Das sogenannte Herrenberg-Urteil aus dem Jahr 2022 hat die Rechtslage bei der Beschäftigung von Dozentinnen und Dozenten der Musikschule und der Volkshochschule Selm grundlegend verändert. Was war damals passiert?
Eine Dozentin der Musikschule der Stadt Herrenberg in Baden-Württemberg hatte beim Bundessozialgericht die Sozialversicherungspflicht für ihr Beschäftigungsverhältnis erfolgreich eingeklagt.
Bei der Musikschule und der Volkshochschule der Stadt Selm sind die Dozentinnen und Dozenten bisher im Rahmen von Honorarvereinbarungen als Selbständige tätig gewesen, für die keine Sozialversicherungs-Beiträge zu entrichten waren. Inwieweit das Urteil auf die Honorarverhältnisse der Stadt Selm zu übertragen ist, war zunächst unklar, teilt die Stadtverwaltung mit.
Honorarverträge enden
Rechtssicherheit habe sich nunmehr durch die Prüfung aller Beschäftigungsverhältnisse der Stadt Selm durch die Deutsche Rentenversicherung im Mai 2024 ergeben, heißt es von Seiten der Verwaltung. Und: „Im Ergebnis dieser Prüfung wurde festgestellt, dass für die Beschäftigungsverhältnisse der Dozentinnen und Dozenten der Musikschule sowie für die Dozentinnen und Dozenten in Schulabschlusskursen und Integrationskursen der Volkshochschule Sozialversicherungspflicht besteht.“
Folge: Alle bisherigen Honorarverträge in den genannten Bereichen enden mit dem 31. Juli dieses Jahres. Für zukünftige, ab dem 2. Halbjahr 2024 abzuschließende Verträge ist die neue Rechtslage zu beachten. Und die lautet: „Für diejenigen Dozentinnen und Dozenten, die der Sozialversicherungspflicht unterliegen und die nicht als geringfügig Beschäftigte oder Beschäftigte in der Gleitzone eingestellt werden können, sind Arbeitsverträge nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst auszufertigen. Bedingung hierfür ist eine Ausweisung im Stellenplan. Der Stellenplan ist als Bestandteil des Haushaltsplans durch den Rat zu beschließen.“

Und da beginnen die Probleme. Denn der Beschluss zum Haushaltsplan 2024 der Stadt Selm inklusive Stellenplan und Haushaltssicherungskonzept ist voraussichtlich frühestens am 15. August zu erwarten. Im Anschluss erfolgt die Vorlage beim Kreis als zuständiger Aufsichtsbehörde zur Genehmigung. So erläutert es die Stadtverwaltung.
Dem Rat hat sie jetzt folgenden Vorschlag zur Entscheidung vorgelegt: Der Rat solle den Stellenplan ab dem 1. August um fünf Planstellen für Musikschuldozenten und um drei Planstellen für VHS-Dozenten erweitern. Weil die bisherigen Honorarverträge am 31. Juli auslaufen, sollen die neuen Arbeitsverträge zunächst einmal für drei Monate befristet geschlossen werden, damit die Musikschule handlungsfähig bleibt.
„Schmerzhafte Einschnitte“
Da gehen die Probleme weiter. Denn eigentlich sind in der Musikschule sieben Planstellen erforderlich, um den Lehrbetrieb im selben Umfang wie bisher aufrechtzuerhalten. Wobei sieben Planstellen nicht sieben Köpfe sind, sondern auf viele Dozenten aufgeteilt werden. „Die Fachkräfte leisten derzeit 230 Unterrichtseinheiten pro Woche“, erläuterte Benedikt Sträter, Chef des städtischen Fortbildungs-, Kultur- und Sportbetriebs (Fokus) in der Sitzung des Rates am Donnerstag, 27. Juni.
Die vorgeschlagenen fünf Planstellen resultieren aus der derzeit arg angespannten finanziellen Lage der Stadt Selm, mit dem Zwang, bei freiwilligen Leistungen – und die Musikschule ist eine solche – zu kürzen. Kürzungen bei den Lehrkräften bedeuten aber auch Kürzungen im Unterrichtsangebot. Sträter kündigte für diesen Fall „schmerzhafte Einschnitte“ an.

„Not-Operation“
Aus dem Rat kam keine Stimme, die nicht dafür war, dass die Qualität der Musikschule gehalten werden solle. Klaus Schmidtmann (FDP) nannte die von der Verwaltung vorgeschlagenen Stellenkürzungen „eine Not-Operation, um die Musikschule zu retten“. Michael Zolda (CDU) erklärte: „Wir würden damit einer Reduzierung des Angebots zustimmen; das will doch keiner.“
Musikschulleiterin Olga Shonurova appellierte an den Rat, die bestmögliche Lösung und die bestmögliche Bezahlung für die Dozenten zu schaffen.
Angesichts der Wertschätzung für die Arbeit der Musikschule, die von den Ratsvertretern geäußert wurde, schlug Selms Bürgermeister Thomas Orlowski vor, den Stellenplan um sieben statt fünf Planstellen für die Musikschule zu erweitern. Der Rat stimmte bei zwei Gegenstimmen zu. Die Musikschule muss allerdings ein Konzept vorlegen, wie 20 Prozent ihrer Kosten eingespart werden können. Es bleibt bei drei Planstellen für die VHS.
Auf Antrag der CDU-Fraktion prüft die Verwaltung die arbeitsrechtliche Seite. „Handelt es sich tatsächlich um Arbeitsverträge, die in der Vergangenheit immer wieder um ein Jahr befristet wurden, waren diese Befristungen womöglich unzulässig“, erklärt Claudia Mors-Böckenbrink, die CDU-Fraktionsvorsitzende. „Dies hätte zur Folge, dass die Lehrkräfte bereits jetzt unbefristete Arbeitsverhältnisse mit der Stadt hätten.“ Der Bürgermeister sicherte die Prüfung zu.