Not-OP vor Ort: Wie die Feuerwehr ihre Kameraden vor Traumata schützt PSU-Teams im Einsatz

Einsatz unter Extrembelastung: PSU-Teams „schützen und stützen“ ihre Kameraden
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Eine Extrembelastung war für die Einsatzkräfte der schwere Arbeitsunfall am Mittwoch in der Töpferei an der Eschstraße in Stadtlohn. Nicht nur körperlich ob der immensen Bemühungen, den eingeklemmten 33-Jährigen aus seiner Lage zu befreien, sondern vor allem psychisch: nicht zuletzt aufgrund der dynamischen Einsatzlage, den vielen vergeblichen Versuchen, den Hoffnungen und Rückschlägen, der Ungewissheit. Stundenlang war ein Rettungshubschrauber vor Ort. Der eingeklemmte Mann musste dennoch vor Ort operiert werden.

Genau für diese Einsatzlagen wird im Kreis Borken seit rund zehn Jahren die Initiative intensiviert, sogenannte PSU-Teams aufzustellen. PSU steht für Psychosoziale Unterstützung. Und eine ausgewiesene Fachfrau bei der Freiwilligen Feuerwehr in Stadtlohn ist Nicole Mühle als Teil des eigenen Teams. „Ja, dieser Einsatz war außergewöhnlich“, meint auch die Stadtlohnerin.

Früh war für Markus Vennemann am Mittwoch klar, dass die außergewöhnliche Situation besondere Maßnahmen erfordert. Er spürte umgehend, dass dieser Einsatz einige Kameraden an Grenzen bringen könnte. Über die Leitstelle forderte der Einsatzleiter der Feuerwehr Stadtlohn ein PSU-Team zur Unterstützung an. Während sich die Notfallseelsorge, die ebenfalls vor Ort war, um das Wohl der Zivilbevölkerung kümmert, sorgen sich die PSU-Kräfte um das der Einsatzkräfte. Dabei wird eng zusammengearbeitet.

In diesem Fall reiste die Unterstützung aus Gescher, Velen und Vreden an. Aus dem sogenannten Sektor Mitte, einem von dreien im Kreis Borken, zudem eben Stadtlohn gehört. Mit diesem dreigeteilten System gehört der Kreis Borken übrigens zu den stärksten in Nordrhein-Westfalen.

PSU-Teams reisen extern an

Nicole Mühle war am Mittwoch nur bedingt als PSU-Kraft im Einsatz, als „Vermittlungsbeamtin“ am Rettungshubschrauber zum PSU-Team. Der Grund ist einleuchtend: „Wir sind ja alle selbst im Einsatz und damit betroffen.“ Und so wird immer extern angefordert. Nach einem 120-stündigen Lehrgang hat sich Nicole Mühle, die aus einer echten Feuerwehrfamilien stammt, zur PSU-Assistentin weitergebildet. Dazu gibt es noch sogenannte PSU-Helfer. An jedem Einsatz seien mindestens zwei PSU-Assistenten beteiligt, „damit immer ein Backup vor Ort ist“, erklärt die Stadtlohnerin. PSU-Kräfte sind übrigens immer auch Feuerwehrleute, weil „sie alle eine Sprache sprechen“.

Drei Arbeitsschritte werden dann abgearbeitet. Zum einen die Lage während des Einsatzes. Da gehe es vor allem um stabilisierende Maßnahmen. „Feuerwehrleute sind Arbeitstiere“, fasst Nicole Mühle die Realität plakativ in Worte. Sprich: Viele handelten wie im Tunnel, dazu komme das Adrenalin. „Wir schauen dann genau hin, versuchen emotional zu schützen und zu stützen“, erklärt die Stadtlohnerin, die gleichfalls Berufsfeuerwehrfrau bei der Feuerwehr in Dortmund ist, dies als Hauptbrandmeisterin und Höhenretterin. Auch beim Einsatz am Mittwoch habe ein Kamerad optisch labil gewirkt. „Da greifen wir dann ein“, so die Stadtlohnerin.

Das PSU-Team der Feuerwehr Stadtlohn mit Nicole Mühle (5.v.l.).
Das PSU-Team der Feuerwehr Stadtlohn mit Nicole Mühle (5.v.l.). © Feuerwehr Stadtlohn

Zudem unterstützen die PSU-Teams die Einsatzleitung und organisieren die Nachbesprechung. „Ganz wichtig“, wie auch Markus Vennemann die Situation am Mittwochabend in der Feuer- und Rettungswache widerspiegelt. Auch Feuerwehrleute aus anderen Orten und die des THW hätten daran teilgenommen. Diese erste Nachbesprechung werde „bewusst kurz“ gehalten, erklärt Nicole Mühle. Jeder müsse sich nach dem Einsatz zunächst einmal organisieren. „Wer jetzt schon Redebedarf hat, der bekommt von uns sofort ein Ohr“, betont Nicole Mühle. Angesichts der sehr großen Gruppe seien am Mittwoch gleich sieben ausgebildete PSU-Kräfte vor Ort gewesen.

Zeitliche Nähe zum Einsatz wichtig

Gleich für Samstag wurde die große Nachbesprechung angesetzt. „Diese dauert dann auch ein bis zwei Stunden“, sagt die Stadtlohnerin. Wie wichtig dies und wie groß der Bedarf sei, zeige allein der Umstand, dass selbst die Crew des Rettungshubschraubers aus Rheine am Donnerstag angefragt habe, ob sie daran teilnehmen könnten. Angeboten wurde das Gespräch allen beteiligten Einsatzkräften. Auch jenen aus Ahaus, die eigentlich zum Abschnitt Nord zählten. „Der Einsatzort war aber Stadtlohn. PSU bedeutet auch sonst Hilfe auf kurzem Dienstweg“, berichtet Nicole Mühle.

Geschaut wird am Samstag auf die Gruppendynamik, auch auf jeden individuell. Verhält sich jemand anders? Insgesamt werde der gesamte Einsatz noch einmal durchgesprochen. Was ist passiert? „Fragezeichen lassen den Kopf arbeiten“, erklärt die PSU-Assistentin. Und das könne letztlich in ein Trauma münden.

Die Psychosoziale Unterstützung versucht der Entstehung eines Traumas vorzubeugen, indem sie die Feuerwehrangehörigen bei der Verarbeitung des Erlebten unterstützt. „Am Samstag sind die Eindrücke noch frisch“, ergänzt Nicole Mühle. Das helfe.

Ob ein Ereignis zu einem traumatischen Zwischenfall wird, hängt von vielen Faktoren ab. Dies sind unter anderem das persönliche Umfeld, frühere Ereignisse und Erfahrungen, aber auch die aktuelle Tagesform. Professionelle Hilfe wird dann ebenso auf dem ganz kurzen Dienstweg geschaffen. „Zusammen mit der Feuerwehrunfallkasse organisieren wir sehr kurzfristig psychologische Unterstützung“, so Nicole Mühle.

PSU-Einsätze nehmen zu

Die Einsätze von PSU-Teams nehmen deutlich zu, 2023 seien es bereits an die sieben gewesen, wie Nicole Mühle berichtet. Sicher auch ein Indiz für mehr Akzeptanz. So seien auch PSU-Kräfte aus dem Kreis Borken zur Aufarbeitung der Folgen der Flutkatastrophe im Ahrtal aktiv gewesen. Grundsätzlich könne man sich diese selbst aussuchen.

Übrigens: Mit der moderierten Einsatznachbesprechung in der Gruppe ist die Aufarbeitung selten abgeschlossen. Vor allem, wenn jemand Redebedarf hat. „Wir hatten auch schon ein Jahr nach einem Einsatz noch Nachbesprechungen“, berichtet die Feuerwehrfrau. Wichtig sei immer, dass die Initiative zu einem PSU-Gespräch zu jeder Zeit von dem oder den Betroffenen ausgeht. Diese bestimmen Zeitpunkt, Ort und Gesprächspartner selbstständig.

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