Unter die Lupe genommen Otto Harmeling und seine Zeit bei der Firma Gebr. Schulten

Otto Harmeling und seine Zeit bei der Firma Gebr. Schulten
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Die Augen wollen vielleicht nicht mehr so früher, aber Otto Harmeling weiß sich da zu helfen. Der 85-Jährige dreht sich kurz um und holt aus einer Schublade in seiner Essstube eine Lupe. „Die habe ich immer griffbereit“, sagt der Oedinger.

Ein Bild aus dem Jahr 1948/49: Es zeigt die damalige Belegschaft der Firma Gebr. Schulten in Oeding. In der vorderen Reihe sitzen die Chefs und Abteilungsleiter. Ganz hinten stehen die jüngsten Mitarbeiter.
Ein Bild aus dem Jahr 1948/49: Es zeigt die damalige Belegschaft der Firma Gebr. Schulten in Oeding. In der vorderen Reihe sitzen die Chefs und Abteilungsleiter. Ganz hinten stehen die jüngsten Mitarbeiter. © privat

Und dann nimmt der Mann die Bilder, die ihm Karin Printing, Redakteurin der Münsterland Zeitung, mitgebracht hat, genau unter die Lupe.

Sie selbst hat diese gefunden. Bei einer Haushaltsauflösung. Es war das Haus ihrer Tante und ihres Onkels Agnes und Heinz Altena. Beide waren jeweils bis zu ihrer Rente Mitarbeiter des Textilunternehmens Gebr. Schulten, das seit 8. März 1908 in Oeding ansässig war und später (1. März 1973) von der Hucke-Gruppe übernommen wurde. Mittlerweile gehört der gesamte Gebäudekomplex zum Bekleidungsunternehmen Bruno Kleine.

Heinz Altena war bis zum Schließen der Weberei (1983) dort als Webermeister tätig, Agnes Alena war zunächst Näherin und zuletzt im Büro (Ende 1990) beschäftigt. Otto Harmeling war dort ebenfalls beschäftigt. Offiziell bis 2002. Bis 2004 war er aber noch im Aufsichtsrat der Firma.

Eine Luftbildaufnahme des Firma Gebr. Schulten.
Eine Luftbildaufnahme des Firma Gebr. Schulten. Wann das Bild genau entstanden ist, konnte nicht mehr herausgefunden werden. Es muss aber nach dem Jahr 1969 gewesen sein. Zu der Zeit sind hier zwei Lagerhallen von jeweils über 6000 Quadratmetern gebaut. Insgesamt war das Gelände damit 60.000 Quadratmeter groß. © privat

„Ach, da ist ja der Heinz. Und da meine Tante Christine Booms. Da die Janzen-Brüder. Vorne die Chefs“, sagt er mit Blick auf ein Gruppenfoto aus dem Jahr 1948/49, das die versammelte Belegschaft vor dem Betriebsgebäude an der Jakobistraße in Oeding zeigt. Dann zählt er in einer beeindruckenden Geschwindigkeit weitere Namen, Abteilungszugehörigkeiten, Wohnorte und Todestage dieser Personen auf. „Ich habe ein gutes Gedächtnis“, sagt der aktuelle Kaiser der St.-Jakobi-Schützen verschmitzt.

Seit dem Jahr 1948 arbeitete der Burloer Heinz Altena in der Weberei der Oedinger Firma.
Seit dem Jahr 1948 arbeitete der Burloer Heinz Altena in der Weberei der Oedinger Firma. © privat

Er selbst steht nicht auf diesem Foto. „Ich habe erst im Jahr 1954 dort angefangen“, erinnert sich Otto Harmeling. Damals fing er dort als Bügler an. Als 15-Jähriger hatte er täglich Hosen und Jacken zu bügeln.

40 Mitarbeiter waren mit ihm tätig. Reges Treiben herrschte immer dort. Zum 50-jährigen Bestehen des Unternehmens im Jahr 1958 seien dort etwa 1400 Arbeiter und Angestellte tätig gewesen.

In den späten 60er-Jahren waren bei den Gebr. Schulten neben vielen Oedingern, Burloern und Südlohnern auch rund 300 Männer und Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien beschäftigt. „Viele von ihnen sind auch heute noch in Oeding“, weiß er zu erzählen und blättert weiter in dem Fotoalbum.

Die Abteilung Spulerei und Nachsicht:
Die Abteilung Spulerei und Nachsicht: Agnes Altena (vordere Reihe 4. v. r.) hat hier gearbeitet, bis sie ins Büro wechselte. © privat

Hier fällt sein Blick auf ein Gruppenfoto mit Frauen. „Das sind die Mitarbeiter der Abteilung Spulerei und Nachsicht. Diese waren unter anderem dafür zuständig, die gewebten Stoffe auf Fehler zu kontrollieren und diese zu markieren.

„Ahh, da ist ja die Agnes mit drauf. Hier in der Mitte“, sagt er und zeigt auf eine junge dunkelhaarige Frau, die im Jahr 1958 bei Schulten angefangen hat und bis in die 90 Jahre dort tätig war. „Die war im Übrigen mit meiner Frau Marianne befreundet“, ergänzt Harmeling.

In der Kantine – das heutige XXL Restaurant – hätten sie mittags zusammengesessen. Die inzwischen verstorbene Marianne Harmeling war nämlich auch bei der Firma Schulten beschäftigt. Und zwar als Näherin. In Spitzenzeiten gab es bei dem Textilunternehmen 800 Näherinnen.

Ein Blick in die Abteilung der Spulerei und Nachsicht: Hier überprüften die Mitarbeiter die gewebten Stoffe auf Fehler. Sie markierten diese sichtbar.
Ein Blick in die Abteilung der Spulerei und Nachsicht: Hier überprüften die Mitarbeiter die gewebten Stoffe auf Fehler. Sie markierten diese sichtbar. © privat

Otto Harmeling machte hier im Übrigen schnell Karriere. Im Jahr 1962 – als 23-Jähriger – wurde er in den Betriebsrat gewählt. Im 1973 folgte dann die nächste Stufe auf der Karriereleiter. Er wurde Betriebsratsvorsitzenden und war ab diesem Zeitpunkt von den Bügelarbeiten freigestellt.

Andere Aufgaben warteten auf ihn. Schließlich war es auch das Jahr, in dem die Hucke AG mit Sitz in Minden-Lübbecke, die Firma Gebr Schulten gekauft hatte.

Mit dem Verkauf begann auch der Abbau von Stellen, vor allem weil Anfang der 1980er Jahre auch die Weberei geschlossen worden sei.

„Ab Ende der 1980er Jahre sind hier die ersten mit Vorruhestandsregelungen verabschiedet worden“, erklärt er und vermutet, dass es auch auf meinen Onkel zutraf. Zu diesem Zeitpunkt habe es noch gute Abfindungen gegeben, ergänzt der 85-Jährige noch und bekommt ein wissendes Nicken von der Nichte der Altenas geschenkt. Alle anderen Mitarbeiter der Weberei seien in anderen Abteilungen von Näherei bis Lager untergekommen.

50 Jahre Betriebszugehörigkeit

Nach 50 Jahren Betriebszugehörigkeit schied Harmeling selbst als Rentner aus dem Unternehmen aus. Viel hat er in der Zeit erlebt, mit den Kollegen, den Chefs und auch als Mitglied der Betriebsfeuerwehr.

Mit 48 Jahren drückte der Oedinger nämlich noch mal die Schulbank. Er machte seinen Hauptbrandmeister und leitete seit 1970 die Betriebsfeuerwehr. Ab 1987 war er sogar Leiter der Werksfeuerwehr.

Große Brände habe es aber nicht gegeben, meint er. Er könne sich nur an eine Überschwemmung und einen Dachbrand erinnern. „Hatten wir alles im Griff, auch dank der Hilfe der örtlichen Feuerwehr“, sagt er.

In all den Jahren ist Otto Harmeling immer eines wichtig gewesen: der vertrauensvolle und offene Umgang mit den Menschen. „Man muss ehrlich sein“, glaubt er. Das sei wichtig, nur so habe er so lange auch in der Firma bestehen können.

Sagt es, schlägt das Album mit den Bildern zu, nicht ohne noch einmal auf das Gruppenfoto zu schauen. „Von denen leben nicht mehr viele. Den einen treffe ich noch, dem erzähle ich von den Bildern“, erklärt er dann noch etwas nachdenklich zum Abschluss.

ehemaliges Gebr. Schulten Gelände - heute Bruno Kleine - Oeding
Das ehemalige Schulten-Areal heute von der Jakobi-Straße aus zu sehen. © Bernd Schlusemann