Heinrich Elberfeld war im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront im Einsatz.

© Elberfeld / Repro Püschner

Kriegsbilder aus Werne: Alte Fotos zeigen Leben an der Ostfront

rnWerner Familien-Historie

Das Haus der Familie Elberfeld sorgt schon lange wegen seines Zustands für Diskussionen. Nun sind darin Fotos und Briefe aufgetaucht, die Einblicke in die militärische Vergangenheit der Familie geben.

Werne

, 24.04.2021, 05:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Theo Elberfeld kramt in einer alten Zigarrenkiste, die er im Haus seines 2012 verstorbenen Cousins an der Burgstraße gefunden hat. „Ach Heinz, du musstest wirklich alles verwahren“, sagt der 71-Jährige und seufzt. Heinz‘ offenkundige Abneigung, Dinge zu entsorgen, trägt mit dazu bei, dass in dem verfallenen Gebäude chaotische Zustände herrschen. Passend zu den Baustellen, die der einstige Hauseigentümer in einigen der Räume hinterlassen hat.

Das Gute an der Sache ist: In den Schränken, Schubladen und kleinen Kästchen finden sich zahlreiche Fotos und alte Dokumente, die Einblicke in die Vergangenheit der Familie Elberfeld geben. Teils stammen sie vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Und viele von ihnen haben einen militärischen Bezug. So wie die illustrierte Kriegs-Chronik aus dem Jahr 1914 mit dem Titel „Die Welt in Flammen“. Geschrieben beziehungsweise gedruckt in Fraktur.

Ein Heft aus dem ersten Weltkrieg und mehrere solcher Zigarrenschachteln voller Bilder und Dokumente hat Theo Elberfelds verstorbener Cousin Heinz verwahrt.

Ein Heft aus dem ersten Weltkrieg und mehrere solcher Zigarrenschachteln voller Bilder und Dokumente hat Theo Elberfelds verstorbener Cousin Heinz verwahrt. © Felix Püschner

Es handelt sich um Heft Nummer 11. Der Autor erklärt gleich im ersten Absatz des Textes, dass „der Weltbrand entfacht“ sei – und dass man dies ja durchaus vorausgesehen habe. Den vermeintlichen Grund für den Krieg meint er zu kennen: „Weil der Neid und die Missgunst auf Deutschlands Entwicklung in Kultur und Wirtschaft, in Handel und Industrie die Nachbarn erfüllte!“ Nun sei er also entbrannt, der „Kampf zwischen dem gesitteten Deutschtum und halbbarbarischen Slaventum“.

Warum Frankreich und Großbritannien mitmischen, liegt für den Autor ebenfalls auf der Hand. Schließlich empfinden diese Länder tiefen Hass gegen das „auf der Höhe stehende Deutschland“. Aus den Zeilen spricht Überzeugung. Genauso wie aus den Augen der Männer auf dem Foto, das plötzlich aus dem Heft herausrutscht. Es zeigt gut 30 Männer in Uniform. Bei einem davon handelt es sich vermutlich um Theo Elberfelds Großvater Heinrich.

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Opa Elberfeld war kaisertreu - und landete im KZ

„Der war kaisertreu, kämpfte im Ersten Weltkrieg – und landete dann im Zweiten Weltkrieg vorübergehend im KZ, weil er irgendetwas gesagt oder getan haben muss, das den Nazis nicht gepasst hat. Genauer weiß ich das nicht. Ich war noch ein kleines Kind, als er starb“, sagt Theo Elberfeld und runzelt die Stirn. Sein Blick ist inzwischen auf eine Postkarte gewandert. Was darauf geschrieben steht, ist kaum noch zu entziffern. Das liegt zum einen an der Handschrift des Verfassers – zum anderen daran, dass die Tinte an vielen Stellen verblasst ist.

Was man allerdings noch deutlich erkennt, sind Stempel und Datum: „11.12.16, II. Kgl. Pr. Ersatz-Bataillon Infanterie-Regiment No. 143“ steht dort. Dieser Infanterie-Verband der Preußischen Armee war ab 1914 an der Westfront im Einsatz. Scheint so, als habe Großvater Heinrich die Postkarte von dort verschickt. Und ließe sich die Schrift entziffern, dann würde man darauf wahrscheinlich keine heiteren Urlaubsgrüße lesen.

Heinrich Elberfeld inmitten seiner Kriegskameraden.

Heinrich Elberfeld inmitten seiner Kriegskameraden. © Elberfeld / Repro Püschner

In der Zigarrenschachtel finden sich noch weitere Familienfotos, die wohl ebenfalls aus dieser Zeit stammen. Zum Beispiel mit drei jungen Männern vor einem alten Automobil, ein paar schick gekleidete Herrschaften mit Zylinder und mehreren Frauen bei der Ernte auf einem Acker. Wer diese Personen sind? Theo Elberfeld zuckt mit den Schultern. „Ich habe leider keine Ahnung.“

Heinz hat all die Fotos zwar verwahrt – von chronologischer Sorgfalt fehlt aber jede Spur. Es sind Hunderte Aufnahmen. Bei denen, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammen, lässt sich allerdings sehr wohl ein Zusammenhang erkennen. „Da ist er ja, der Onkel Heiner. In Uniform an der Ostfront“, sagt Theo Elberfeld. Für einen kurzen Moment muss er dabei sogar schmunzeln.

Stolzes Posieren auf russischem Panzer

Der Grund: „Heiner“, der den gleichen Namen wie Theos Großvater trägt, sticht aus den Bildern durchaus heraus. Wegen seiner Körpergröße wirkt er neben den Kameraden wie ein kleiner Junge. Mal grinst er, mal ist seine Miene ernst. Es ist freilich nicht verwunderlich bei dem, was er erlebt haben muss. Heinrich war seinerzeit im russischen Pleskau (Pskow) stationiert. Das belegt die Beschriftung auf der Rückseite einiger Fotos. Der Marktplatz und eine Kathedrale sind darauf zu sehen. Genauso wie Soldaten, die offensichtlich voller Stolz den Reichsadler auf ihren Uniformen tragen.

Auf einem der Bilder hocken einige von ihnen auf einem abgestürzten Flugzeug und posieren wie ein Wilderer mit seiner Beute. „Abgeschossene russische Jäger, Russland 1941“ hat jemand auf die Rückseite des Fotos geschrieben. Auf einem anderen Bild steht: „Russischer 52-Tonner Panzerkampfwagen“. Einer der deutschen Soldaten hockt ganz oben auf dem Wagen und lächelt verschmitzt. Sein Kamerad steht lässig daneben. Die Körperhaltung hat etwas Arrogantes an sich. So als wollte er sagen: Diesen Panzer zu erobern war für uns ein Kinderspiel.

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Doch der Alltag in Pleskau ist in Wahrheit alles andere als das. Die deutsche Wehrmacht besetzt die damals rund 60.000 Einwohner zählende Stadt von Juli 1941 bis Juli 1944. Während dieser Zeit sollen laut Behördenschätzungen insgesamt mehr als 300.000 Menschen in und um Pleskau ihr Leben verloren haben. Partisanen und Besatzer liefern sich bittere Gefechte. Mehr als 10.000 Menschen werden als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Im Pleskauer Zwangsghetto werden 1942 zahlreiche Juden erschossen.

Viele Jahre nutzen die Deutschen die Stadt als Standort für ein Lager für russische Kriegsgefangene. Später sind es die deutschen Soldaten selbst, die hier in Gefangenschaft leben müssen. Auch Heinrich gehört dazu. Seiner Frau Antonia hatte er im Dezember 1941 noch eine Postkarte geschickt: „Fröhliche Weihnachten wünscht Euch aus dem fernen Osten bei ewigem Schnee und Kälte, Heinrich!“ Diesmal kommt keine Karte.

Nach dem Krieg traf Elberfeld den Juden Salomon

Theo Elberfeld erinnert sich an eine Szene, die sich einige Jahre nach Heinrichs Rückkehr in dessen Stuhlmacherwerkstatt an der Westmauer abgespielt hat. Onkel Heiner empfing besonderen Besuch: den Juden Heinrich Salomon. Dieser hatte zuvor mit seiner Familie in dem Haus an der Burgstraße gewohnt und dort eine Metzgerei betrieben. Nach der Pogromnacht im November 1938 war Salomon aus Werne geflüchtet - und damit einem Schicksal entkommen, das viele andere Juden der Lippestadt ereilte: die Deportation ins KZ.

„Onkel Heiner und Herr Salomon haben sich in der Werkstatt unterhalten. Es war aber kein Streit. Sie waren nicht verfeindet. Trotz allem, was damals passiert war. Sie waren Nachbarn, die sich nach vielen Jahren einfach mal wieder trafen“, sagt Theo Elberfeld. Ein Bild, das dieses Treffen dokumentiert, hat er im Fundus seines Cousins noch nicht entdeckt. Vielleicht hat Heinz eben doch nicht alles verwahrt.

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