Der gebürtige Stadtlohner Willy Rotherm flicht seit 60 Jahren Stuhlflächen aus Binsen. Noch heute pflegt der 78-Jährige das Jahrtausende alte Handwerk der Stuhlflechterei in seiner Werkstatt in Alstätte. Vielerorts verlor dieses Handwerk mit der Industrialisierung und der Massenproduktion von Möbeln im 19. und 20. Jahrhundert an Bedeutung.
Bei Willy Rotherm war es umgekehrt. Die Nähe zur Stuhlfabrik Spahn in Stadtlohn ermöglichte ihm vor 60 Jahren den Sprung in den Beruf, der ihn bis heute ausfüllt.
Die Wurzeln der Stuhlflechterei reichen weit zurück in die Geschichte. Bereits in der Antike, vor etwa 3000 Jahren, sind geflochtene Sitzflächen aus Schilfrohr und anderen Naturmaterialien nachweisbar.

Im Mittelalter erlebte die Stuhlflechterei in Europa einen Aufschwung. Besonders in Frankreich und Italien entwickelte sich das Handwerk weiter. Geflochtene Stühle wurden zum festen Bestandteil der Inneneinrichtung von Adeligen und wohlhabenden Bürgern.
Traditionell wurden für die Stuhlflechterei Naturmaterialien wie Binsen, Seegras, Rattan und Weidenruten verwendet, bis zum Niedergang des Handwerks. In Stadtlohn und Umgebung blieb es aber noch erhalten, weil hier die Stuhlproduktion lange Zeit ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor war. Dieses Kapitel der Stadtlohner Wirtschaftsgeschichte ist eng mit dem Namen Spahn verbunden.
100 Jahre Firmengeschichte
1921 gegründet, ging die H. & F. Spahn GmbH aus einer kleinen Schreinerei hervor und wurde zur ersten industriellen Sitzmöbelfabrik in Stadtlohn. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Stuhlfabrik Spahn mit der vollstufigen Fertigung von Stühlen für die Gastronomie und Hotellerie.
Die Produktion umfasste das Einsägen, Trocknen und Biegen von einheimischer Buche und Eiche im eigenen Sägewerk und eine eigene Polsterei. Darüber hinaus aber kaufte Spahn die Stuhlflechterarbeiten von selbstständigen Handwerkern wie Willy Rotherm ein.

2007 firmierte Egbert Weber, der Enkel eines der Gründer, das Stadtlohner Unternehmen in die Spahn GmbH um. 2015 übernahm Michael Timinger die Spahn GmbH. Unter seiner Führung wird in neue Maschinen investiert und die Mitarbeiterzahl erhöht. In der besten Zeit beschäftigte Spahn über 300 Mitarbeiter.
Trotz einer guten Auftragslage geriet das Unternehmen nach eigener Darstellung wegen mangelnder Unterstützung durch Banken in Schieflage. 2017 meldete die Spahn GmbH Insolvenz an.
Die Produktion lief zunächst weiter. Kurz vor Weihnachten 2017 wurden aber auch die letzten 60 Mitarbeiter entlassen. 2021 erfolgte der Abriss der alten Werkshallen und die Sprengung des Schornsteins.
Auf dem Areal entstehen nun ein Wohnquartier und ein Kindergarten.
Altes Handwerk lebt durch Alstätter: Willy Rotherm hat seinen Traum, seit er zehn ist