ist ein Flyer in Arbeit, der den Frauen helfen soll, Traumatisierungen zu erkennen und erste Wege der Selbsthilfe aufzuzeigen.

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