
© Felix Püschner
Grauer Kies statt grüner Garten: Wie viel Klimakrise steckt in den „Steinwüsten“?
Klima und Garten
Viele verteufeln den Trend zu Kies- und Schotterflächen. Andere sind glühende Anhänger. Aber welche Folgen hat er eigentlich? Und steckt in den Steinwüsten sogar ein Stückchen Klimakrise?
Ordentlich und aufgeräumt, dekorativ und bitte auch pflegeleicht sollte er sein, der eigene Vorgarten. Immer sauber, möglichst ohne Unkraut und akkurat - das entspricht schließlich dem allgemeinen „ästhetischen Bewusstsein“ heutzutage. Und wer will da schon aus der Reihe tanzen.
Wenn Karin Jankowski (56) solche Aussagen hört, dann stellen sich der Wernerin die Nackenhaare auf. „An unserem Empfinden von Ästhetik und Ordentlichkeit muss sich etwas ändern, wenn es um die Gartengestaltung geht“, sagt sie mit ernster Stimme. Das klingt fast schon ein wenig wie die Empfehlung einer Ethik-Kommission. Wie eine Art moralphilosophischer Leitfaden in Sachen Grüner Daumen.
Die Wurzeln des Problems erkennen
Und viele Menschen würden das wohl für übertrieben halten. Da will sich mal wieder jemand aufspielen, Kies- oder Schotterflächen vor oder hinter dem Haus als Steinwüsten verteufeln und dann mit viel Pathos erklären, wie schlecht das alles für die Umwelt, für die Tiere, für das Erdklima ist.
Aber allein darum geht es Jankowski überhaupt nicht. Sie und Philippe Dahlmann (41), staatlich geprüfter Techniker im Garten- und Landschaftsbau, wollen zunächst einmal mit Irrtümern aufräumen, wie sie sagen. Beide arbeiten als Gartenberater beim Verband Wohneigentum Nordrhein-Westfalen. Und im Zuge ihrer Arbeit stoßen sie immer wieder auf solche Irrtümer - die Wurzeln des Problems sozusagen.
Dazu gehöre beispielsweise die Annahme, naturnahe Gärten – also das ziemlich genaue Gegenteil der viel diskutierten Kies- und Schotterwüsten – seien besonders pflegeaufwändig. „Das stimmt einfach nicht. Das Gegenteil ist der Fall“, sagt Jankowski, als sie in den Garten hinter ihrem Haus geht.
Hier ist vieles bunt, manches ist aber auch verblüht und hat Samenstände für die Vögel angesetzt. Pflanzen verschiedenster Gattungen, Kräuter, Nisthilfen für Insekten und andere „naturnahe“ Dinge sind auf gut 1000 Quadratmetern zu sehen. Akkurat geschnitten und geradlinig erscheint hier allerdings kaum etwas.
Das habe aber nichts damit zu tun, dass sie zu faul wäre, versichert Jankowski, sondern damit, dass man der Natur ihren Raum geben müsse. Denn die habe schließlich ihre eigene Ordnung. Und wenn die 56-Jährige einen Vorgarten hätte, dann sähe es dort auch nicht sonderlich anders aus.
„Man sollte nicht gegen die Natur gärtnern, sondern die Bedürfnisse der verschiedenen Pflanzen berücksichtigen. Dann kann so ein Garten pflegeleicht und ökologisch wertvoll sein“, sagt die Wernerin.
Die Qual der Wahl im eigenen Garten
Wer sich im Vorfeld richtig informiere und bei der Gartengestaltung ein paar wichtige Regeln befolge, der komme später teils schon mit wenigen Minuten Pflege pro Quadratmeter und Jahr aus.
Und selbst für diejenigen, die sich nicht sicher sind, welche Pflanzen denn überhaupt für ihren eigenen Garten geeignet sind, gebe es längst passende Angebote - darunter diverse Staudenmischpflanzungen für die unterschiedlichsten Standortbedingungen von schattig und feucht bis hin zu sonnig und trocken.
Das klingt nach der Qual der Wahl. Doch warum greifen dann so viele Hausbesitzer lieber zum Kies statt zu lebenden Pflanzen?

Ein tristes Bild - und dennoch nicht pflegeleicht: In vielen Vorgärten haben Kies- und Schotterflächen das Grün verdrängt. © Verband Wohneigentum NRW e.V.
Wenn das Unkraut zum Vorschein kommt
Philippe Dahlmann glaubt, dass auch falsche Erwartungen an die „Steinwüsten“ dabei eine Rolle spielen. „Viele Gartenbesitzer denken, dass sie mit solchen Steinflächen keine Arbeit haben. Und mit der Zeit merken sie, dass sie sich geirrt haben“, sagt er. Spätestens dann, wenn das Unkraut zwischen den Steinen hervorkommt.
Zum Trugschluss der pflegeleichten Kies- und Schotterflächen gesellen sich laut Dahlmann oftmals schlechte Erfahrungen mit Gärten aufgrund unsachgemäßer Gestaltung und Pflege. Denn wer mag schon immer wieder aufs Neue Busch XY pflanzen, wenn er dann doch immer wieder eingeht? Da kann der Griff zum Kies oder Schotter durchaus verlockend sein.

So schön können Vorgärten aussehen. © Astrid Hattebier
Die Folgen für Flora und Fauna und letztlich die Auswirkungen auf das Klima hätten viele dabei nicht auf dem Schirm. Das fange mit weniger Blüten für die Bienen und andere Insekten an. „Aber wenn man das alles weiterdenkt, dann kommt man irgendwann beim globalen Klima an“, sagt Dahlmann.
Man könne es so formulieren: Eine kleine Steinwüste zerstöre noch nicht das Klima. Aber in der Summe veränderten viele Steinwüsten zumindest das Kleinklima - das Klima vor der eigenen Haustür. Und wenn man dann noch den – oftmals nur oberflächlich diskutierten – CO2-Ausstoß beim Transport von Steinen, den vermehrten und meist nicht zulässigen Pestizideinsatz zur Bekämpfung von Unkräutern sowie andere Faktoren berücksichtige, dann nehme das Ganze schon eine viel größere Dimension an.
Ein Kiesflächen-Verbot genügt nicht
Das alles schreit doch förmlich nach einem flächendeckenden Verbot für Kiesbeete. Oder nicht? „Nein, das genügt nicht“, sagt Dahlmann. Verbote und Auflagen greifen seiner Meinung nach zu kurz: „Die Politik sollte vielmehr dafür sorgen, die Leute aufzuklären und ihnen Hilfe an die Hand zu geben.“ Das Problem bei den Wurzeln packen also.
Und vielleicht würde sich dann über kurz oder lang auch etwas am ästhetischen Bewusstsein ändern, wie Jankowski es fordert. Die hat viele Argumente für einen naturnahen Garten. Eines davon klingt weniger moralphilosophisch, sondern vielmehr logisch: „Wir könnten die Natur im eigenen Garten haben, fahren aber lieber am Wochenende mit dem Auto in die Felder und Wälder hinaus, um Natur zu erleben. Das ergibt keinen Sinn.“
Geboren 1984 in Dortmund, studierte Soziologie und Germanistik in Bochum und ist seit 2018 Redakteur bei Lensing Media.
