„Wir setzen darauf, dass die E-Mobilität Fahrt aufnimmt“

Selmer Experte über E-Autos und neue Technik

Ein Cappenberger gehört zu denen, die bundesweit der E-Mobilität Beine machen. Er sorgt bei Innogy dafür, dass das Netz selbst dann nicht schlappmacht, wenn alle Deutschen E-Auto führen. Im Interview spricht er über fehlende Ladesäulen und warum es unter Umständen kostenlose Netzanschlüsse gibt.

Selm

, 27.02.2018, 13:53 Uhr / Lesedauer: 4 min
„Wir setzen darauf, dass die E-Mobilität Fahrt aufnimmt“

Die technische Zukunft ist sein Geschäft. Der Ingenieur Dr. Armin Gaul aus Cappenberg entwickelt für den Energieversorger Innogy intelligente Steuerungstechnik. Sie soll dafür sorgen, dass auch dann genug Strom fließt, wenn nicht nur vereinzelt E-Autos durchs Land rollen wie zurzeit, sondern massenhaft. Sylvia vom Hofe hat mit ihm gesprochen – auch über fehlende Ladesäulen, zögernde Autohersteller und warum das Innogy-Tochterunternehmen Westnetz Netzanschlüsse unter bestimmten Bedingungen kostenlos anbietet.

Fahren Sie eigentlich selbst E-Auto?

(lacht) Ja, als ich mich immer mehr mit E-Mobilität beschäftigte, wollte ich mitreden können. 2013 habe ich mir ein E-Auto angeschafft, einen Renault Zoe, beging aber einen Fehler.

Welchen?

Ich habe den alten mit Verbrennungsmotor nicht gleich abgeschafft. Dabei steht er seitdem mehr oder weniger ungenutzt in der Garage. Die ganze Familie bevorzugt das E-Auto. Nach fünf Jahren haben wir mehr als 100.000 Kilometer elektrisch zurückgelegt.

Apropos fünf Jahre. Man hört doch immer, dass mit zunehmendem Alter die Reichweite der Fahrzeuge sinkt.

Das kann ich aus eigener Erfahrung nicht betätigen: Anfangs hatte unser E-Auto im Sommer eine Reichweite von 145 Kilometern, im Winter knappe 100. Auch heute Morgen standen bei den kühlen Temperaturen immer noch 95 Kilometer auf der Anzeige. Aber das reicht vollkommen für die Fahrten, für die wir es nutzen.

Wohin denn?

Zur Arbeit oder zum Einkaufen. In jedem Fall wird der Wagen vergleichsweise kurz bewegt und steht dann lange herum: Zeit, in der es wieder laden kann. Die Sorge um das Nachladen, die man als E-Autofahrer anfangs hat, ist vollkommen aus meiner Wahrnehmung verschwunden. Geladen wird an der Ladesäule auswärts, bei der Arbeit oder zu Hause an der Wallbox (Anm. d. Red.: So heißen die Wandladestationen für zu Hause. Sie ermöglichen es, dass der fast leer gefahrene Akku des Zoe in rund zwei Stunden auflädt, an der normalen Steckdose dauert es fast zehn Stunden). So habe ich eigentlich immer genug Reichweite zur Verfügung.

Gibt es denn genügend Ladesäulen?

Da tut sich gerade eine Menge. Allein Innogy betreibt zurzeit mehr als 5000 Ladesäulen in 700 deutschen Städten und Gemeinden, über 1000 weitere sind geplant. Damit liegen wir zurzeit an der Spitze. Allerdings ist das Henne-Ei-Problem weiter ungelöst: Muss erst die Lade-Infrastruktur her, oder müssten nicht erst die Autohersteller mit neuen Modellen für Schwung sorgen? Fest steht: Wir sind bereits in Vorleistung getreten, jetzt setzen wir darauf, dass die E-Mobilität Fahrt aufnimmt.

Auch die Kunden sehen ihren finanziellen Vorteil. 100 Kilometer kosten schon bei einem kleinen Benziner über 7 Euro, bei einem Stromer ist es etwa die Hälfte ...

... wie gesagt, da ist bei allem Abstimmungsbedarf bereits einiges in Bewegung. Ich wünschte mir darum, dass gerade Geschäftsleute die Chancen sehen.

Welche?

Nehmen wir einen Supermarkt mit 100 Parkplätzen. Da wäre es doch ein echter Mehrwert, einige Ladestationen für die Kunden zu schaffen: bei überschaubaren Investitionen. Und dann kann sich der Geschäftsmann noch überlegen, ob er den Strom als kleine Zugabe an seine Kunden verschenkt (...). Wenn sich das herumsprechen würde – und da habe ich besonders die größeren Supermärkte im Blick – käme man schnell zu einem flächendeckenden Netz an Ladesäulen, zumal Bund und Länder das ja auch fördern.

Das betrifft Geschäftsleute. Was ist mit den Kommunen?

Da sehen wir ein großes Interesse. Die Umsetzung ist aber häufig nicht einfach.

Warum?

Nicht selten sieht man die kommunale Ladesäule versteckt auf dem Mitarbeiterparkplatz hinter dem Rathaus. Wir gehen zurzeit auf die Kommunen zu und fragen sie nach gut erreichbaren Stellplätzen, für die wir Ladesäulen anbieten können.

Die Bundesregierung in spe will bis 2020 100.000 zusätzliche Ladestationen schaffen, davon ein Drittel Schnellladepunkte. Das ist doch schon einmal ein Wort, oder?

Das ist gut, aber jetzt kommt wieder das Henne-Ei-Problem. Auch die Autohersteller müssen ihre Angebote attraktiver gestalten. Die Zahl der Modelle ist doch noch immer recht übersichtlich, die Lieferzeiten viel zu lang. Und nicht selten sind die Fahrzeuge in den Autohäusern, in denen immer noch die neuen SUVs im Mittelpunkt stehen, gar nicht verfügbar.

Wie lässt sich das ändern?

Durch die Nachfrage der Konsumenten. Die Kunden müssen dafür erst einmal die Gelegenheit bekommen, E-Autos auszuprobieren. Durch das eigene Erfahren werden die Hemmnisse am besten abgebaut – da kann ich aus eigener Erfahrung sprechen. Ich fände es deshalb großartig, wenn jeder, der sein Auto in die Reparatur gibt, als Werkstattwagen ein E-Auto bekäme. Und wenn auch die Autovermieter noch mehr E-Autos anbieten würden. Man muss Flotte in den Markt bringen, das würde auch noch einmal die Preise drücken.

Warum?

Je höher die Stückzahl, desto leichter kann das Invest für die Entwicklung eines neuen Modells refinanziert werden.

Zurück zum Laden. Sind die Ladestationen, wie wir sie kennen, zukunftsfähig, oder gehört dem kabellosen induktiven Laden die Zukunft?

Ich sehe da aber ganz praktische Probleme. Man kennt das ja vom Handy oder von der Zahnbürste. Da muss das Gerät passgenau auf der Station liegen, damit es lädt. Nun kann man sich vorstellen, wie exakt die Autos parken müssten. Das induktive Laden bei ganz unterschiedlichen Fahrzeugtypen wird deswegen noch eine ganze Weile dauern. Bis dahin halte ich das Verfahren mit dem Kabel, das jeder mit sich führt, eigentlich für sehr gut.

Noch sind E-Autos auch in den Werkstätten Exoten …

… stimmt. Exoten, die zudem nicht jeder reparieren darf. Ein Kfz-Mechatroniker darf nur Elektroautos reparieren, wenn er eine spezielle Nachschulung gemacht hat. Schließlich benötigt ein E-Auto eine Spannung von bis zu 400 Volt. Solche Zusatzausbildungen kosten Geld. Ich würde es daher begrüßen, wenn die Auszubildenden bereits standardmäßig darauf vorbereitet würden. Ebenso könnten Fahrschulen standardmäßig Fahrstunden auf E-Autos anbieten (...).

Wir schließen kurz die Augen und stellen uns vor: Plötzlich wollten die Menschen in Deutschland massenhaft E-Autos fahren. Würde dann nicht das ganze Stromnetz zusammenbrechen?

(lacht) Dass das nicht passiert, daran arbeiten wir ja. Zurzeit gibt es rund 35.000 E-Autos in Deutschland. Wenn es 40 bis 45 Millionen wären, was in etwa dem aktuellen Fahrzeugbestand entspricht, würde der Strombedarf insgesamt gerade einmal um 16 Prozent steigen: Diese zusätzliche Energiemenge wird uns nicht vor einer Herausforderung stellen. Problematisch für das Stromnetz ist es nur dann, wenn alle E-Autos gleichzeitig laden würden. Diese Lastspitzen sind die eigentliche Herausforderung. Darum suchen wir nach intelligenten Lösungen, die Ladezeiten zu verschieben. Bei rund 90 Prozent Standzeit der Fahrzeuge geht das ohne Probleme. Außerdem kann so auch die schwankende Einspeisung der erneuerbaren Energien besser genutzt werden.

Was ist dafür nötig?
Wir brauchen mehr Informationen, um zu erfahren, wo in unserem Netz Ladeeinrichtungen mit hoher Leistungsaufnahme angeschlossen und betrieben werden. Die können wir steuern und so den sicheren Betrieb unseres Netzes fördern. Außerdem vermeiden die Steuerungsmöglichkeiten in einem intelligenten Netz auch Investitionen in klassischen Netzausbau.

Wie wollen Sie die Kunden dafür gewinnen, den Netzbetreibern diese Steuerungsmöglichkeit zu überlassen?

Durch finanzielle Anreize. Zum Beispiel bietet die Westnetz GmbH, unser Verteilnetzbetreiber, seit Jahresbeginn neue Netzanschlüsse kostenlos an, wenn der Kunde seine Zustimmung zur netzdienlichen Steuerung seiner Ladeeinrichtung erklärt (Anm. d. Red.: laut aktuellem Preisblatt kostet der Anschluss sonst 499 Euro). Für diesen Fall sieht der Gesetzgeber auch reduzierte Netzentgelte vor, was den Strompreis deutlich verringert.