Im Interview auch zum Anhören
Wie die Schicksalshelfer in Bork Flüchtlingen helfen
Die Schicksalshelfer sind eine Gruppe von Ehrenamtlichen, die Flüchtlingen in der Region helfen. Seit dem 21. Dezember hat sich die Gruppe eine festere Form gegeben: Sie sind jetzt „Schicksalshelfer e.V.“, ein eingetragener Verein. Redakteur Tobias Weckenbrock traf Gründungsmitglied und Sprecher Lutz Linder.
Lutz Linder (l.) aus Olfen ist ein Schicksalshelfer der ersten Stunde. Bei der Vereinsgründung war er ebenfalls mit im Boot. Seine neue Aufgabe: Er kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins.
Sie möchten sich das Interview lieber anhören? Unter dem Text finden Sie das Gespräch mit Lutz Linder in unserem Podcast.
Glückwunsch zur Vereinsgründung erst einmal! Warum war das wichtig für eure Arbeit?
Wir haben sieben Gründungsmitglieder zusammengebracht und geben die Unterlagen jetzt zum Notar. Es macht die Arbeit einfacher. Wir kommen so mit den Institutionen, der Stadt, dem Deutschen Roten Kreuz auf Augenhöhe. Wenn man ein loser Zusammenschluss einer Facebook-Gruppe ist, wird man oft nicht so wahrgenommen, wie wir das möchten. Man sagt immer: Ach, das sind die von Facebook...
Wir haben auch keine Chance, Spenden entgegen zu nehmen. Was wir an Geldspenden bekommen, müssen wir an den Asylkreis weitergeben. Wir können Gelder nicht verwalten. Was in den letzten Monaten gestemmt wurde, haben wir immer pragmatisch geregelt: Einer syrischen Familie, die Geld für ein Zugticket brauchte, um nach Bielefeld zu kommen, haben wir geholfen; wir haben ein Busunternehmen bezahlt, um mit den Menschen nach Bottrop in den Moviepark zu fahren. Bisher war es dann so, dass wir in der Kleiderkammer ein Sparschwein aufgestellt haben und jeder selbst einen Kassensturz gemacht hat. Das kann man aber nur einen begrenzten Zeitraum über machen. Uns geht auch irgendwann das Geld aus.
Als eingetragener Verein mit Gemeinnützigkeit haben wie die Möglichkeit, Sponsoren um Hilfe zu bitten und Spenden anzunehmen. Das soll uns aber nicht bürokratischer machen, um Gottes willen. Aber wir wollen eine rechtlich sichere Basis.
Welche Leute sind das denn, die bei der Gründung mitgemacht haben?
Genauso wie alle anderen Ehrenamtlichen tragen wir das Herz auf der richtigen Seite und wollen das Leben unserer Gäste oder der Gäste auf Zeit ein bisschen anständiger gestalten. Das sind Leute, die rechtlich ein bisschen Ahnung haben und die sagen: Ich stürze mich in diese unangenehme administrative Arbeit – Spaß macht das ja niemandem. Es muss aber einfach gemacht werden.
Es gibt aber die Schicksalshelfer als losen Zusammenschluss schon seit einem halben Jahr. Zurückgeblickt: Wie ist die Gruppe damals eigentlich entstanden?
Figan und Erdal Macit haben den Namen kreiert, waren vorher aber schon in vielen Bereichen ehrenamtlich tätig. Wir haben dann bei Facebook die Gruppe gegründet, in etwa mit 30, 40 Leuten. An diesem Punkt kam ich erst dazu, weil meine Frau gesagt hatte: „Schau mal, da ist eine Gruppe, der man sich anschließen kann.“
Wir waren auf der Suche, wo wir helfen können. Dann gab es ein Gründungstreffen in der anBar. Dort haben wir überlegt: Was können wir machen? 30 Leute waren da. Heute sind bestimmt noch 15 Leute von damals im harten Kern dabei. Nicht alle 750 Mitglieder bei Facebook sehen wir auch in Natura, aber viele nehmen Anteil. Und wir haben einen harten Kern von Helfern, die viel tun, die anpacken, wo es geht.
Ist die Facebook-Herkunft eine Stärke?
Ja, es gibt viele Beispiele, dass wir schnell helfen können. Eines war ein Hilferuf der Notunterkunft in Vinnum. Die brauchten schnell ganz viele Decken, weil es nachts kalt wurde und viele Leute spontan kamen. Oder an einem Wochenende hatte Vinnum keine Trinkbecher mehr. Über Facebook sind wir innerhalb von 45 Minuten in der Lage gewesen, 300 Becher in ganz Selm zu sammeln. Leute, die dann mit einer Adressliste die Haushalte abgefahren sind. Dann konnten wir denen in der Notunterkunft sagen: Wir sind in einer Stunde mit 100 Decken oder 300 Bechern bei euch.
Das heißt: Auf der einen Seite ist Facebook nützlich. Auf der anderen Seite steht aber das Diffamierungspotenzial, das man auch als Gerüchteschleuder bezeichnen kann: Es wird viel schlechtes erzählt über Flüchtlinge und vieles, was nicht der Wahrheit entspricht...
Ich glaube, wir haben mehr die Vorteile auf unserer Seite – auch wenn wir immer wieder mal Leute dazwischen hatten, der rechtes Gedankengut rausgepostet haben. Wir schauen uns auch die Leute an, die der Gruppe beitreten wollen: Echtes Foto? Echter Name? Und was hat er in der Historie so gepostet? Über die Gruppe konnten wir viele Dinge erreichen. Wir haben Wohnungen eingerichtet, zum Beispiel eine in einer Woche mit Möbeln, Gardinen, Teppichen, einer Küche, den Geräten ausgestattet. Wir haben keine Lagerkapazität, darum fragen wir sowas immer On-Demand an.
Wir sind mit anderen Helfern in anderen Orten wie Waltrop und Lünen vernetzt. Das geht ziemlich schnell, sich da abzusprechen. Beim Kinonachmittag für Kinder sind aus Waltrop dafür mal zehn Kinder dazu gekommen... da wird geschätzt, dass es die Ortsgrenzen nicht gibt. Wir sind unabhängig von Nationalität und Religion, auch jeder Deutsche kann bei uns um Hilfe bitten. Unser Hilfe wird aber in der Öffentlichkeit bisher nicht so stark wahrgenommen. Da gibt es Asylkreise, die einen guten Job machen, die stehen mehr in der Öffentlichkeit.
Was ist denn der Unterschied in der Arbeit eurer Gruppe im Vergleich zu den Arbeitskreisen Asyl Selm, Bork, Cappenberg und Olfen? Gibt es Zusammenarbeit oder Wettbewerb?
Ich möchte keine Grenze ziehen. Alle stehen für die gleiche Sache ein: Menschen in Not zu helfen. Manchmal gibt es auf persönlicher Basis schon mal Reibereien. Es gibt eben nicht „meinen“ Flüchtling und „deinen“. Der eine Flüchtling fühlt sich eben zu dem Menschen, zu dem er Vertrauen hat.
Ein Beispiel: Ein Flüchtling aus dem Südfeld in Bork hat mich gefragt, ob ich ihn nach Dortmund begleiten könnte zum Gespräch beim Bundesamt zum Stellen des Antrags – weil er Angst hatte. Ich fuhr mit ihm hin und saß dann im Wartesaal neben einer Frau vom Asylkreis Bork. Wir haben uns wunderbar unterhalten – sie hatte nämlich zwei Leute dabei gehabt, die von ihr begleitet werden wollten.
Dennoch war das Bedürfnis da, noch eine andere Gruppe zu gründen...
Die Asylkreise kümmern sich vielleicht schwerpunktmäßig mehr um die Menschen in den festen Unterkünften. Wir sind auf diese Leute nicht so festgelegt. Unser Schwerpunkt war die Ausstattung mit Kleidern, auch wenn wir einen etwas schwierigen Start in Bork mit dem DRK als Notunterkunftsleitung hatten. Aber wir haben 1300 Nottüten mit Kleidungsstücken gepackt, haben Vinnum und Lünen mit Kleidung, Spielzeug und anderen Dingen ausgestattet. Da unterscheidet es sich ein bisschen. Aber auch wir bieten Sprachkurse und Hausaufgabenbetreuung an.
Ich bin jemand, der sagt, das wir mit allen zusammenarbeiten und kommunizieren müssen. Der Runde Tisch der Stadt Selm ist da hilfreich. Für den Kinoabend hatte ich dann auch andere Leute eingeladen. Wir haben hier die Schicksalshelferboxen und haben nun abgesprochen, dass man solche Aktionen nicht parallel mit anderen Aktionen fährt, das soll nicht passieren. Wir müssen aber noch etwas enger zusammenarbeiten.
Vielleicht liegt es daran, dass der Handlungsdruck 2015 so groß wurde...
Ja, vielleicht. Das Motiv ist ja überall dasselbe.
2015 gab es an einigen Tagen Blitzmomente der Euphorie. Ist das größte Problem vielleicht der lange Atem? Vielleicht möchten die Helfer irgendwann ihre Freizeit auch wieder individuell gestalten.
Da müssen wir optimistisch sein. Wir hätten ja keinen Verein gegründet, wenn wir denken würden, dass alles abebbt. Wir halten hier eine Flamme am Brennen. Jetzt geht es um die Integration über Deutschkurse. Über Kontakte zu den Familien. Fünfmal haben wir in den vergangenen Monaten unsere Küche zur Verfügung gestellt und große Kochabende gemacht.
Das können sich viele nicht vorstellen. Muss man nicht für so was gemacht sein, um sich das zu trauen?
Ich habe ein großes Interesse an den Kulturen, ich habe ein halbes Jahr in Israel gelebt – das macht mich sicher zu einem guten Kandidaten. Aber ich kann jedem nur sagen: Das macht wahnsinnig Spaß. Man bekommt viel mehr zurück, als man gibt. Man braucht keine Angst zu haben, dass da eine Horde marodierender Menschen über sein Haus herfällt und danach muss man Großputz machen. Nein, die Leute haben die Küche so sauber verlassen, wie sie sie vorgefunden haben.
Im Gegenteil: Das war ganz fantastisch, sehr wertschätzend. Es hat einen wahnsinnigen Spaß gemacht, gemeinsam zu essen – zum Beispiel beim Zuckerfest. Die Gerüche, die Gewürze. Herrlich. Wir hatten im Otantik in Bork ein jesidisches Fest mit Büfett, das hat einen Riesenspaß gemacht – abseits von Sauerbraten, Rotkohl und Knödeln Dinge auszuprobieren und nachzukochen.
Wir hatten in meiner Familie am 2. Weihnachtstag vier Gäste aus Albanien da, die haben ein Riesentablett Baklava gebracht. Das ist so Tradition, das schon vor Weihnachten zum Gastgeber zu bringen. Da kann ich jedem nur sagen: Lasst euch darauf ein!
Über solche prägenden Abende hinaus: Was ist 2016 das Wichtigste für die Schicksalshelfer?
Das Wichtigste ist Integration. Wenn wir über den Wald fliegen und uns ein paar Bäume genauer ansehen, dann ist das ein Treffpunkt: Das wird hier in Bork das Otantik sein, der Geschäftssitz der Schicksalshelfer. Wir wollen einen Treffpunkt, an dem die Menschen wissen: Hier sind sie angenommen. Jede Hautfarbe, jede Nationalität, jedes Alter. Es wird Alphabetisierungskurse und Hausaufgabenhilfe geben, einen Malkurs, ein Nähcafé. Es wird einmal im Quartal ein Event in Form von Kino, einem Ausflug oder anderen Aktivitäten geben. Wir wollen erreichen, dass die neuen Gäste uns wahrnehmen, denn man bekommt ab und zu Geschichten erzählt... da muss man Vertrauen neu aufbauen.
Ich habe einen Freund in Olfen, Mohammed, der mir seine Geschichte erzählt hat. Ich habe ihn gefragt: Mensch, wie kann man diese Geschichte verarbeiten, wie gehst du damit um? Er sagte: „Lutz, it just happens.“ („Lutz, es passiert einfach.“) Er kam mit einem Schlauchboot mit seinem Sohn, ist fast abgesoffen, hat elend viel Geld dafür bezahlt. Jetzt wohnt er in Minden und es geht darum, seine Frau nachzuholen, was sich als schwierig gestaltet. Man bewundert die Menschen, wie sie ihr Schicksal tragen, es stemmen und dabei noch nach vorne gucken. Wie winzig klein sind die Probleme, die wir so haben, dagegen? Den Optimismus der Menschen würde ich mir auch von manchem deutschen Mitbürger wünschen.
Was sagt Lutz Linder denn zu Leuten, die sagen: „Das können wir gar nicht schaffen. Es kommen zu viele.“
Ich sage immer: Das muss die Politik lösen. Es sind zu viele, ja. Es werden auch nicht alle bleiben können, das muss man genau prüfen. Wir haben aber in unserer Geschichte schon viel mehr gestemmt als das. Der klitzekleine Stein ist durch die Syrienkonferenz vielleicht ins Rollen gekommen. Man kann immer nur die Hoffnung haben, dass irgendwann dort wieder Frieden ist.
Wir können den Kopf nicht in den Sand stecken und sagen: „Wir wollen das nicht.“ Wir müssen zusehen, dass wir die Menschen so gut wie möglich integriert bekommen. Ich glaube am Ende, dass es uns mehr nutzt als schadet.
Warum?
Der demografische Wandel wird unsere Orte verändern. Die jungen Menschen fehlen, die Fachausbildungen machen können, die später unsere Rente zahlen. Man weiß ja genau, was passiert, weil die Geburtenzahlen so sind wie sie sind. Die 1 Millionen Menschen, die hierher gekommen sind, wird Einfluss auf diese Kurve haben.
Wenn ich erlebe, wie optimistisch und motiviert die Menschen sind, dann habe ich ein gutes Gefühl. Die Menschen kommen nicht hierher und sagen: Ich will kein Deutsch lernen. Sondern die, die wollen. Die haben teilweise mehr Ehrgeiz als als so mancher, der sagt: Nun, das wird schon irgendwie... Der Schlüssel ist Sprache, ist, zur Schule zu gehen. Das macht mich hoffnungsfroh. Die jungen Leute geben alle Gas.