Die Lippe soll wieder frei fließen. Das ist die Forderung der „Allianz für die Lippe“, eines breiten Aktionsbündnisses, das sich jetzt zu diesem Zweck gegründet hat. Es besteht aus dem Fischereiverband NRW, dem Lippeverband, den Naturschutzverbänden BUND, Nabu und der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) , der Arbeitsgemeinschaft Biologischischer Umweltschutz (ABU) Soest/Biologische Station, der Biologischen Station Kreis Unna/Dortmund und dem Umweltamt der Stadt Hamm.
Am Mittwoch, 29. Juni trafen sich die Akteure an dem Wehr in Werne-Stockum, um auf die Notwendigkeit eines Rückbaus der Lippe-Wehre aufmerksam zu machen. Denn die Wehre behindern durch die Aufstauung des Wassers eine freie Bewegung des Flusses. Den Akteuren geht es im Kern um eine Länge von sechs Flusskilometern zwischen dem Wehr in Stockum und der Wehranlage Dahl in Selm. „Die Wehre sind Relikte aus der Industriezeit und stören das ökologische Gleichgewicht“, sagt Dr. Olaf Niepagenkemper, Geograph und Mitglied des Fischereiverbands Westfalen.
Stockum und Dahl unterbrächen den Fluss des Gewässers genau in der Mitte. Sie beeinträchtigten den Lauf auch über den eigentlichen Staubereich hinaus, da die oberhalb gelegenen Lippeabschnitte (bis zur Quelle) so vom unteren Abschnitt (bis zum Rhein) getrennt sind.

Vorteil für Flora und Fauna
Das habe weitreichende Nachteile für die Tier- und Pflanzenwelt in diesem Bereich. Durch das stehende Gewässer, das das Wehr verursacht, könne die Lippe hier nicht renaturiert werden. „In den renaturierten Bereichen haben sich aber seltene Tiere wie Eisvögel oder die Uferschwalbe und auch seltene Fischarten wie die Quappe, Nase und sogar der Lachs wieder angesiedelt“, erläutert die beim LNU tätige Biologin Dr. Margret Bunzel-Drüke. „Diese Fischarten sind besonders auf durchgängige, frei fließende Gewässer angewiesen. In diesen stehenden Gewässern bei den Wehren ist die Nährstoffbelastung sehr hoch und das Wasser erwärmt sich zu sehr.“ Dadurch lagere sich außerdem Faulschlamm ab, der das hoch-schädliche Methangas bildet.
„Es ist durch Peilsender nachgewiesen, dass Fische, die die Lippe hochwandern, an den Wehren scheitern“, nennt Niepagenkemper ein weiteres Argument für den Rückbau der Wehre. „Sie finden die so genannten Fischtreppe, die ihren Namen gar nicht verdient, meistens nicht. Würde man die Treppe in die Mitte bauen, also nahe des Abstroms aus der Wasserkraftanlage, würde die Fische die Treppe zwar flussaufwärts, nicht aber flussabwärts finden.“ Darüber hinaus sterben viele der Schuppentiere in den Turbinen der Kraftwerke. Auch in solchen, die als fischfreundlich ausgezeichnet seien.
Konkurrierende Umweltgedanken
Doch haben Wasserkraftwerke nicht auch einen großen ökologischen Nutzen? Konkurrieren an dieser Stelle nicht zwei große Umweltgedanken? „Nein“, sagen die Aktivisten entschieden. „Dieses Kraftwerk ist mit seinen 400 Kilowattstunden nicht effizienter, als ein LKW-Motor. Und dafür werden sechs wertvolle Flusskilometer zerstört“, erläutert Bunzel-Drüke. Unter 1000 Kilowattstunden seien solche Kraftwerke nicht effizient, da sei der Schaden ökologisch gesehen, um einiges höher. „Mit einer Windkraftanlage wären alle verbleibenden Wehre an der Lippe ersetzt“, ergänzt Niepagenkemper. „Energetisch ist das gar nicht sinnvoll und der Schaden ist so viel höher.“
Auf die Frage, warum sich das Bündnis gerade jetzt formiert habe, antwortet Mario Sommerhäuser, Leiter des Flussgebietsmanagements beim Lippeverband: „Der Druck, an dieser Stelle sogar ein weiteres Wasserkraftwerk zu errichten, wächst zusehends. Da stehen wir als Befürworter einer frei fließenden Lippe jetzt unter Handlungsdruck. Man kann den Fluss nicht einfach der Stimme der Wasserkraft überlassen. Unsere Botschaft ist: Der Mehrwert einer naturnahen Lippe ist größer, als die erzeugte Wasserkraft.“

Wehr ist Privateigentum
Ein großes Problem für den Rückbau des Wasserwehres ist aber: Das Gelände ist Privateigentum und wird von einem ansässigen Landwirt betrieben. Der wiederum ist eine Kooperation mit dem Werner Ingenieur Michael Detering eingegangen. Detering möchte mitnichten das Wehr zurückbauen, sondern ist derjenige, der plant, an dieser Stelle ein weiteres Wasserkraftwerk zu errichten.
Er betont, es sehr zu begrüßen, wenn Menschen sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen. „Es ist umso bedauerlicher, wenn dies - zum Nachteil aller – von einigen Akteuren so irrational erfolgt wie hier. Die Profilierungssucht der Akeutre opponiert dieses so tolle Thema“, sagt er.
Auf den Nutzen für Flora und Fauna geht Detering nicht ein, sagt aber: „Eine Entfernung der Wehranlage Werne-Stockum ist aus flussbaulichen Gründen so gar nicht möglich.“ Der Auffand wäre exorbitant hoch. Außerdem sei die Lippe an dieser Stelle begradigt worden, sodass das Wasser ohne Wehr die Kraft habe, die Ufer und auch das Flussbett abzutragen. „Die Physik, die hier dahinter steckt, kann auch der größte Naturfreund nicht weg diskutieren“, sagt Detering. „Der ökologische Schaden wäre so viel höher, als der Nutzen.“ Außerdem müsste der Trenndamm, den es dort gibt, wo Lippe und Kanal parallel verlaufen, in der Lage sein, das auszuhalten.
Das „Aktionsbündnis“ verkenne außerdem die geltenden Rechtsprioritäten, nach denen der Ausbau erneuerbaren Energien Priorität vor örtlichen Naturschutzinteressen habe. „An der Wehranlage Werne-Stockum ist dies jedoch gar nicht erforderlich, denn hier lassen sich erneuerbare Energie und ökologische Verbesserung hervorragend kombinieren“, so Detering.

Ökologie und Wasserkraft
Seine Wasserkraftanlage würde er mit einem Fischaufstieg an der Abströmung des Wassers bauen, wo sie ihn besser finden können und außerdem fischfreundliche Turbinen verwenden. Dabei verweist er auf eine Studie (deren Urheber nicht ersichtlich ist), die belegt, dass in diesen Turbinen nur maximal 1,1 Prozent der kleinen Fische ihr Leben ließen. Bei großen, beispielsweise Regenbogenforellen, seien es maximal 4,4 Prozent.
Als weiteres Argument für den Bau seiner Wasserkraftanlage nennt Michael Detering die besondere Qualität für die Energiegewinnung. Im Gegensatz zu Sonne oder Wind liefere Wasser gleichmäßige Energie.
Dass sich das Bündnis gerade jetzt formiert hat, macht Sinn. Denn, so informiert Detering, liege die Anschlusszusage des elektrischen Netzbetreibers bereits vor.
„Die Realisierung der Wasserkraftanlage wird von der Bezirksregierung Arnsberg, dem Kreis Unna und der Stadt Werne ausdrücklich begrüßt. In Werne ist der Bau sogar Bestandteil des von allen Parteien, einschließlich der Grünen, beschlossenen städtischen Klimaschutzkonzeptes.“ Auch innerhalb der Bevölkerung gebe es eine hohe Akzeptanz. „Die Wasserkraftanlage hat von der Bezirksregierung Arnsberg bereits einen ersten positiven Bescheid erhalten“, so Detering weiter.
„Die Bezirksregierung führt aktuell eine Untersuchung durch, die feststellen soll, ob es möglich ist, fünf der Wehre an der Lippe zurück zu bauen“, sagt hingegen Mario Sommerhäuser vom Lippeverband. „Bevor nicht alle Ergebnisse vorliegen, wird nichts gebaut.“
Stauwehre in Werne, Lünen und Selm : Einige Wehre könnten bald zurückgebaut werden
Fische in der Lippe im Fokus: Widerstand gegen neues Wasserkraftwerk angekündigt
Wasserturbine ohne Genehmigung: Noch immer fehlen erforderliche Unterlagen für Wasserkraftwerk