Kriegsende in Werne 1945 Zeitzeugen schildern, was sich in der Lippestadt abspielte

Von Heidelore Fertig-Möller
Wie die Bürger von Werne das Kriegsende 1945 erlebten
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Vor 80 Jahren - in der Nacht auf Karsamstag (31. März) 1945 - zogen amerikanische Truppen in Werne ein. Damit endete für die Bewohner der Lippestadt der Zweite Weltkrieg, der vielerorts ein Bild der Zerstörung hinterließ. Seit 1943 wurden vermehrt ganze Städte und Landstriche durch Bombenabwürfe zerstört und ab Ende 1944 begannen die sowjetischen Truppen, in die östlichen Reichsteile vorzudringen. Im Westen waren es vor allem die Briten und Amerikaner, die bis zum Rhein und im Februar/März 1945 auch darüber hinaus nach Westfalen und weiter gen Osten vorstießen.

Die Fliegerbomben, die 1944 und 1945 auf Wernes Nachbarstädte Münster, Dortmund, Hamm und auch auf Bergkamen fielen und die Innenstädte oftmals zu 95 Prozent zerstörten, flogen über Werne hinweg, da hier, außer der Zeche, kein für sie lohnendes Ziel vorhanden war. Einige wenige Bombenschäden sind aber auch in Werne dokumentiert: Am 30. August 1940 fielen auf das Gehöft Südfeld an der Selmer Landstraße die ersten Brandbomben – wenig später wurde auch der Hof Kranemann und das Wohnhaus Bücker in Varnhövel zerstört.

Anfang 1945 trafen Bomben das Anwesen Högemann und am 21. März zerstörten Tiefflieger Moormanns Autohalle. Am 26. März fielen sogar Bomben auf Evenkamp – zum Glück waren es Blindgänger. Auf die Zeche Werne wurde seltsamerweise keine Bombe abgeworfen, sodass der Betrieb nach Kriegsende sofort wieder aufgenommen werden konnte. Nur das einstige Maschinenhaus von Schacht III in Rünthe und die Zechenbahn wurden von Bomben getroffen.

Am Himmel reihten sich die Bomber

Wie Karl-Heinz Stengl, heute 90 Jahre alt, in seinen Erinnerungen schreibt, waren die letzten Wochen vor Kriegsende, als die Front immer näher kam, für die Zivilbevölkerung besonders schlimm.

„Am Himmel reihten sich am Tage schwere Bomber in endlosen Formationen, mit dem Ziel, noch nicht zerstörte Städte zu bombardieren. In Bodennähe huschten ihre Jagdflugzeuge von früh bis spät über Hecken und Zäune und schossen auf alles, was ihnen auch immer kriegswichtig erschien. Wir Kinder standen oft vor Schreck wie gelähmt, wenn sie uns beim Spielen oder auf dem Schulweg überraschten. Sie flogen oft so tief, dass wir die Piloten mit ihren Lederkopfhauben in den Kanzeln ihrer Maschinen erkennen konnten – sie verbreiteten in der letzten Phase des Krieges Angst und Schrecken. Nach solchen Erlebnissen kamen wir oft mit nasser Hose zu Hause bei Mutter an und weinten uns bei ihr aus. Was wussten wir schon von den Sorgen der Familien während der täglichen Bombenalarme. Als unsere Lehrerin dann mit fremden Kindern in unsere Klasse kam und sagte, dass es sich um Kinder ausgebombter Familien handelte, die obdachlos und geflüchtet waren, wurden wir ganz still und hofften, dass dies nicht auch uns treffen würde.“

Der Horchtrichter der Flugwache in Werne-Holthausen
So sah der Horchtrichter der Flugwache in Werne-Holthausen aus. © Archiv Förderverein Stadtmuseum

Noch am Gründonnerstag, den 29. März 1945, sprengte man kurz vor dem Eintreffen der Amerikaner nicht nur die Lippebrücke an der Kamener Straße, sondern auch die südlich von Mutter Stuff ausgelagerte Munition – es war ein riesiges Feuerwerk, das große Waldflächen einfach abrasierte. Wie die Werner Bevölkerung den Karfreitag 1945 erlebte, als die amerikanischen Truppen nach Werne einmarschierten, kann man am besten in den Zeitzeugenberichten, die 1995 in der Geschichtswerkstatt des Museums und der VHS unter Leitung von Heidelore Fertig-Möller, Felix Vehring und Regina Ruß anlässlich „50 Jahre Kriegsende“ zusammengetragen und veröffentlicht wurden, nachlesen.

Irmgard Vehring aus Werne sitzt in ihrem Garten.
Die Erinnerungen von Zeitzeugin Irmgard Vehring kann man heute noch in einer Broschüre nachlesen. © Archiv Förderverein Stadtmuseum

Die langjährige Realschullehrerin Margret Hatting schrieb in derselben Broschüre Folgendes:

„Nach Hörensagen standen am Gründonnerstag 1945 die amerikanischen Panzer schon in Südkirchen. Es musste wohl stimmen, denn am Karfreitag auf Karsamstag (30./31. März 1945 ) rückten die ersten Panzer in Werne ein. Sie rasselten über die Burgstraße, bogen in die Steinstraße ein und fuhren zum Marktplatz. Wir waren aus unseren Luftschutzkellern in die Wohnungen gegangen, denn Fliegeralarm gab es für uns zum Glück nicht mehr. Von unserem Wohnzimmerfenster sah ich die Panzer auf dem Marktplatz stehen und habe auch gesehen, dass die Tochter von Käthe Rittner aus dem Evenkamp den Amerikanern einen Blumenstrauß reichte, weiß aber nicht mehr, ob sie diese Blumen angenommen haben.“

Pater zog Amerikanern mit weißer Fahne entgegen

Durch das beherzte Eingreifen von Pater Venantius vom Kapuzinerkloster, der mit einer weißen Fahne den Amerikaner entgegenzog, gelang es, dass trotz vereinzelnder Gegenwehr von versprengten Nazis, Werne ohne Blutvergießen an die Amerikaner übergeben werden konnte. Nach dem Einmarsch zogen zwar nach wie vor noch die Bomberflotten ihre Kondensstreifen über Werne an den Himmel, mit Zielen weiter im Osten, aber sie waren keine Gefahr mehr für die Bevölkerung in Werne. Die Menschen hier waren froh, dass sie überlebt hatten und Werne weitestgehend unzerstört geblieben war.

Es gab aber in diesen Wochen im April 1945 keine Verwaltungsorgane mehr, keine Polizei, auch keinen Schulbesuch oder ähnliches. Die dann eingesetzte englische Besatzungsmacht versuchte, durch Erlasse eine neue Ordnung aufzubauen und als Erstes wurde Carl Brauckhoff Anfang April als kommissarischer Bürgermeister von Werne eingesetzt. Zeitzeugen erzählten, dass der Kinobesitzer Brauckhoff deshalb auserwählt wurde, da er die englischen Soldaten mit einigen Brocken Englisch begrüßen konnte. Am 17. April übertrug die Besatzungsmacht dann dem Werner Architekten Theodor Wenning (1887-1958) das Bürgermeisteramt, der dieses auch bis zum Jahre 1958 innehatte.

Wehrpässe und Orden aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs liegen in einer Glasvitrine im Obergeschoss des Stadtmuseums in Werne.
Im Obergeschoss des Werner Stadtmuseums sind noch einige Zeugnisse aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen - darunter Wehrpässe und Orden. © Felix Püschner

Helmut Landenberg, damals 15 Jahre alt, erzählte in der Geschichtswerkstatt über die ersten Wochen nach dem Einmarsch folgendes:

„Die Schulen waren geschlossen, die Jugendverbände hatten sich ins Nichts aufgelöst. Wir, die Jugend, die nach den Worten von Adolf Hitler die ‚Garanten der Zukunft‘ waren, hatten keine Aufgabe mehr. Für uns war das Heldentum für Deutschland, wovon man uns vorher ohne Unterlass erzählt hatte, über Nacht abhandengekommen – keiner wagte mehr, davon zu sprechen. Die Wettbewerbe, bei denen es darauf ankam zu zeigen, dass wir ‚flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Krupp-Stahl‘ waren, waren vergessen. Mutter hatte meine Jungvolk-Uniform im Küchenherd verbrannt – wir hingen auf der Straße herum und warteten auf das offizielle Kriegsende.“

Ein Foto aus dem Nachlass von Heinz Elberfeld zeigt den Soldaten aus Werne und seine Kameraden auf einem Flugzeugwrack an der Ostfront.
Ein Foto aus dem Nachlass von Heinz Elberfeld: Er kämpfte im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront. Dort entstand wohl auch dieses Foto. © Elberfeld / Repro Püschner

Mädchen-Kleid aus SA-Mänteln genäht

Irmgard Vehring, Ehefrau des späteren Heimatvereinsvorsitzenden Felix Vehring, damals wohnhaft in Evenkamp, schrieb in einem Aufsatz in derselben Broschüre:

„Die Versorgung mit allem, was man zum Leben brauchte, war nicht besonders gut. Wer wertvolle Sachen hatte, konnte manchmal bei den Bauern etwas tauschen gegen Mehl, Eier, Speck oder Kartoffeln. Es gab auch Tauschgeschäfte, dort konnte man Schuhe, Kleidung, Geschirr oder Kleinmöbel auch dann kaufen, wenn man nichts zum Tauschen hatte. Einmal bekam ich Schuhe aus dem Tauschladen, der sich damals 1945 im Alten Amtshaus, dem heutigen Museum, befand. Für die Kleidung galt das Wort ‚aus alt mach neu‘. So nähte meine Mutter mir ein Kleid aus Teilen eines SA-Mantels. Wie sie daran gekommen war, weiß ich nicht mehr – es war besser, man fragte nicht so viel.“

So endete der Zweite Weltkrieg für die Werner Bürger auf der Zeche, wo die Übergabe von Werne stattfand, und auf dem Marktplatz, wo die ersten amerikanischen Panzer standen, und sie konnten das erste Mal nach fünf kriegsbedingten Osterfeiern am 1. April 1945, vor genau 80 Jahren, das Fest der Auferstehung Christi verhältnismäßig friedlich begehen, ohne Bombenalarm, Tiefflieger, Kriegslärm und Luftschutzkeller.

Menschen stehen bei einer Kundgebung 1933 auf dem Marktplatz in Werne.
Menschen stehen bei einer Kundgebung 1933 auf dem Marktplatz in Werne. © Archiv Förderverein Stadtmuseum

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