Youtuber Drachenlord bei einer Gerichtsverhandlung im März 2022.

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Der Fall Drachenlord: Hier spricht er über seine schlimmsten Erlebnisse

rnDrachenlord im Video

Der Mobbingskandal um Youtuber Rainer Winkler (32) alias Drachenlord sorgt seit Jahren für Aufsehen. Zuletzt vor einigen Tagen in Dortmund. Doch wie tickt dieser Mann wirklich? Wir haben ihn in Werne getroffen.

Werne

, 14.04.2022, 06:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Rainer Winkler wirkt nahezu entspannt, während er in seiner Kaffeetasse herumrührt. „So muss ein Kaffee aussehen, mit viel Milch und Zucker“, sagt der Mann mit dem dunklen Polo-Shirt. Unter seinem Schnauzbart macht sich ein Grinsen breit. Dass der 32-Jährige überhaupt noch schmunzeln kann, grenzt an Absurdität: „Manche Leute wundern sich, dass ich mich noch nicht umgebracht habe. Bei meiner Lebensgeschichte wäre das wohl nachvollziehbar.“

Winkler ist auch unter dem Namen „Drachenlord“ bekannt. So nennt sich der Youtuber im Internet. Vor etwa neun Jahren begann für ihn ein ganz persönlicher und beispielloser Spießrutenlauf, der mittlerweile als einer der größten Cybermobbingfälle gilt - nicht nur in Deutschland. Denn die Leute, die über den 32-jährigen Franken Hass und Hetze verbreiten (sogenannte „Hater“), kommen von überall her.

Das Drachengame: Tausende Hater gegen den Oger

Tausende Menschen spielen das „Drachengame“. Sie jagen und provozieren Winkler. Zuletzt löste das vor einigen Tagen einen Polizeieinsatz in Dortmund aus, wo Winkler an einer bestimmten Adresse anzutreffen war. Doch auch diese Adresse hatten die Hater blitzschnell herausbekommen.

Rainer Winkler alias Drachenlord

Als wir Rainer Winkler (32) alias Drachenlord treffen, will er sich nur vor einer weißen Wand fotografieren lassen, um seinen Verfolgern keine Hinweise auf seinen Aufenthaltsort zu geben. © Lensingmedia

In solchen Fällen provozieren sie ihn. In Dortmund etwa bestellten sie massenweise Pizza an die besagte Adresse. In der Vergangenheit rastete der Drachenlord daraufhin oft aus. Manchmal kommt es zu körperlichen Auseinandersetzungen. Aus der Sicht einiger Hater würde das Spiel im Idealfall damit enden, dass Winkler in den Knast wandert. Andere fordern, dass er sich aus dem Internet löscht - oder gleich aus dem Leben.

Schon vor Jahren hat sich das Spiel gegen den Drachenlord von der virtuellen in die reale Welt verlagert. Die Bandbreite reicht von Spott bis hin zu Morddrohungen. Wir trafen den Drachenlord vor einigen Tagen in Werne, wo er sich für kurze Zeit aufhielt und konnten ausgiebig mit ihm sprechen.

Er berichtet: 2014 machte er einen seiner größten Fehler: In einem Video veröffentlichte er seine Adresse und forderte die Hater auf, bei ihm vorbeizukommen und sich von Angesicht zu Angesicht mit ihm anzulegen. Das taten sie dann auch. Immer öfter und immer mehr. Den Höhepunkt gab es im Jahr 2018. Fast 1000 Menschen kamen damals zur „Drachenschanze“ nach Altschauerberg. So nannten sie Winklers Haus. Im Februar 2022 verkaufte der Drachenlord das Haus, das kurz darauf abgerissen wurde.

Rainer Winkler ist „auf der Suche nach Freiheit“

Seither ist der 32-Jährige auf der Flucht. Er selbst bezeichnet das aber lieber als „Suche nach Freiheit“. Meistens schläft Winkler derzeit in Hotels. Länger als ein paar Tage kann er allerdings nicht an ein und demselben Ort bleiben: „Denn irgendwie finden die Hater mich immer.“ Videos und Infos zu seinem jeweiligen Aufenthaltsort verbreiten sich schnell über die sozialen Medien. Auf Plattformen wie Telegram werden dann sogar Fahrgemeinschaften organisiert.

Und kein Hotelbetreiber sieht es gerne, wenn ihn plötzlich Dutzende Menschen wegen Winkler belästigen, die Telefonleitungen blockieren oder mit ihren Smartphones filmend vor der Tür stehen - in der Hoffnung, den Drachenlord zu sehen und ihm blöde Sprüche drücken zu können.

„Ich werde das Grab deines Vaters schänden...“
Unbekannter Absender

Als wir uns mit Winkler unterhalten, zückt er sein Smartphone, das - genauso wie das seiner Freundin Mona - permanent klingelt. „Hier, schauen Sie mal: Bei WhatsApp habe ich aktuell 4248 Nummern geblockt. Meine Handynummer zu wechseln, bringt ja nichts. Die bekommen die Leute eh schnell wieder raus. Und wollen Sie mal hören, was mir die Hater so als Sprachnachricht schicken?“

Ja, wollen wir - auch wenn wir bereits ahnen, dass der Inhalt nicht gerade jugendfrei ist. Die Nachricht beginnt mit „Rainer, du dumme Schwuchtel...“. Es folgt eine ganze Reihe von wüsten Beschimpfungen. Zum Schluss kündigt der Absender an, das Grab von Winklers verstorbenem Vater zu schänden.

Drachenlord-Freundin: „Das ist völlig krank“

Mona W. schüttelt den Kopf, als sie das hört: „Das ist doch völlig krank.“ Auch Winklers Lebensgefährtin ist inzwischen ins Visier der Hater geraten. Das ging schneller, als gedacht. Am 1. April veröffentlichte Winkler ein Youtube-Video mit dem Titel „Heiratsantrag, die Zweite“. Es ist eine Anspielung auf eine der schlimmsten Erfahrungen, die Winkler im Netz bislang machen musste.

Im Jahr 2015 hatte er schon einmal einer anderen jungen Frau einen Antrag gemacht - in einem Livestream. Mehr als 5000 Zuschauer konnten verfolgen, was dann geschah. „Du bist der fetteste, dümmste Idiot, den ich je in meinem ganzen Leben gesehen habe“, sagte die Frau, die sich „Erdbeerchen“ nennt. Sie hatte Winkler um den Finger gewickelt und ihm eine Falle gestellt.

Winklers Freundin wird binnen Stunden geleakt

Mona W. meint es hingegen ernst mit ihrem Rainer, wie sie betont. Das 22 Sekunden lange Video, auf dem sie mit Winkler zu sehen ist, sei jedoch keine Provokation, sondern eine Reaktion auf das Verhalten der Hater. Denn: Bereits einen Tag vor der Veröffentlichung des Videos hatten besagte Hater Winklers aktuellen Aufenthaltsort in Dortmund erneut herausgefunden - anhand der Umweltplakette an seinem Auto, bei dem er die Kennzeichen abmontiert hatte.

Es dauerte nur wenige Stunden, bis die ersten Hater vor der Wohnung von Mona W. standen. Eskortiert von der Polizei flüchtete das Pärchen mit dem Auto aus der Stadt. Winkler kennt dieses Prozedere. Für Mona W. war es eine neue Erfahrung, auf die sie gerne verzichtet hätte.

Bereits einen Tag, nachdem man Winkler bei ihr gesehen hatte, konnte jeder Mensch mit Internetzugang lesen, wer sie ist und wo sie wohnt. Neben ihrer Telefonnummer war sogar ihre berufliche Vita bekannt. Mehrere ihrer Online-Accounts wurden gehackt. Bei Google gibt es bereits fingierte Gäste-Bewertungen für das „Hotel Mona W.“, in dem ein „fetter Oger“ wohnen soll, der beim Frühstück laut rumbrüllt. Gemeint ist natürlich Winkler.

„Heiratsantrag, die Zweite“ wurde fleißig kommentiert. Sätze wie „Sie hat ihn geküsst - ihr Leben ist vorbei“ gehören noch zu den harmlosesten Kommentaren. In gewisser Weise stimme das, sagt Mona W.: „Ich habe jetzt kein Zuhause mehr. Und ich werde bestimmt auch keinen Job mehr finden, solange ich an Rainers Seite bin.“ In den Augen der Hater sei sie nun die „Crack-Nutte“, die mit dem Oger durch die Gegend zieht. Und allein deswegen habe sie es verdient, genauso terrorisiert zu werden.

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Winkler weiß, dass er auch selbst Fehler gemacht hat. Viele seiner eigenen Videos sind völlig harmlos. Sie zeigen den Metal-Fan beim Spazieren, Autofahren, Zocken oder Headbangen. Es gibt allerdings auch Szenen, in denen er seine Hater beschimpft und provoziert. Das sei dann entweder eine Reaktion auf das Fehlverhalten der anderen oder falsch verstandener Sarkasmus, sagt der Drachenlord. Er versuche, sich zu bessern und nicht mehr so sehr auf die Hater einzugehen. Das gelingt ihm aber nicht immer.

Die Videos, in denen Winkler förmlich ausrastet und - genauso wie seine Gegner - zu Mitteln körperlicher Gewalt greift, machen deutlich, warum der 32-Jährige bereits mehrfach vor Gericht stand. Im Oktober 2021 war er zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Beim Berufungsprozess Ende März 2022 fiel das Urteil milder aus. Winkler bekam eine einjährige Bewährungsstrafe aufgebrummt.

Der Drachenlord und seine zwei Gesichter

Wer sich durch die unzähligen Videos klickt, auf denen der Drachenlord zu sehen ist, kann durchaus zu dem Schluss kommen, dass dieser Mann zwei Gesichter hat: das des wütenden „Ogers“ und das eines Typen, der einfach nur ein bisschen plaudern und die Menschen an seinem Leben teilhaben lassen möchte.

Auch seine Hater haben mehrere Gesichter. Es gibt pöbelnde Trunkenbolde und einfache Schaulustige, Aggressoren und Mitläufer. Einige von ihnen geben sogar Interviews, wirken teils reflektiert und umgänglich. Klar ist aber: Sie gefährden durch ihr Spiel auch sich selbst. Und die Gefahr besteht nicht nur darin, vom Drachenlord angezeigt oder gar verletzt zu werden. Denn manchmal werden die Hater selbst zu Gejagten.

Das zeigt der Gerichtsprozess aus dem März. Der junge Mann namens M., der Winkler so lange provoziert hatte, bis dieser ihn mit einer Taschenlampe schlug, hätte in der Hater-Szene zum großen Helden aufsteigen können. Er hätte dafür sorgen können, dass der Drachenlord hinter Gitter muss. Weil M. jedoch angetrunken zum Prozess kam und nach der Verhandlung vor dem Gerichtsgebäude so lange pöbelte, bis ihn die Polizei in Gewahrsam nahm, machen ihn einige Hater nun dafür verantwortlich, dass das Urteil für Winkler milder ausfiel.

Inzwischen hat M. sein eigenes „Game“. Mit allem drum und dran. Die Hater haben sich gegen jemanden gewendet, der einst einer von ihnen war. In Telegram-Gruppen tauscht man sich über seinen möglichen Aufenthaltsort aus. Rainer Winklers Kommentar dazu dürfte einige Menschen überraschen. Irgendwie tue ihm der Junge leid, sagt er: „Ich weiß schließlich allzu gut, wie sich dieses Spiel anfühlt.“ Und vielen Hatern sei nicht klar, dass es dabei auch um Leben geht.

Anmerkung der Redaktion: Wir hatten ursprünglich geschrieben, die Hater hätten Winkler erst nach der Veröffentlichung des Videos „Heiratsantrag, die Zweite“ in Dortmund ausfindig gemacht. Allerdings war ihnen dies bereits einen Tag zuvor gelungen.

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