Keine zwei Autostunden liegen zwischen den Kreisen Heinsberg und Unna. Trotzdem: Der erste Hotspot Deutschlands war gefühlt weit weg, das Coronavirus auch. Heute vor einem Jahr änderte sich das.

von Alexander Heine

Kreis Unna

, 02.03.2021, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Erst schaute die ganze Welt nach China, dann ganz Europa nach Italien und schließlich ganz Deutschland auf den Kreis Heinsberg: In Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der sich die Pandemiewelle in den Wochen zuvor ausgebreitet hatte, war es letztlich nur eine Frage der Zeit, bis das Coronavirus den Kreis Unna erreichen würde.

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Heute vor einem Jahr war dann tatsächlich ganz nah, was bis dahin noch weit weg erschien. Das Gesundheitsamt des Kreises Unna bestätigte am 2. März 2020 die erste Infektion mit dem Coronavirus. Betroffen: Eine 61-jährige Frau aus Unna, die sich mit Erkältungssymptomen bei ihrem Hausarzt vorgestellt hatte. Es war der erste Fall von inzwischen knapp 13.000 im Kreis Unna – 408 Todesfälle wurden von den Behörden seitdem mit dem Coronavirus in Verbindung gebracht.

Am Anfang war man auch im Kreis Unna noch überzeugt, die Pandemie unter Kontrolle halten zu können. Michael Makiolla, damals noch Landrat des Kreises Unna, sah zunächst „keinen Grund für Panik“. Und auch Gesundheitsdezernent Uwe Hasche betonte in der ersten Corona-Pressekonferenz, man sei weit entfernt von Zuständen wie zuvor im Kreis Heinsberg. Ein Trugschluss; freilich, weil das Ausmaß der Pandemie und ihrer Auswirkungen seinerzeit noch jenseits der Vorstellungskraft lagen.

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Coronavirus: Impressionen aus dem Kreis Unna

Das an sich unsichtbare Coronavirus hinterlässt sichtbare Spuren: Unsere Fotografen haben in den vergangenen Tagen Impressionen aus den Städten und Gemeinden der Region gesammelt.
24.03.2020
Schlagworte Coronavirus

Allein dass ein Lockdown die Bundesrepublik förmlich zum Stillstand zwingen würde, war da noch unvorstellbar – und wurde schon Mitte März zum ersten Mal Realität. Als knapp drei Wochen nach der ersten bestätigten Infektion im Kreis Unna dann auch der erste Todesfall in Verbindung mit Covid-19 bekannt wurde, gewann die Pandemie an Schrecken: Ein 84-jähriger Mann aus Fröndenberg, der zuletzt im Pflegeheim Schmallenbach-Haus gelebt hatte, starb am 25. März im Zusammenhang mit dem Coronavirus.

„Schmalli“: Das tragisches Symbol der Pandemie im Kreis Unna

Als erstes Pflegeheim im Kreis Unna war das „Schmalli“ von einem massiven Covid-19-Ausbruch betroffen, binnen weniger Tage und Wochen wurden über 20 Todesfälle unter den Bewohnern mit dem Coronavirus in Verbindung gebracht. Es blieb nicht der einzige Ausbruch in einem Pflegeheim im Kreis Unna; gleichwohl ist das Schmallenbach-Haus zum tragischen Symbol der Corona-Pandemie in der Region geworden, schon weil die Pandemie da zeitweise ein apokalypseähnliches Ausmaß angenommen hatte.

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Rückblickend betrachtet war der Pandemieverlauf da im Kreis Unna noch verhältnismäßig mild. Denn im Frühjahr 2020 erreichten die Zahlen längst nicht das Niveau dieses Winters, als die Ausläufer des globalen Tsunamis im Kreis Unna vorläufig ihren Scheitelpunkt erreichten: In der ersten Welle zählte das Gesundheitsamt des Kreises Unna in der Spitze rund 340 aktive Infektionen, Anfang Dezember waren es mit annähernd 2000 fast sechs Mal so viele.

Gewöhnungseffekt: Pandemie scheint Schrecken zu verlieren

Der „Lockdown light“ ab November und der harte Lockdown ab Mitte Dezember waren die Folge der zunehmenden Dynamik, mit der sich die Pandemie mit dem einbrechenden Herbst in Deutschland entwickelte. Und doch ist das Bild diesmal ein anderes als im ersten Lockdown, als Straßen wie leergefegt und Innenstädte wie ausgestorben waren. Es scheint fast so, als hätte das Coronavirus an Schrecken verloren. Vielleicht ist es aber auch nur eine Art Gewöhnungseffekt, weil sich die Gesellschaft in gewisser Weise arrangiert hat mit der Pandemie.

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Das Coronavirus hat vieles verändert. Auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft, wo die Krise nur wenige Gewinner, vor allem Verlierer kennt: Gastronomie und die Tourismusbranche etwa, mehr noch Kulturschaffende; der Veranstaltungssektor liegt seit einem Jahr brach. Die Pandemie hat auch Schwächen im Bildungssystem offenbart, Schulen sahen sich von jetzt auf gleich den Herausforderungen des digitalen Distanzunterrichts konfrontiert.

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Coronavirus hat Spuren in der Gesellschaft hinterlassen

Aber auch in der Gesellschaft hat das Virus Spuren hinterlassen. Am Anfang war die Angst mit ihren teils kuriosen Auswüchsen; etwa den Hamsterkäufen von Toilettenpapier. Gerade zu Beginn der Pandemie war aber auch die Hilfsbereitschaft enorm groß, wenn es etwa um ältere Mitbürger ging; heute findet das Meiste wohl eher unter dem Label Nachbarschaftshilfe im Verborgenen statt. Das Coronavirus hat mitunter auch gespalten: Das Offensichtlichste sind Corona-Leugner und Impfskeptiker; aber auch im Verborgenen – wenn Ordnungsbehörden etwa dazu aufrufen, Regelbrecher zu melden – tun sich Kluften auf, Kritiker nennen das Denunziantentum.

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Welchen dauerhaften Schaden das Coronavirus und die soziale Distanz in der Gesellschaft hinterlassen, wird sich erst noch zeigen müssen. Im Moment steht vor allem zu befürchten: Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit, mit der es sich bis 2020 gemeinhin lebte, werden wohl auch Corona-Impfungen und die angestrebte Herdenimmunität nicht zurückbringen.