Jürgen Menke begleitet als Marktmeister sein letztes Sim-Jü. Dann gibt er den Staffelstab weiter, besser gesagt das Handy, was das wichtigste Job-Utensil ist, an Nachfolgerin Alina Mertens.
Immer erreichbar, immer ein offenes Ohr und immer Ansprechpartner für alle Schausteller. Jürgen Menke ist seit 2003 Marktmeister von Sim-Jü. Er kennt jeden Schausteller, weiß genau, wo welches Fahrgeschäft stehen muss und beantwortet die Fragen der Beschicker. Sein Handy steht vor allem in der Woche vor Kirmesbeginn selten still. In diesem Jahr geht der 62-Jährige selbst noch dran, doch im kommenden Jahr wird sich Alina Mertens melden. Die 26-Jährige wird die Nachfolgerin von Menke. Über Herausforderungen, besondere Momente, Fehlentscheidungen und das Thema Loslassen haben sie im Interview gesprochen.
Frau Mertens, Sie werden den Job von Jürgen Menke als Marktmeister übernehmen. Wie sind Sie schon in diesem Jahr involviert?
Mertens: Im letzten Jahr bin ich nur die Sim-Jü-Tage mitgegangen. In diesem Jahr bin ich schon vorher eingestiegen im Sim-Jü-Ausschuss. Dort wird die Entscheidung getroffen, welche Fahrgeschäfte kommen.
Menke: Die Planung beginnt ja immer Ende Januar mit der Sim-Jü-Ausschusssitzung. Es muss jedes Karussell vorgestellt werden, um zu gucken, wo welches Fahrgeschäft stehen kann. Danach werden die Verträge geschrieben. Die meisten, die eine Zulassung bekommen, kommen auch, weil sie wissen, dass Sim-Jü eine Veranstaltung ist, bei der sie gutes Geld verdienen können. Es ist aber schon passiert, dass ein Fahrgeschäft kurz vorher abgesagt hat. Es kam so, weil der Betreiber nicht dort aufbauen wollte, wo ich ihn eingeplant hatte. Dann habe ich ein anderes Geschäft geholt. Das ist jetzt sieben oder acht Jahre her. Das verschwindet schnell aus dem Kopf. Schwierig wird es immer, wenn es tagelang vorher geregnet hat. Diese Fahrgeschäfte wiegen ja 50 Tonnen und mehr und wenn sie dann auf dem Parkplatz am Hagen aufgebaut werden müssen, da haben wir ja an der Horne einen Grünstreifen. Da ist ein Betreiber mit seinem Fahrzeug hineingefahren. Und der kam dann nicht mehr heraus. Da mussten wir notgedrungen ein paar Äste abschneiden, damit das Fahrgeschäft, das dort nun mal stand, auch fahren konnte. Das sind alles unvorhersehbare Momente.
Können Sie Ihre Nachfolgerin denn überhaupt auf solche unvorhersehbaren Ereignisse vorbereiten?
Menke: Man steht ja nicht alleine da. Man hat auch Kollegen, die hier im Büro sitzen und von hier aus mit unterstützen und sich auch um die Sache kümmern. Und wir müssen natürlich gucken, dass das Fahrzeug auch dahin kommt, wo es hinkommen muss. Es stehen ja auch schon viele Maschinen der Fahrgeschäfte auf dem Platz. Und wir müssen dann dafür sorgen, dass das Feuerwehrfahrzeug dann dorthin kommt, wo es hinkommen muss. Noch bin ich da. Und ich bin auch dann anwesend, wenn ich nicht mehr da bin. Auch wenn ich in meinem wohlverdienten Ruhestand bin.
Man kann es nicht von heute auf morgen lernen. Man muss sich schon einarbeiten in die Materie. Und deswegen haben wir das auch so früh entschieden, dass meine Nachfolgerin so früh dabei ist und zwei oder drei Veranstaltungen mitmacht.
Bei Ihnen war das anders, weil ihr Vorgänger Wolfgang Overmann plötzlich gestorben ist…
Menke: Ich bin da hineingerückt. Man muss auch persönlich miteinander klar kommen. Was nützt das, wenn man sich auf gut deutsch auf die Nerven geht. Bei meinem Vorgänger und mir stimmte die Chemie. Und so kam es, dass ich dann zwei Jahre – Gott sei Dank – als zweite Hand von ihm miterleben durfte und dann zumindest eine kleine Erfahrung machen konnte. Man muss die Schausteller kennenlernen. Wenn die dann fragen: Kann ich wieder da aufbauen, wo ich im letzten Jahr stand? Dann hab ich gesagt: Ja, wo haben Sie denn gestanden? So ungefähr war das. Das war schon ein bisschen schwierig, aber ich habe es bewältigt. Und in jedem Jahr wächst man in diese Aufgabe hinein. Ich glaube, dass das bei Alina auch so wird.
Bei Ihnen stimmt also auch die Chemie?
Menke: Ja, ich bin natürlich froh als Mann, so eine hübsche und nette Mitarbeiterin zu haben (lacht).
Mertens: Ich komme gern zur Arbeit. Ich hab’ da wirklich Bock drauf. Und ich freue mich auch schon jetzt auf die Veranstaltung. Es ist viel Arbeit. Aber man weiß, worauf man sich einlässt.
Was können Sie gegenseitig noch voneinander lernen?
Mertens: Er hat eine herrliche Ruhe. Auch wenn was Stressiges kommt, dann bleibst du immer locker.
Menke: Ja, man muss auch immer die Ruhe bewahren. Wenn man in Hektik verfällt, dann klappt es nicht.
Und was können Sie noch von Frau Mertens lernen?
Menke: Ein Mann lernt von einer Frau sehr viel. Bloß was man lernt, das erzähl ich besser nicht. Oder man merkt es nicht. Frauen haben sehr viel Einfluss auf die Männer. Die steuern unbewusst, was der Mann machen soll. Und der Mann merkt das gar nicht (lacht).
Wie sieht denn jetzt die Arbeitsaufteilung aus?
Menke: Wir machen alles zusammen. Wir sprechen uns ab. Sie muss ja lernen. Sie muss wissen, wie ich entscheide, damit sie es fürs nächste Jahr weiß. Nächstes Jahr bin ich wie so ein Dackel und laufe hinterher. Ich bin ja nicht weg. Ich bin ja da. Bloß das Telefon – das ist das Wichtigste überhaupt – das habe ich nicht mehr, sondern Alina hat es.
Mertens: Man muss vor allem die Schausteller auseinanderhalten. Die heißen alle Arens. Das ist am Anfang schon schwer. Wir gehen dann zusammen über die Kirmes und ich frage dann, wer wer ist.
Menke: Das Handy ist schon eine Erleichterung. Die rufen alle an und man kann dann delegieren, wann welcher Schausteller kommen kann. Sie können ja nicht alle zur gleichen Zeit kommen. Da stehen sie sich alle nur im Weg. Mit dem Handy kann man das gut regeln vorher. Man ist aber immer erreichbar. Ich habe es immer so geregelt, dass ich das Handy neben das Bett gelegt habe. Das wird Alina wahrscheinlich auch so machen.
Wie wird man eigentlich Marktmeister?
Menke: Seminare, wie man Marktmeister wird, das gibt es nicht. Es ist viel Learning by Doing. Man braucht räumliches Verständnis. Das haben wir. Man lernt auch mit der Sache. Man muss wissen, wie groß das Fahrgeschäft und die Fläche sind, auf der es stehen soll. Die Fläche verändert sich nur, wenn etwas drüber wächst oder etwas drauf gestellt oder gepflanzt wird. Dann kann da zum Beispiel nur noch ein Geschäft von drei Metern, statt vorher sieben Metern, stehen. Das sind immer neue Veränderungen, die man mit bedenken muss. Und dann müssen sie dem Schausteller, der schon seit zehn Jahren da steht, sagen, dass das nicht mehr geht. Dann sagen die: Meine Kunden finden mich nicht mehr. Und wenn es nur ein Meter ist oder wenn sie es nur auf die andere Straßenseite stellen. Das kann man als Außenstehender gar nicht glauben. Aber das ist so.
Frau Mertens, kann er denn gut abgeben?
Menke: Dieses Jahr gebe ich noch nichts ab.
Mertens: Also ich löchere ihn mit Fragen. Egal, was ist: Er sagt immer, was wir machen müssen. Wir tauschen uns aus. Ich versuche, alles aufzusaugen. Es sind natürlich viele Sachen. Manche Sachen kommen auch unangekündigt. Man kann sich auch nicht alles aufschreiben. Das sind wirklich alles Erfahrungswerte. Manche Kollegen, zum Beispiel vom Bauhof, lernt man durch diese Arbeit erst kennen. Das ist für mich sehr wichtig.
Wovor haben Sie den größten Respekt?
Menke: Vor dem Wetter-Gott. (lacht)
Mertens: Also, ich muss sagen, dass es schon sehr erstaunlich ist, zu sehen, was das für eine Arbeit ist für die Schausteller. Das ist für mich sehr beeindruckend. Es ist wie eine große Familie. Jeder hilft dem anderen.
Menke: Das ist wirklich eine eingeschworene Gemeinschaft.
Frau Mertens, haben Sie Angst vor der neuen Verantwortung?
Mertens: Bisher noch nicht. Bislang habe ich den Jürgen ja noch greifbar. Und es wird ja auch weiterhin Hand in Hand laufen. Selbst wenn ich dann alleine stehe, weiß ich, dass ich ihn anrufen kann.
Menke: Also, wenn ich mich nächstes Jahr nicht zurückhalten kann, dann hau mir ruhig auf die Finger.
Was glauben Sie, ist die größte Herausforderung bei dem Job?
Menke: Jeder Tag ist eine Herausforderung. Jeder Tag ist anders – vor allem in der Aufbauwoche. Ich hoffe, dass nicht so viele unvorhersehbare Sachen passen. Ich hoffe, dass einfach alles glatt läuft. Wenn alles aufgebaut ist und die Kirmes eröffnet ist, dann entspannt man erst. Dann fährt man runter. Dann hofft man nur, dass das Wetter mitspielt und es ruhig bleibt.
Wann klingelt denn häufiger das Handy – vor oder während der Kirmestage?
Menke: Vor der Kirmes klingelt es permanent. Da darf man nicht vergessen, es auch zwischendurch aufzuladen. Man ist immer erreichbar. Wenn morgens um 6 Uhr die Müllabfuhr kommt und da ein Wagen vorsteht, dann klingelt das Telefon. Die Nummer gibt es schon seit Jahren. Die ist bekannt.
Herr Menke, Sie sind seit 2003 Marktmeister. Woran denken Sie gern zurück?
Menke: Man ist immer froh, wenn die Veranstaltung gut verlaufen ist. Man ist aufgebracht, wenn kurz vorher ein Fahrgeschäft abgesagt hat. Das ist in Deutschland schon häufiger passiert, zum Beispiel durch Personalprobleme der Schausteller. Ich hoffe, dass uns das nicht passiert.
An was denken Sie vor allem zurück?
Menke: Da gibt es so viel. Schwierigkeiten gab es nicht so viele. Es gibt schon mal Beschwerden, aber die wollen wir von Jahr zu Jahr abstellen. Es gab zum Beispiel Beschwerden wegen Parkplätzen, die geschlossen waren. Die Sicherheit muss man vorrangig behandeln. Deshalb muss man auch eher die Parkplätze schließen, sobald die Fahrgeschäfte kommen. Woran ich auch denke, ist zum Beispiel der Vorfall mit der Stinkbombe im letzten Jahr. Da wussten wir erst nicht, was passiert ist und ob es sich vielleicht um Buttersäure handeln könnte. Das wäre ganz gefährlich. Deshalb mussten wir dementsprechend die ganze Maschinerie in Gang setzen. Zum Glück sind wir so weit, dass die Polizei, der Rettungsdienst und die Feuerwehr schnell vor Ort sind. Und als wir festgestellt haben, dass es eine größere Sache ist, haben wir den Kreis Unna involviert.
Was sind noch besondere Ereignisse, an die Sie sich zurückerinnern?
Menke: Da denke ich zum Beispiel an das Feuerwerk, das von der Wiese vom Freibad abgeschossen wurde vor einigen Jahren. Das war zu nah dran an den Zelten. Im Nachhinein war das eine Fehlentscheidung von mir. Der Funkenflug, der runterkam, war eine Gefährdung für die Dachplanen. Die Feuerwehr hat die Zelte mit einem Wasserstrahl gekühlt. Ein Teil einer Hecke ist da abgebrannt. Aber das war einmal und aus solchen Fehlern lernt man auch.
Und was waren Ihre persönlichen Höhepunkte?
Menke: Ich glaube, das hat mit dem Fußball zu tun. Höhepunkt ist immer dann, wenn die Dortmunder Schausteller anreisen und Schalke hat gegen Dortmund gewonnen. Das ist immer ein Highlight. Dann sind die Dortmunder immer ganz klein. Es sind viele Dortmund-Fans dabei. Ich kann mich ansonsten nicht an DAS Highlight erinnern. Für mich ist es immer so: Wenn alles gut gelaufen ist, dann ist es für mich DAS Highlight.
Und Frau Mertens, von welchem Fußballklub sind Sie Fan?
Mertens: Ich bin Dortmund-Fan.
Dann haben Sie doch sofort einen Stein im Brett bei den Schaustellern…
Menke: Als Frau sowieso.
Und zwischen Ihnen beiden klappt es trotzdem?
Mertens: Ja, auf jeden Fall.
Menke: Ja, es klappt sehr gut. Ich bin froh, dass ich sie dabei hab. Und das wird auch sehr wahrscheinlich gut klappen mit ihr.
Frau Mertens, Sie wollten unbedingt diesen Job haben. Wieso?
Mertens: Das fing damit an, dass Jürgen mich gefragt hat, ob ich nicht Lust dazu hätte. Dann habe ich darüber nachgedacht. Ich habe auf jeden Fall Lust darauf. Ich bin ein Werneraner Kind. Ich lebe und arbeite in Werne. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben eine Sim-Jü ausgelassen. Und man verbindet sehr viel damit. Ich konnte mir das also gut vorstellen. Jürgen hat mir schon sehr viel erzählt. Und dann habe ich mich dazu entschieden, mich darauf zu bewerben.
Und warum ist Sie Ihrer Meinung nach genau die Richtige, Herr Menke?
Menke: Das weiß man erst hinterher. (lacht) Es gab einige Bewerber. Und da guckt man, wer geeignet ist. Man muss sich auch durchsetzen können. Man muss robust sein. Und wir haben uns deshalb für Alina entschieden. Das war auch die richtige Entscheidung.
Was muss man unbedingt mitbringen?
Menke: Durchsetzungsvermögen. Man muss seine Meinung vertreten. Da heißt es: ‚Ich gebe dir nicht den Platz, sondern ihm.‘ Man muss mit den Schaustellern klar kommen. Da muss man ein glückliches Händchen haben.
Frau Mertens, wie sieht Ihr beruflicher Werdegang bei der Stadt Werne genau aus?
Mertens: 2007 habe ich meine Ausbildung bei der Stadt gemacht, erst war ich in der Kämmerei tätig. Ein Jahr habe ich dann die Mutterschutzvertretung im Standesamt gemacht und seit Mai 2017 bin ich im Ordnungsamt tätig.
Herr Menke, was machen Sie denn eigentlich, wenn Sie 2020 in Rente sind?
Menke: Fragen Sie meine Frau. (lacht) Ich habe noch keinen Plan. Ich lasse alles auf mich zukommen.
Und was machen Sie, wenn Sie sich 2019 aus erster Reihe zurückziehen bei Sim-Jü?
Menke: Ich denke mal, dass die Schausteller fragen werden: ‚Wo ist der Jürgen?‘ Als ich dazu gekommen bin bei Wolfgang Overmann, hieß es auch immer: ‚Wo ist der Wolfgang?‘ Ich habe erst immer das Handy weitergereicht. Die wollten nicht mit einem Fremden sprechen, sondern mit dem Chef. Und in diesem Jahr? Guck, ich gebe das Handy schon ab. Wir haben den Schaustellern schon letztes Jahr gesagt, dass Alina meine Nachfolgerin ist. Da müssen die Schausteller einen Bezugspunkt haben. Also wenn ich nächstes Jahr nicht mehr verantwortlich bin, vergessen die mich sofort.
Mertens: Nein, das glaube ich nicht.
Und wie sieht Sim-Jü dann für Sie nächstes Jahr aus, Herr Menke?
Menke: Ich bin im Dienst. Ich unterstütze Alina, so wie sie mich dieses Jahr unterstützt. Ich bin ja nicht aus der Welt.
Testen Sie vorab eigentlich selbst die Fahrgeschäfte?
Menke: Ich? Auf gar keinen Fall. Da macht mein Kreislauf nicht mit.
Mertens: In die meisten gehe ich rein, wenn es nicht ganz so hoch ist.
Was möchten Sie Frau Mertens mitgeben als künftige Marktmeisterin?
Menke: Nichts versprechen, was man nicht einhalten kann. Das ist wichtig. Man muss zu seinem Wort stehen.
Und was können Sie Herrn Menke mitgeben, wenn er demnächst kürzertreten wird?
Mertens: Er soll seine Freizeit genießen.
Menke: Ich glaube, das schaffe ich. Es ist ja auch so: Nach Sim-Jü ist vor Sim-Jü. Es sind immer mindestens 800 Bewerbungen von Schaustellern. Im Januar fängt man schon wieder an, für Sim-Jü 2019 zu planen.
Jahrgang 1982, ist seit 2007 als Journalist bei den Ruhr Nachrichten tätig und hat im Jahr 2016 sein Volontariat begonnen. Seit April 2018 schreibt er als Redakteur für den Werner Sport.
