Erwartet hatte er vom Land NRW Lösungsansätze für wachsende Probleme mit der Zeltstadt Bork. Stattdessen bekam Thomas Orlowski in der vergangenen Woche die Mitteilung der Bezirksregierung, dass über die Kapazitätsgrenze hinaus weitere Geflüchtete auf dem Gelände des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW (LAFP) untergebracht worden seien: 830 statt 750 Menschen - Überbelegung. „Wir tragen das als Stadt Selm nicht mehr mit“, sagte der Selmer Bürgermeister am Donnerstagabend (17. 8.) während der ersten Ratssitzung nach der Sommerpause. „Wir bitten, die Menschen woanders unterzubringen. Kurzfristig.“
Welche Wirkung das haben wird, muss sich erst noch zeigen. Denn mit einem anderen Appell an die Adresse der Bezirksregierung Arnsberg, die in NRW für die Flüchtlingsverteilung zuständig ist, war die Stadt bereits auf Granit gebissen.
Seit Mai patrouilliert täglich zwischen 13 und 21 Uhr ein Sicherheitsdienst durch Bork. Er soll das Sicherheitsgefühl der Menschen vor Ort stärken. Die selbst hoch verschuldete Stadt Selm, die wieder ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen musste, um den Haushaltsausgleich darstellen zu können, hatte das Geld dafür (bis Ende des Jahres wären es rund 85.000 Euro) vorgestreckt - in der Hoffnung, vom Land zumindest einen Teil davon erstattet zu bekommen. Daraus wird wohl nichts, wie der Bürgermeister dem Stadtrat bekanntgab. Die Absage mit Verweis auf das Gemeindefinanzierungsgesetz 2023 halte er für „unangebracht“, sagte Orlowski. „Frech“ korrigierte ein Rufer aus dem Rund der Ratsmitglieder.
Gespräch mit RP steht bevor
Um diese und andere Irritationen im Austausch zwischen Kommune und Land wird es in dem Gespräch mit dem Regierungspräsidenten Heinrich Böckelühr gehen, auf das Orlowski hinwies. Der Behördenleiter ist ehemaliger Bürgermeister der Stadt Schwerte: jemand, der um die Nöte der Kommunen weiß. Sie müssen die Aufgaben ausführen, die ihnen der Gesetzgeber übertragen hat. Das geht, wie Orlowski betonte, aber nur, wenn Land und Bund für die Finanzierung dieser Aufgaben gerade stehe: „Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen“ - in diesem Fall eben auch den Sicherheitsdienst.
Da die Mehrheit im Selmer Stadtrat bereits Zweifel hatte, ob das passieren wird, hatte sie sich bereits im Juni dafür ausgesprochen, nur bis Ende September Geld für den Sicherheitsdienst zur Verfügung zu stellen. Am 20. September, wenn der Stadtrat das nächste Mal tagt, wird er über eine Verlängerung zu entscheiden haben, sofern Böckelühr nicht doch noch eine Kostenübernahme in Aussicht stellt. „Der Informationsfluss ist verbesserungswürdig.“ Das ist nicht die einzige offene Frage, die die Verantwortlichen in Selm derzeit beschäftigt.
Wie lange bleibt die Zeltstadt?
Mario Löhr, Landrat des Kreises Unna und damit auch Chef der Kreispolizei, hatte sich am 9. August klar positioniert: Die Zeltstadt in Bork solle spätestens zum Jahresende schließen. Also zu dem Termin, den die Verantwortlichen der Bezirksregierung auch immer genannt hatten. Dass es Zweifel gibt, ob sie auch wirklich daran festhalten, hängt mit der aktuellen Entwicklung zusammen. Die NRW-Kommunen müssten sich darauf einstellen, in den nächsten Wochen deutlich mehr Flüchtlinge unterbringen zu müssen. Das hat der Städte- und Gemeindebund am 11. August in einem sogenannten Schnellbrief an seine Mitglieder geschrieben, der der Redaktion vorliegt.
Das für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration zuständige Ministerium habe die kommunalen Spitzenverbände auf diese erhöhten Zuweisungen hingewiesen, heißt es in dem Brief. Das habe zum einen mit erhöhten Zugängen von geflüchteten Menschen zu tun und zum anderen mit dem stockenden Ausbau der Landeskapazitäten, „den wir natürlich - wie schon so oft - beklagt haben“. Schon Anfang August hätten die Zugänge von Asylsuchenden in die Landeseinrichtungen noch einmal deutlich zugenommen. „Aktuell sind unsere Einrichtungen durchschnittlich zu 89 Prozent belegt, die Kapazitäten der Erstaufnahmeeinrichtungen sind ausgelastet beziehungsweise teilweise bereits überbelegt“, zitiert der Spitzenverband das zuständige Ministerium.
Gespräche über eine mögliche Verlängerung hat es mit der Stadt Selm noch nicht gegeben. Viel Spielraum würde es dabei nicht geben. Lediglich die Baubehörde der Stadt wäre gefragt, um die Duldung der Zeltstadt zu verlängern. Das werde die Stadt aber nicht bremsen zu sagen: „Das wollen wir nicht.“ Orlowski versicherte: „Wir werden keine Duldung aussprechen ohne Einbeziehung des Rates.“ Für ihn steht fest: „Eine Notunterkunft in dieser Art noch zwei, drei Jahre zu haben das würde ich nicht mitmachen.“ Eine Forderung nach einem sofortigen Aus der Zeltstadt hört sich anders an.
An Industriestraße wird es eng
Schutzsuchende, die in einer Landesunterkunft untergebracht sind, werden künftig zu 100 Prozent auf die Aufnahmeverpflichtung der Kommunen angerechnet (bislang 50 Prozent). Eine Schließung bedeutet, dass die Stadt entsprechend mehr Menschen aufnehmen muss. „Unsere städtische Unterkunft an der Industriestraße wird nicht reichen“, sagte der Bürgermeister auf Anfrage. Ob er ausschließen könne, dass Turnhallen belegt werden? „Diese Angst kann ich Ihnen nicht nehmen. Das kann niemand.“
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