Ein Jahr mussten die Essener auf eine Ballett-Premiere warten. Nachdem Tschechows „Drei Schwestern“ kurz nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine abgesagt worden ist, war Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ am 30. Oktober 2021 die letzte Tanztheater-Premiere im Aalto-Theater.
Am Samstag kam dort „Giselle“ in einer superklassischen Choreografie heraus. Der traumschöne Tanzabend ist Balsam für die Seele, wenngleich man heute so ein Ballett wie aus dem Museum kaum gewohnt ist.
Choreografien verändert
Der Essener Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh hat die Choreografien von Jean Coralli, Jules Perrot und Marius Petipa aus dem 19. Jahrhundert einstudiert und behutsam verändert. Van Cauwenbergh wollte „Giselle“ frischer wirken lassen, auch deshalb hat er im ersten Akt ein Kinderballett eingefügt. Neun Schüler des Fachbereichs Tanz am Gymnasium Essen-Werden tanzten entzückend; man sah, wie viel Spaß sie an der Einlage haben.
Eigentlich könnte „Giselle“ ein Einakter sein. Die Geschichte der Frau, die einen verheirateten Mann liebt, ihren Verehrer dafür wegschickt und in den Tod tanzt, ist nach dem ersten Akt zu Ende.
Zweiter Akt
Der zweite Akt ist fast ein eigenständiges Stück, ein Traumtanz von Giselle und Geister-Mädchen, die vor ihrer Hochzeit gestorben sind, und deren Königin Myrtha. Van Cauwenbergh legt das kontrastreich an.
Der erste Akt vor einem efeubewachsenen Fachwerkhaus (detailreich ausgestattete Bühne und Kostüme: Dorin Gal) wirkt frisch und munter. Viele Ensemble-Tänze gibt es dort, und auf dem Dorfplatz präsentieren die Solisten Tanz-Höchstschwierigkeiten. Die berühmten, schwierigen Schritt- und Sprungfolgen von Petipa sieht man dort, und die Essener Compagnie tanzt sie mit viel Präzision.
Im Wald an Giselles Grab
Der düstere zweite Akt ist ein Märchentraum im nebeligen Wald an Giselles Grab. Das wirkt spannender, ist dramatischer, und Van Cauwenbergh arbeitet den Gegensatz zwischen der zarten Giselle und der dominanteren Königin sehr gut heraus.
Federleicht und lyrisch, fast schwebend, tanzt Yuki Kishimoto das Mädchen; Rosa Pierro ist als Königin dominanter und kraftvoller in ihren Bewegungen. Die Körperspannung ist bei allen Solisten eindrucksvoll – weil Petipas Choreografien meist langsame Bewegungen erfordern. Entsprechend gemäßigt, aber ebenfalls spannungsvoll spielen die Essener Philharmoniker unter Leitung von Wolfram-Maria Märtig.
„Schwanensee“-Charakter
Die Charaktere sind bei den Männern nicht ganz so gegensätzlich: Artem Sorochan tanzt den Herzog Albrecht (übrigens früher eine Lieblingsrolle des Tänzers Ben Van Cauwenbergh) ebenso überlegen und kraftvoll wie Yegor Hordiyenko den verschmähten Liebenden Hilarion. Der darf dann im zweiten Akt auch die elegische Seite des Männerballetts zeigen.
Der Tanz der 14 Geister-Mädchen in weißen Kleidern hat in diesem Akt fast „Schwanensee“-Charakter. Wunderschön – ein Ballett-Traum, den das Publikum euphorisch feierte.
1. / 18. / 19. / 25. 11. 2022, 22. / 27, / 29. 1., 9. / 12. / 14. / 19. / 25. 2., 5. 3. 2023; Karten: Tel. (0201) 812 22 00 oder www.theater-essen.de

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