Deutschlandweit haben im Jahr 2022 mehr als eine halbe Millionen Katholiken ihrer Kirche den Rücken gekehrt. Das ist die höchste Anzahl an Austritten, die je gemessen wurden. Wir sprechen mit Pfarrdechant Jürgen Schäfer von der Gemeinde St. Christophorus über die Situation in Werne (ähnlich schlecht), über die Hintergründe (da gibt es hauptsächlich zwei) und über örtliche Gegenstrategien (gibt‘s überhaupt welche?).
Hallo Herr Schäfer, noch nie haben so viele Menschen die katholische Kirche verlassen wie im vergangenen Jahr 2022. Wie sehen die Zahlen für Werne aus?
Die sind ähnlich hoch. 258 Personen sind 2022 ausgetreten bei rund 14.500 Gemeindemitgliedern. Im Jahr davor, 2021, waren es 146. Dass wir kleiner werden, wissen wir schon lange. Aber mit einem solchen Rückgang wie im vergangenen Jahr hätten wir niemals gerechnet. Es ist erschreckend. Wir sind einfach auf dem Weg in eine säkulare Gesellschaft, in der die Kirche eine immer geringere Rolle spielt. Dass es sich so beschleunigt, war für mich nicht vorhersehbar.
Gibt es aus Ihrer Sicht Gründe für diese massive Austrittswelle?
Da gibt es zwei. Erstens das Geld, die Leute wollen sich die Kirchensteuer sparen. Und zweitens die Sache, wie die Bischöfe sich verhalten.
Sie meinen die Themen wie Missbrauchsvorwürfe oder Unehrlichkeit?
Ja, das berührt die Menschen stark.
Das sind übergeordnete Gründe. Haben Sie schon mal Austrittsgründe gehört, die mit der Situation hier vor Ort in Werne zusammenhängen?
Nein, das habe ich noch nicht gehört, dass es mit uns hier zu tun hat. Es ist eher so, dass Leute, die ausgetreten sind, uns sagen: „Das hat nichts mit euch vor Ort zu tun“.

Gibt es Gläubige, von denen Sie wissen, dass die ausgetreten sind und trotzdem zum Gottesdienst kommen?
Ja, ja.
Das dürfen die auch?
Ja, wir sind prinzipiell offen für alle, die da sind. Unsere Gemeinde ist eine bunte Mischung.
Was kann man vor Ort tun, um sie an die Kirche zu binden?
Einmal: Es ist ein unumkehrbarer Prozess. Wir könnten die tollsten Sachen machen, aber es nützt nichts. Das betrifft nicht nur uns, sondern alle Kirchen. Zweitens: Die Leute kennen uns vor Ort gar nicht genau.

Was meinen Sie damit?
Sie haben es nicht auf dem Schirm, dass beispielsweise die Jugendhilfe Werne und die Alteneinrichtung St. Katharina eine kirchliche Stiftung sind. Krankenhaus und Christophorus-Gymnasium gehören auch dazu und vieles mehr. Wir können nur versuchen, vor Ort unsere Arbeit gut zu machen.
Ist es nicht wie eine Abwärtsspirale? Menschen treten aus, dadurch müssen die Gemeinden sich verkleinern, zum Beispiel bei Gebäuden und Angeboten. Das könnte wiederum weitere Gläubige zum Austritt bewegen. Wie kommen Sie aus diesem Teufelskreis heraus?
Nein, ich empfinde es nicht als Abwärtsspirale. Sondern schon seit vielen Jahren sinkt die Teilnahme an den Gottesdiensten. Wir haben ein Immobilienkonzept aus den 1960er-Jahren, als noch 70 Prozent aller Gläubigen jeden Sonntag in die Messe gingen, also mehrere Tausend.
Das ist heute deutlich anders?
Genau. Bei immer weniger Gläubigen muss man auch auf die Immobilien schauen. Spätestens wenn Sanierungen anstehen, wie bei St. Johannes, steht die Frage von Verkleinerungen oder Schließungen im Raum. Auf der anderen Seite investieren wir auch, aktuell zum Beispiel in das Gebäude der Familienbildungsstätte, die ja auch zu uns gehört. Wir wollen dort den Leuten zudem inhaltlich das bieten, was sie brauchen. Es gibt nicht nur Rückbau.
Wie sieht ihre Zukunftsprognose aus?
Die Kirche wird sich weiter verkleinern. Ein Mitbruder von mir hat mal gesagt: „Es geht gegen Null, aber es wird nie die Null erreichen?“ Das ist tatsächlich so. Es wird künftig auf niedrigem Niveau bleiben. Wir werden auf eine Größe schrumpfen, die konstant bleibt.
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