Jung und Alt unter einem Dach und das in zentraler Lage. Das Ehepaar Husmann hat sich bewusst für das Mehrgenerationen-Wohnprojekt entschieden – und zieht von Wilhelmshaven nach Werne.

von Andrea Wellerdiek

Werne

, 13.02.2019, 05:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Ein Glas Wein an einem lauen Sommerabend zwischen den Laubengängen genießen. Einen Plausch mit dem Nachbarn halten, sich erkundigen, ob es dem anderen gut geht. So stellt sich Wilfried Husmann einen Abend in seinem neuen Zuhause vor.

Er zieht gemeinsam mit seiner Frau Barb Draeger-Husmann ins neue Mehrgenerationen-Objekt am Becklohhof. Dafür zieht das Ehepaar, dessen Tochter in Herbern wohnt, von Wilhelmshaven nach Werne.

Das Wohnprojekt in Werne, bei dem junge und alte Menschen unter einem Dach gemeinsam wohnen und sich unterstützen, hat die beiden Rentner überzeugt. Und sie bringen von der Nordseeküste auch die 90-jährige Mutter von Barb mit, die eine kleine Wohnung im Erdgeschoss beziehen möchte.

Wohnprojekt überzeugt im Vergleich zu anderen

Schon seit einigen Jahren spielt das Ehepaar mit dem Gedanken, in ein Haus, in dem mehrere Generationen gemeinsam wohnen, zu ziehen. „Ich habe mir ein Limit gesetzt: Bis ich 70 Jahre alt bin, wollte ich es in trockenen Tüchern haben“, sagt Wilfried Husmann.

Nun ist er 68 Jahre alt und ist gemeinsam mit seiner Frau Mitglied der Planungs-GbR für das Wohnprojekt am Becklohhof. Wenn alles nach Plan läuft, ziehen die beiden in zweieinhalb Jahren in ihre neue 110 Quadratmeter große Eigentumswohnung in der zweiten Etage in den Neubau am Becklohhof ein.

Das Wohnprojekt „Gemeinsam Wohnen an den Linden“ hat die beiden Norddeutschen, die sich bereits vier andere ähnliche Wohnprojekte angeschaut haben, schnell überzeugt, wie sie erzählen.

Das Ehepaar Husmann hat sich schnell für das Wohnprojekt in Werne entschieden. Zuvor haben sich die beiden einige andere Mehrgenerationen-Projekte angeschaut.

Das Ehepaar Husmann hat sich schnell für das Wohnprojekt in Werne entschieden. Zuvor haben sich die beiden einige andere Mehrgenerationen-Projekte angeschaut. © Andrea Wellerdiek

Seitdem sie sich bewusst für das Mehrgenerationenwohnen in Werne entschieden haben, wurde ihr Rentnerleben auf den Kopf gestellt, wie Barb Draeger-Husmann mit einem Schmunzeln erklärt. Bestimmt 3000 Kilometer mehr auf dem Tacho hat ihr Wohnmobil seit Sommer 2018 aufgrund der Reisen allein nach Werne.

Immer wenn eine Sitzung oder ein Stammtisch des Wohnprojekts ansteht, reisen die Husmanns aus Wilhelmshaven an. Sie wollen die potenziellen neuen Nachbarn kennenlernen, sich mit ihnen über die nächsten Schritte und Ideen austauschen, Werbung für das Projekt machen, mitbestimmen und ihr Wissen einbringen.

Wissen aus der Bautechnik-Branche mit einbringen

Wilfried Husmann, der gelernter Schiffsingenieur ist, hat lange in der Bautechnik-Branche gearbeitet. Wenn es um Baustoffe oder generell um Fragen rund um ökologisches Bauen geht, ist er gleich involviert. Seine Frau Barb bringt Erfahrungen als Energieberaterin und Hauswirtschaftsleiterin mit. Im Alter von 48 Jahren hat sie ein Studium begonnen und arbeitete zuletzt als Berufsschullehrerin.

Auch sie sprüht vor Ideen. „Ich kann mir vorstellen, dass ich in unserem Gemeinschaftsraum künftig Beratungen – zum Beispiel für Flüchtlinge – anbiete. Oder wir machen einen Mittagstisch. Das wäre vielleicht auch für das Berufskolleg nebenan interessant“, sagt die 64-Jährige.

Dr. Josef Bura, Vorsitzender vom Forum Gemeinschaftliches Wohnen, bringt seit 25 Jahren Projekte im Mehrgenerationenwohnen mit auf den Weg.

Dr. Josef Bura, Vorsitzender vom Forum Gemeinschaftliches Wohnen, bringt seit 25 Jahren Projekte im Mehrgenerationenwohnen mit auf den Weg. © Forum Gemeinschaftliches Wohnen

Gemeinsame Zeit, gegenseitige Unterstützung und das selbstständige Leben bis ins hohe Alter. Auf der anderen Seite knapper Wohnraum, steigende Mieten und fehlende Betreuungsmöglichkeiten durch die eigene Familie. Die Form des gemeinschaftlichen Wohnens wird immer beliebter.

Schätzungsweise 4000 bis 5000 Projekte des Mehrgenerationenwohnens gibt es laut dem Forum für Gemeinschaftliches Wohnen e.V. Bundesvereinigung deutschlandweit. Weil es wie in Werne häufig privat initiierte Wohnprojekte sind, gibt es keine genaue Statistik.

„Nordrhein-Westfalen steht, wenn es um gemeinschaftliches Wohnen geht, auf jeden Fall gut da. Schon lange gibt es hier Fördermöglichkeiten“, sagt Dr. Josef Bura, Vorsitzender vom Forum Gemeinschaftliches Wohnen.

Unterstützung der Kommunen

„Viele Menschen verbinden mit dem Mehrgenerationenwohnen ein Stück Normalität. Sie leben bis ins hohe Alter in einem Quartier mit Menschen unterschiedlichen Alters“, erklärt der 73-Jährige. Seit etwa zehn Jahren erkennt er, dass auch viele Kommunen solche Wohnformen unterstützen. „Solche Wohnprojekte machen Quartiere lebendiger. Sie öffnen ihre Gemeinschaftsräume für andere, sodass viele Menschen davon profitieren können.“

Mehrgenerationenwohnen sei vor allem bei den Menschen beliebt, die sich gern auf junge Menschen einlassen möchten. Oder es sind laut Bura Menschen, die selbst keine Kinder haben, aber in einem solchen Wohnprojekt gern anderen Familien mit Nachwuchs unterstützen möchten.

Damit eine solche Nachbarschaft funktioniert, müsse jeder offen und bereit sein, sich auf jemand anderen einzulassen. „Wenn es um soziale Beziehungen geht, gibt es keine Garantien. Es ist auch ein Abenteuer. Man muss leben und leben lassen. Wer keine andere Meinungen gelten lässt, ist fehl am Platz“, sagt Bura, der seit 25 Jahren Projekte des gemeinsamen Wohnens mit auf den Weg gebracht hat.

„Wer keine anderen Meinungen gelten lässt, ist fehl am Platz.“
Dr. Josef Bura, Vorsitzender vom Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.V.

Konflikte möchten sie künftig sofort besprechen – vielleicht beim gemeinsamen Kochen im Gemeinschaftsraum, sagt Barb Draeger-Husmann über ihr neues Zuhause in Werne. In einer guten Nachbarschaft zu wohnen, in der man sich gegenseitig hilft – das ist für das Ehepaar Husmann die wichtigste Prämisse für das Mehrgenerationenwohnen.

„Wenn die berufstätige Mutter das Kind mal nicht vom Kindergarten abholen kann, dann können wir das doch machen. Das Kind kann dann noch etwas bei uns essen, bis die Mutter es um 17 Uhr abholt“ – wie ganz selbstverständlich zeichnet Wilfried Husmann ein Szenario, wie es sich künftig in dem Haus abspielen könnte.

Oder er repariert ein Fahrrad in der Gemeinschaftswerkstatt, sie bringt einer älteren Bewohnerin Gemüse vom Markt mit. Wie das hilfreiche Miteinander künftig aussehen könnte, kann sich das Ehepaar schon heute gut vorstellen.

Selbstständigkeit so lange es geht

Wie viele andere Mitstreiter – momentan sind es vor allem ältere Menschen – können sich auch die Husmanns darüber hinaus vorstellen, dass künftig eine Pflegekraft mit auf das Gelände zieht. „Wenn die Nachfrage in der Gemeinschaft hoch genug ist, könnten wir zum Beispiel selbst als Arbeitgeber fungieren“, erklärt Barb Draeger-Husmann. Der Wunsch, „so lange wie möglich selbstständig zu sein“, ist aber natürlich da, sagt ihr Ehemann.

In einer guten Nachbarschaft kann man sich aber auch gegenseitig unter die Arme greifen. Beide sind positiv gestimmt, dass es klappen kann. „Vom Gefühl her passt das. Wir haben schon über sehr viel Privates gesprochen. Die Grundlage, dass wir gemeinsam leben wollen, ist da“, berichtet Wilfried Husmann über das erste Kennenlernen der anderen Mitstreiter des Wohnprojekts.

„Wir wollen unsere Gemeinschaft gestalten und nicht nur hier wohnen.“
Barb Draeger-Husmann

Den gebürtigen Bremer hat neben dem sozialen Aspekt des gemeinsamen Wohnens von Anfang an auch die professionelle Herangehensweise gemeinsam mit den Architekten überzeugt. Für das Ehepaar, das in Wilhelmshaven das eigene „viel zu große“ Haus verkaufen wird, soll es mehr als eine Zweckgemeinschaft sein: „Wir wollen unsere Gemeinschaft gestalten und nicht nur hier wohnen“, sagt Barb Draeger-Husmann, die in der Lüneburger Heide geboren ist.

Es soll der letzte Umzug der beiden werden. „Wir sind immer unseren Jobs hinterher gezogen“, erzählt die 64-Jährige und zählt auf: Bremen, Hamburg, Frankfurt und seit 20 Jahren Wilhelmshaven. „Als die Kinder klein waren und ich berufstätig war, kannten wir zum Beispiel in Frankfurt niemanden. Das war manchmal sehr schwierig. Da haben wir Netzwerke geknüpft und haben so Hilfe bekommen“, berichtet Barb Draeger-Husmann. Sie weiß, wie wichtig solche Nachbarschaftshilfen sein können.

So könnte das geplante Mehrgenerationenhaus an der Ecke Tenhagenstraße/Beckhlohhof einmal aussehen.

So könnte das geplante Mehrgenerationenhaus an der Ecke Tenhagenstraße/Beckhlohhof einmal aussehen. © Engel&Haehnel

Im Mehrgenerationenprojekt „Gemeinsam Wohnen an den Linden“ in Werne ist laut dem Initiator Andreas Drohmann die Hälfte aller Wohnungen vergeben. Im Obergeschoss gibt es demnach keine Wohnung mehr. „Es sind aber noch Wohnungen in verschiedenen Größen zu haben: 45 bis 107 Quadratmeter“, sagt Drohmann.

Auch die beiden Einheiten in der geplanten Doppelhaushälfte, das noch etwa ein halbes Jahr für Familien reserviert ist, sind noch frei. „Wir hoffen, dass wir den Preis von 2700 Euro pro Quadratmeter für die Eigentumswohnungen halten können“, sagt Drohmann.

Einzug wohl Mitte 2021

Zwei Mietwohnungen mit jeweils 62 Quadratmetern sind ebenso noch zu haben. Mindestens 30 Wohnungen entstehen insgesamt auf dem Gelände am Becklohhof/Tenhagenstraße. Es können aber auch noch Einheiten zusammengelegt werden, sodass auch Platz für 33 Wohnungen besteht, so Drohmann.

Der Initiator rechnet derzeit mit einem Baubeginn in rund einem Jahr. Mindestens genauso lange wird wohl der Bau an sich dauern. Mitte 2021 könnten demnach die ersten Bewohner einziehen.