Baggerkralle frisst sich durch Deelmann-Schornstein Erinnerung an ein „Wunder“ lebt auf

Abriss eines Südlohner Wahrzeichens: Deelmann-Schornstein ist Geschichte
Lesezeit

Die Stimmung ist am Freitagmorgen (10.11.) schon ein wenig skurril. Durch die düstere Wolkendecke blinzelt die Sonne gerade da hervor, als sich der Bagger mit seiner Kralle erstmals ins obere Ende des Schornsteins an der Ramsdorfer Straße frisst. Nur wenige Schaulustige haben sich eingefunden.

Mit schwerem Gerät wurde einem Südlohner Wahrzeichen ein Ende gesetzt. Binnen weniger Stunde war der Deelmann-Schornstein Geschichte.
Mit schwerem Gerät wurde einem Südlohner Wahrzeichen ein Ende gesetzt. Binnen weniger Stunde war der Deelmann-Schornstein Geschichte. © Michael Schley

Einige langjährige Deelmann-Mitarbeiter lassen sich diesen Moment aber nicht nehmen. Franz-Josef Niestegge und Werner Gehling beobachten aus sicherer Entfernung. Später kommt Hugo Ellerkamp noch hinzu. Kurz leben alte Zeiten auf – ganz besonders die Erinnerung an ein „Wunder“, das sie speziell mit diesem Schornstein in Verbindung bringen.

Abriss kündigte sich kurzfristig an

Meter für Meter trägt der überdimensionale Bagger mit seiner Kralle das Gestein ab, andere Baggerfahrer „sortieren“ auf dem Boden Eisen aus. Das Wetter spielt mit, es geht Hand in Hand.

So wie seit Wochen schon, wie man am schon weit fortgeschrittenen Abriss der Hallen unschwer erkennt. Das, was am Freitag geschehen sollte, kündigte sich am Donnerstagnachmittag bereits an. Es „roch“ nach Vorbereitungen.

Meter für Meter fraß sich die Baggerkralle durchs Gestein, der Baggerfahrer musste viel Fingerspitzengefühl beweisen.
Meter für Meter fraß sich die Baggerkralle durchs Gestein, der Baggerfahrer musste viel Fingerspitzengefühl beweisen. © Michael Schley

Etwas überrascht, dass es nun bereits wo weit ist, war Franz-Josef Niestegge schon. Der Moment, an dem dieses Südlohner Wahrzeichen falle, sei schon ein besonderer, da wollte er auch dabei sein.

Auch wenn die eigentliche Geschichte des Unternehmens schon vor fünf Jahren ihren endgültigen Abschluss gefunden hatte.

Binnen drei Stunden war der reine Abriss schon absolviert. Der Spänebunker hatte seinen „Partner“ verloren.
Binnen drei Stunden war der reine Abriss schon absolviert. Der Spänebunker hatte seinen „Partner“ verloren. © Michael Schley

Auch deshalb ist von Wehmut keine Spur – auch wenn Werner Gehling einem Bekannten noch einmal „Abschied ist ein scharfes Schwert“ zuwirft, aber mit einem Lächeln. „Wir hatten alle eine schöne Zeit“, berichtet Gehling.

Wie Hugo Ellerkamp hat er bei Deelmann fünf Jahrzehnte seines Lebens verbracht. Ellerkamp erinnert sich an Zeiten, in denen noch mit altem Schlamm aus Zechen, vermischt mit Sägemehl, geheizt wurde. „Es fing alles mit Holzschuhen an“, meint Werner Gehling.

Auch die in weiten Teilen abgerissene Halle bot spannende Einblicke vom Geschehen auf dem ehemaligen Deelmann-Gelände.
Auch die in weiten Teilen abgerissene Halle bot spannende Einblicke vom Geschehen auf dem ehemaligen Deelmann-Gelände. © Michael Schley

In den Anfangsjahren von Deelmann vor über 100 Jahren wurden bekanntlich eben Holzschuhe produziert, später wurde auf die Herstellung hochwertiger Massivholzmöbel umgestellt.

Im August 2018 endete die Geschichte des Unternehmens, das 1907 als Holzschuhfabrik von den Gebrüdern Heinrich und Wilhelm Deelmann gegründet wurde. In der Spitze waren 116 Mitarbeiter beschäftigt. Im Sommer 2019 konnte dann ein Käufer für das Gelände gefunden werden.

Franz-Josef Niestegge kann sich auch noch gut an die Zeit nach der Insolvenz 2002 erinnert, der erhoffte Umschwung blieb aus. Niestegge war übrigens bis zuletzt Betriebsleiter.

Gegen 11.20 Uhr war dann nur noch ein Haufen Schutt übriggeblieben.
Gegen 11.20 Uhr war dann nur noch ein Haufen Schutt übriggeblieben. © Michael Schley

42 Jahre war der Südlohner Teil der Deelmann-Familie – und es sei eben immer sehr familiär gewesen, wie auch Werner Gehling betont. Auch in Zeiten, in denen es sich nicht in die gute Richtung entwickeln wollte, sei immer ganz offen mit den Mitarbeitern kommuniziert worden, betont Niestegge.

Die schwerste Zeit sei sicher die im Zuge der Insolvenz gewesen. Auf das dann nahende Ende hätte man sich irgendwie vorbereiten können.

Schornstein war ursprünglich höher

Gegen 9.30 Uhr ist der Schornstein schon auf die Höhe des Spänebunkers geschrumpft. Es staubt, hier und da treibt es einem Sand in die Augen. Kurze Pause. Werner Gehling blickt zum Schornstein und erinnert sich: „Der war eigentlich sogar höher – bis er einst ‚explodierte‘“.

Bestimmt 30 Jahre her. Rund 40 Jahre, meint Hugo Ellerkamp sogar. Dabei fiel ein Teil des Turmes heraus, der obere Teil setzte sich passgenau wieder obenauf. „Das passiert wahrscheinlich einmal auf der Welt, das war große Glück – auch für die Kollegen“, sagt Werner Gehling.

Auch Franz-Josef Niestegge erinnert sich noch gut an diesen Morgen. Es sei nämlich stürmisch gewesen – fast so wie am Freitagmorgen.

So sah es noch Mitte September aus: Die Erinnerung an diesen Anblick werden vor allem die vielen ehemaligen Mitarbeiter behalten.
So sah es noch Mitte September aus: Die Erinnerung an diesen Anblick werden vor allem die vielen ehemaligen Mitarbeiter behalten. © Markus Gehring

Werner Gehling richtet den Blick noch einmal zurück, am nunmehr noch „halben“ Schornstein vorbei Richtung Spänebunker. „Das wird ein anderes Kaliber“, ist er sich sicher. Bei dessen Ende werden einige Deelmann-Recken sicher wieder dabei sein.

Auch um Erinnerungen aufleben zu lassen. So wie bei den jährlichen Treffen mit den früheren Kollegen. Sicher noch an die zwölf, die regelmäßig kommen, meint Franz-Josef Niestegge. „Vielleicht ne Radtour im Sommer“, ergänzt Werner Gehling beim Blick in den Kalender. Die alten Alben mit Deelmann-Fotos würden dann auf jeden Fall wieder herausgeholt.

Franz-Josef Niestegge (l.) und Werner Gehling werden ihre Erinnerungen an Deelmann und den Schornstein wieder beim jährlichen Treffen mit ehemaligen Arbeitskollegen im kommenden Jahr aufleben lassen. Oder bereits beim Fall des Spänebunkers.
Franz-Josef Niestegge (l.) und Werner Gehling werden ihre Erinnerungen an Deelmann und den Schornstein wieder beim jährlichen Treffen mit ehemaligen Arbeitskollegen im kommenden Jahr aufleben lassen. Oder bereits beim Fall des Spänebunkers. © Michael Schley

Auf dem Gelände bahnt sich mitunter die „nächste Runde“ an. Meter für Meter frisst sich der Bagger weiter durchs Gestein, bis schon gegen 11.20 Uhr das große Finale winkt: ein Südlohner Wahrzeichen ist endgültig Geschichte, übriggeblieben ist ein Haufen Schutt.

Inzwischen schaut sich doch der eine oder andere dieses Schauspiel an. Und dass damit auch eine Ära zu Ende gehe, hört man hier wie da. Franz-Josef Niestegge, Werner Gehling und Hugo Ellerkamp sind schon lange wieder unterwegs, die Erinnerungen „an viele tolle Jahre“ nimmt ihnen keiner mehr.

Schon in den frühen Morgenstunden begannen die Abrissarbeiten am Schornstein auf dem ehemaligen Deelmann-Gelände. Nur wenige Stunden später war die Ära dieses Wahrzeichens beendet.
Schon in den frühen Morgenstunden begannen die Abrissarbeiten am Schornstein auf dem ehemaligen Deelmann-Gelände. Nur wenige Stunden später war die Ära dieses Wahrzeichens beendet. © privat

Im Video: Abriss hat begonnen: Große Unternehmenshalle weicht dem Bagger

Wie Deelmann 100 Jahre Industriegeschichte in Südlohn schrieb: Anfänge als Holzschuhfabrik

Mit dem Abriss endet eine Ära: Video vom Ende des Deelmann-Schornsteins

Ende eines Südlohner Wahrzeichens: Viele Bilder vom Abriss des Deelmann-Schornsteins

Bagger beißt sich durch Firmenmauern: Viele Fotos von den Abrissarbeiten an den Deelmann-Hallen

Deelmann ist mehr als ein „Abriss“: Die Südlohner wollen wissen, was dort passiert