Marco Lösch und Friederike Solfrian-Witteler stehen in einer Küche mit Lebensmitteln.

Getränke sind nicht das Problem: Marco Lösch und Friederike Solfrian-Witteler haben eine neue Selbsthilfegruppe für Essstörungen gegründet. © Jörg Heckenkamp

Menschen mit Essstörung in Werne ernten viel Unverständnis: „Iss weniger!“

rnNeue Selbsthilfegruppe Werne

In Werne-Stockum hat sich eine neue Selbsthilfegruppe gegründet. Ihre Mitglieder leiden unter einem Problem, auf das Außenstehende oftmals so reagieren: „Dann iss eben weniger.“

Werne

, 14.09.2022, 15:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

Die Mitglieder einer neuen Selbsthilfegruppe in Werne-Stockum plagen Probleme, auf die selbst ihre Familienangehörigen bisweilen mit Unverständnis reagieren. Oder sie tun sie, gerade bei Männern, als Lappalie ab. Betroffene fühlen sich daher oft nicht ernst genommen, wenn sie Sätze hören wie „Dann iss eben weniger“. Die Selbsthilfegruppe soll ihnen neuen Mut geben.

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„Essstörungen können in diversen Formen auftreten“, sagt der Gründer der Gruppe, Marco Lösch. Zum Beispiel die bekannte Ess-Brech-Sucht (Bulimie) oder die Magersucht. Lösch selbst leidet an der sogenannten „Binge-Eating-Störung“: ein Über-Essen großer Mengen von Nahrungsmitteln. „Ich bin der Typ, der nachts den Kühlschrank leer isst.“ Lösch geht ganz offen mit seiner Sucht um. Redet mit anderen darüber. Nur so kann er sein Leiden in den Griff bekommen.

Marco Lösch und Friederike Solfrian-Witteler halten das Symbol für die Selbsthilfegruppe Cactus in den Händen.

Jeden Dienstag um 19.15 Uhr kommt die Gruppe im Pfarrheim St. Sophia Stockum zusammen. © Jörg Heckenkamp

Der 49-Jährige hat früher auf anderem Wege versucht, seine Fress-Attacken zu zügeln. „Ich hatte keinen Kühlschrank mehr und habe keine Lebensmittel auf Vorrat gekauft“, sagt er. Das habe sein Problem eingegrenzt. Gelöst hat es das nicht. „Jeder Sucht liegen ja irgendwelche Ursachen zugrunde.“ An die müsse man ran.

Essstörung kam mit Wucht ans Tageslicht

Sein Problem brach mit Wucht wieder ans Tageslicht, als er seine Frau kennenlernte. Wog er vorher 80 Kilo, schnellte das Gewicht durch das Zusammenleben auf 110 Kilogramm hoch - essen bis zum Geht-nicht-mehr. Mittlerweile hat er mit seiner Frau verabredet, dass sie nachts die Küchentür abschließt. Das hilft. Und vor allem die Kontakte in der Selbsthilfegruppe.

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Wie kam Lösch auf die Idee, sie zu gründen? „Ich habe schon Erfahrungen mit einer anderen Sucht“, sagt er freimütig. Darauf basierend vermutete er, dass es auch andere Menschen wie ihn mit Essstörungen gebe. Der Stockumer schaltete eine Such-Anzeige bei ebay-Kleinanzeigen. Gemeldet hat sich als erste Friederike Solfrian-Witteler aus Unna.

Marco Lösch und Friederike Solfrian-Witteler zeigen den symbolischen Kaktus.

Der Kaktus kann dünn oder dick sein, deswegen passt er gut als Symbol und Namensgeber für die Gruppe, meinen Marco Lösch und Friederike Solfrian-Witteler. © Jörg Heckenkamp

„Wir beide haben dann die Gruppe ins Leben gerufen“, sagt Lösch. Ein Name ist auch schon gefunden: Cactus. „Die gibt es in schlank und in dick. Wir fanden, das passt“, sagt Solfrian-Witteler. Am aufwändigsten war die Suche nach einem Treffpunkt. Die Kirchengemeinde St. Sophia in Stockum half. Lösch: „Wir treffen uns dort jeden Dienstag um 19.15 Uhr.“ Solfrian-Witteler ergänzt: „Wer Interesse hat, schaut einfach vorbei, ohne Anmeldung. Gebühren oder Beiträge gibt es nicht.“

Hürden zur Teilnahme so gering wie möglich

Die beiden wollen die Hürden zur Teilnahme so gering wie möglich halten. Denn sie sind vom Konzept der Selbsthilfegruppe für Essstörungen überzeugt. Lösch: „Auch wenn Familie und Freunde sagen ‚Wir verstehen dein Problem‘, dann verstehen sie es in Wirklichkeit nicht richtig. Verstehen kann das nur jemand, der selbst betroffen ist.“

Er versucht dem Reporter zu schildern, was bei einer Heißhunger-Attacke in ihm vorgeht. „Ich weiß ja, dass es nicht gut ist, was ich da mache. Aber ich stehe dann neben mir und kann es nicht kontrollieren.“ Friederike Solfrian-Witteler schaut ihn nachdenklich an. Die Gruppe helfe, „dass man sich mit sich selbst auseinandersetzt“.

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Es sind mindestens fünf, meist einige mehr aus Werne und Umgebung, die sich jeden Dienstag treffen. „Zu Beginn gibt es immer eine Befindlichkeitsrunde“, sagt Lösch. Man erzähle, wie die abgelaufene Woche gelaufen ist, ob man was Positives oder Negatives erlebt hat. „Daraus ergeben sich meist schon die Gespräche des Abends“, sagt Solfrian-Witteler.

Zum Schluss setze sich jeder ein Ziel. „Nichts zu Großes, eher Mini-Ziele, die man auch erreichen kann“, sagt der 49-Jährige Wie erreicht man seine Ziele? „Da gibt es keinen Königsweg“, sagt Solfrian-Witteler. Kommunikation sei sehr wichtig, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Eben in der Selbsthilfegruppe: „Das hilft.“

Infos zur Gruppe
  • Unter „Selbsthilfegruppe Essstörung, Esssucht, Adipositas Cactus“ ist sie bei ebay-Kleinanzeigen zu finden, inklusive etlicher Kontaktdaten.
  • Treffen: Jeden Dienstag um 19.15 Uhr im Pfarrheim St. Sophia, Boymerstraße 3, in Werne-Stockum. Die Teilnahme ist jederzeit ohne Anmeldung möglich.
  • E-Mail: selbsthilfe-cactus@web.de
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