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Schlaf ist Leben

Diagnose Schlafstörung

Ein Abend vor dem Fernseher ist in deutschen Haushalten nichts Ungewöhnliches. Der Film wird an- und der Kopf ausgeschaltet. Doch so einfach ist das nicht. Kurz vorm Schlafengehen ist das nämlich alles andere als gut – wirklich abschalten können wir dabei nicht. Immer mehr Menschen quälen sich schlaflos durch die Nacht.

02.06.2017, 11:25 Uhr / Lesedauer: 4 min
6,58 Millionen Erwerbstätige in Nordrhein-Westfalen leiden unter Schlafstörungen.

6,58 Millionen Erwerbstätige in Nordrhein-Westfalen leiden unter Schlafstörungen.

Die Konsequenzen sind oft schlaflose Nächte. Das schadet unserer Gesundheit. Laut dem aktuellen Gesundheitsreport der DAK leiden 6,58 Millionen Erwerbstätige in Nordrhein-Westfalen unter Schlafstörungen. Sogar jeder Zehnte hat mit einer besonders schweren Schlafstörung, der Insomnie, zu kämpfen. Das sind 52 Prozent mehr als noch im Jahr 2010.

Doch was ist überhaupt eine Schlafstörung? Schlafforscher Dr. Hans-Günter Weeß spricht immer dann von einer Störung, wenn wir nachts nicht ausreichend Schlaf bekommen, sodass wir am Tag nicht aufmerksam genug sind, viele Fehler machen oder sogar psychisch instabil sind. „Wenn das drei Mal in der Woche über einen Zeitraum von vier Wochen vorkommt, dann kann man von einer Schlafstörung sprechen“, sagt er. Halte dieser Zustand über drei Monate an, dann sei eine chronische Schlafstörung sehr wahrscheinlich.

Davon gibt es mehr als 50 Formen. „Die Top drei: Insomnie, krankhaftes Schnarchen mit Atemstillstand und unruhige Beine“, sagt Weeß, der unter anderem als Diplom-Psychologe das Schlafzentrum des Pfalzklinikums leitet.

Menschen brauchen unterschiedlich viel Schlaf

Bevor man aber über sein Schlafverhalten nachdenken kann und sich möglicherweise Hilfe sucht, sollte man wissen, was einen normalen, gesunden Schlaf überhaupt ausmacht. Acht Stunden Schlaf pro Nacht – damit rechnen die meisten. „Ist aber völlig falsch“, sagt Hans-Günter Weeß. „Manche Menschen brauchen nur vier Stunden Schlaf, andere acht. Da gibt es keine feste Regel. Wenn wir morgens wach werden und uns ausgeschlafen, fit und leistungsfähig über den Tag hinweg fühlen, dann haben wir gesund geschlafen.“ Auch dass häufiges Aufwachen ein Indiz für ungesunden Schlaf ist, sei falsch.

„Es ist gut, dass wir in der Nacht aufwachen. Wenn der Mensch nicht die Fähigkeit hätte, während des Schlafs mit seiner Umgebung verbunden zu sein, dann würde es uns als Mensch gar nicht mehr geben. Früher gab es keine sicheren Schlafzimmer. Da musste man schon wach werden, wenn sich ein Tiger näherte“, erklärt der Schlafforscher.

Die häufigsten Ursachen für eine Schlafstörung lassen sich ganz einfach erklären – sie liegen sozusagen auf der Hand. Viele Menschen stehen unter Dauerstrom, haben Stress im Beruf und im Privatleben. Nach Feierabend hat der Stress aber kein Ende. Da werden noch Mails auf dem Smartphone gecheckt und berufliche Dinge geregelt. Und all das oft im Bett – mit dem Smartphone in der Hand. „Wir leben in einer 24-Stunden-Nonstop-Gesellschaft. Die Schichtarbeit nimmt zu, durch die neuen Medien ist man rund um die Uhr erreichbar, und nachts sind sogar Videokonferenzen mit Geschäftspartnern in Übersee möglich“, zählt Hans-Günter Weeß die wesentlichen Gefahrenherde für eine Schlafstörung auf. Das alles war vor einigen Jahren noch nicht möglich – ein Hinweis darauf, warum sich immer mehr Menschen schlaflos durch die Nacht quälen und sich von einer auf die andere Seite wälzen.

Abschalten lernen

„Viele Menschen sind auch zu angespannt und gedanklich noch bei den Aufgaben und Sorgen des Alltags. Jeder kennt das nächtliche Grübeln“, so Hans-Günter Weeß. Und wie kann man den Kopf einfach mal ausschalten? „Da ist guter Rat teuer. Wenn ich das mit einem Satz sagen könnte und es würde allen helfen, dann wäre ich jetzt Millionär und würde Urlaub auf Hawaii machen.“

Abschalten – das gelte es zu lernen. „Rituale kurz vor dem Schlafengehen, wie Entspannungsmusik hören oder lesen, können helfen. Sich Dinge einfach aus dem Kopf schreiben, zum Beispiel in ein Tagesbuch – auch das ist förderlich. Dann kann man danach acht Stunden auf Urlaub gehen.“

Wenn all das nichts hilft, sollte man sich Hilfe beim Arzt suchen. „Das machen auch viele, doch meist ist das Ergebnis ernüchternd. Viele machen die Erfahrung, dass der Arzt nur Schlaftabletten verschreibt. Das bewirkt aber keine Heilung auf Dauer“, sagt der Schlafforscher. Das Gesundheitssystem sei aus seiner Sicht schlafstörfeindlich. „Die Wartezeiten in Schlaflaboratorien sind viel zu hoch. Die Krankenkassen zahlen die speziell nötigen Verhaltenstherapien an Schlafzentren nicht, und Experten für Schlafstörungen dürfen zumeist nur in Krankenhäusern arbeiten und nicht in der ambulanten Versorgung mitwirken. Wie soll man da schon an die Spezialisten kommen?“

Schlaf ist elementar wichtig

Und dabei ist Schlaf elementar wichtig für den Körper – genauso wichtig wie Nahrung und Wasser. Wenn ein Mensch nicht schläft, dann stirbt er. Das sei nach ungefähr 25 Tagen ohne Schlaf der Fall, sagt Weeß. „Dann bricht unser Immunsystem zusammen, und wir sterben an einem Infekt.“

Dann sollte das Thema Schlaf doch einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen. Stattdessen beginnen Arbeit und Schule in den frühen Morgenstunden, ein Wecker muss her, sonst wachen wir nicht auf. „Und das ist der Punkt. Wir beenden unser Schlafprogramm frühzeitig. Ich beende das Waschprogramm meiner Waschmaschine doch auch nicht eine Stunde eher“, sagt Hans-Günter Weeß.

Für eine Insomnie, also eine schwere Schlafstörung, gibt es zwei große therapeutische Ansätze. Das sind zum einen Medikamente. Zum anderen die Verhaltenstherapie, die von längerer Dauer ist. Während solch einer Therapie wird der Patient zum Fachmann im Thema Schlaf gemacht. Bedeutet: „Fehlerwartungen werden aufgeräumt und realistische Erwartungen an den Schlaf aufgebaut“, so der Schlafforscher. Nach und nach legt der Patient seine schlafstörenden Verhaltensweisen ab. Grundsätzlich eine gute Sache – doch das Problem sei die Anzahl der Angebote. Zu wenige gebe es in Deutschland. „Das müsste flächendeckender eingeführt werden.“

Denn Hilfe ist dringend geboten, zu schwerwiegend sind die gesundheitlichen Schäden: Chronische Schlafstörungen haben Herzkreislauf- und Stoffwechselstörungen zur Folge. Depressionen, Angststörungen oder ansteigendes Suchtverhalten können ebenfalls leichter auftreten, wenn man nicht genug schläft. Auch das Unfallrisiko im Straßenverkehr steigt durch Übermüdung. „Auf unseren Straßen sterben doppelt so viele Menschen durch Übermüdungs-Unfälle, als durch Unfälle, die dem Alkohol verschuldet sind“, sagt Weeß.

Viele Fehltage durch Schlafmangel

Und auch am Arbeitsplatz ist der Schaden, der durch Schlafmangel entsteht, groß. Fehltage verdoppelten sich seit 2005 mit zweieinhalb Tagen auf jetzt fünf Tage je 100 Versicherte, heißt es im Gesundheitsreport der DAK. Arbeiter und Beamte sind laut der Krankenversicherung von chronischen Schlafstörungen stärker betroffen als Angestellte. Überraschend: Ungelernte oder gering qualifizierte Arbeiter schlafen schlechter als gestresste Manager, die immer und überall erreichbar sind, sagt Susanne Hildebrandt vom IGES-Institut, das die Studie im Auftrag der DAK erstellt hat.

Wie gut oder schlecht man wirklich schläft, lässt sich heutzutage ganz einfach mithilfe eines unscheinbaren Armbands herausfinden: den sogenannten Fitness-Trackern, die Werte wie den Puls, die tägliche Schrittzahl oder aber auch den Schlaf genau analysieren. Genau das versprechen sie zumindest ihren Trägern. Doch lässt sich aus den Aufzeichnungen wirklich herausfinden, wie gesund der eigene Schlaf ist? 

"Pseudowissenschaftliche Untersuchungsmethoden"

Hans-Günter Weeß glaubt nicht daran: „Das sind pseudowissenschaftliche Untersuchungsmethoden. Diese Tracker messen häufig nur, wie viel wir uns im Schlaf bewegen. Mit diesen Messungen kann man nicht auf die Qualität des Schlafes schließen“, erklärt der Schlafforscher. Er hält es sogar für gefährlich. Ein Test im Schlaflabor habe gezeigt, dass der Tracker nicht genau misst. Die Testperson habe laut Armband einen vierstündigen Tiefschlaf gehabt. „Das hat niemand. Ein bis zwei Stunden in der Tiefschlafphase sind normal.“ Die nächtliche Wachphase wurde als Tiefschlaf bezeichnet und der Tracker meldet zurück, dass alles in Ordnung sei. Weeß: „Man darf nicht zu technikgläubig sein, sondern auf das eigene Gefühl nach dem Aufwachen hören.“

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