Haushalt

Über 9 Millionen Euro neue Schulden für Stadt Selm

Kredite brauche die Stadt 2018 nicht aufzunehmen, hatte die Selmer Kämmerin Sylvia Engemann vor einem Jahr gesagt. Der Paukenschlag stand nun auf Seite 31 des Nachtragshaushaltsentwurfs: Bei der Neuverschuldung stehen dort statt 0 Euro satte 9,4 Millionen Euro. Wir erklären, wie es dazu kommen konnte.

SELM

, 10.10.2017 / Lesedauer: 4 min

Das Amtshaus Bork - hier tagt der Rat der Stadt Selm.

Es ist nur ein Nebensatz, der da auf Seite 31 des Nachtragshaushaltsentwurfs steht: „In der mittelfristigen Betrachtung wird es der Stadt Selm nicht gelingen, die in den vergangenen Jahren ,angehäuften‘ Liquiditätsdarlehen wesentlich zu verringern“, heißt es da. Anstatt dass die Kurve, die die Verschuldung der Stadt angibt, nach unten führt oder, wie ursprünglich für 2018 geplant, stagniert, schnellt sie jetzt nach oben.

Vor einem Jahr war Kämmerin Sylvia Engemann noch von 20 Millionen Euro weniger Schulden im Jahr 2021 ausgegangen – dem Jahr, in dem der Stärkungspakt mit jährlichen Zuschüssen des Landes ausläuft. Wie das passieren konnte, haben wir zusammengestellt:

Statt 0 Euro Neuverschuldung sieht der Nachtragshaushaltsplan 9,4 Millionen Euro vor. Warum? „Wir hatten den Doppelhaushalt Ende 2016 aufgestellt“, sagt die Kämmerin unserer Redaktion. Ein solches Zahlenwerk sei nicht in Stein gemeißelt. Sie nennt Beispiele für neue Entwicklungen: 1. dass statt einer Einfach- eine Zweifachturnhalle auf dem Campus-Gelände entstehe, 2. dass der Umbau der Kreisstraße teurer werde, 3. dass die Stadt einen Vier-Gruppen-Kindergarten bauen wolle und 4. dass der Rat den Kauf von acht Häusern an der Kreisstraße befürworte.

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Handelt es sich ausschließlich um Kredite für Investitionen? Ja. Liquiditätskredite für das laufende Geschäft – also für Gehälter und andere Auszahlungen – sind laut Engemann nicht nötig. „Höchstens bei Engpässen von ein, zwei Tagen.“ Diese Kredite hatte die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten aufgehäuft. Ihre Summe wird sich 2021 auf knapp 43 Millionen Euro belaufen. Dazu kommen 65 Millionen Euro Investitionskredite. „Aber dafür bekommen wir auch einen Gegenwert“, so Engemann.

Die Stadt Selm befindet sich im Stärkungspakt. Darf sie überhaupt entgegen der ursprünglichen Planung wieder so tief in die roten Zahlen eintauchen? Nicht ohne weiteres. Engemann muss den Nachtragshaushalt der Bezirksregierung zur Genehmigung vorlegen. Voraussetzung für das grüne Licht aus Arnsberg: wieder ein ausgeglichener Etat. „Das werden wir auch schaffen.“ Das heißt: Die Erträge werden wie erstmals 2016 wieder knapp über den Aufwendungen liegen.

Wie will die Kämmerin angesichts der großen Investitionen auf Pump ein solches positives Ergebnis hinbekommen? Unterm Strich habe sich das Haushaltsergebnis nur um 12.510 Euro verschlechtert, sagt Engemann: angesichts des 78-Millionen-Euro-Etats eine kleine Summe.

 

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Hinter der kleinen Differenz verbergen sich große Verschiebungen im Etat. Welche sind es? Erst einmal zu den positiven Effekten: Die Grundsteuer B fällt immerhin 85.000 Euro höher aus als kalkuliert: kein großer Batzen, aber ein Zeichen, dass der heftige Anstieg des Grundsteuerhebesatzes 2012 von 445 auf 825 Prozentpunkte die private Bautätigkeit nicht erlahmen lassen hat.

Davon geht Kämmerin Engemann auch bei der ebenfalls 2012 als Voraussetzung für den Eintritt in den Stärkungspakt beschlossenen Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzesvon 440 auf 485 Punkte im Jahr 2018 aus. „Das ist verglichen mit anderen immer noch moderat.“

Dass die konjunkturelle Entwicklung gut ist, zeigt das erhoffte Plus von 1,6 Millionen Euro bei der Gewerbesteuer. Was außerdem noch nie passiert ist: Der Kreis Unna senkt die Kreisumlage.

Nun zu den negativen Effekten: Die Schlüsselzuweisungen werden um mehr als eine halbe Million Euro sinken. Steigen werden dagegen die Aufwendungen unter anderem für das Verwaltungspersonal. Den größten Brocken machen aber die sogenannten Transferaufwendungen aus: also nicht erstattete Leistungen für die Jugendhilfe oder für Asylbewerber. Diese Leistungen, die mehr als die Hälfte aller städtischen Ausgaben ausmachen, steigen fast um eine Million Euro.

Wieviel Eigenkapital hat die Stadt? Gar keins seit 2011. Es ist nur noch von negativem Eigenkapital die Rede. Immerhin wird das dunkelrote Minus allmählich heller.

Was wird aus dem Schuldenberg? Ob sie schon einmal über eine Altschuldenübernahme durch das Land nachgedacht habe, fragte am Donnerstag bei der Ratssitzung Maria Lipke (UWG). Bei einem solchen Schuldenschnitt geht es darum, einen „Schnitt unter die Schulden“ zu machen, also einen Teil zu erlassen. „Ich würde mir das bei den Liquiditätskrediten wünschen“, so Engemann am Montag gegenüber unserer Redaktion.

Selm investiert trotz Überschuldung. Ist das sinnvoll? "Investitionen können sinnvoll sein, wenn dadurch die Attraktivität der Stadt für Einwohner und Unternehmen steigt", erklärt Lars Holtkamp, Professor für Politik und Verwaltung an der Fernuniversität Hagen. "Sonst drohen weitere Abwanderungen mit Steuerausfällen."

 

 

Unsere Redakteurin Sylvia vom Hofe kommentiert:

Etwas instinktlos

Das war ja auch fast zu schön: Trotz Überschuldung investiert Selm kräftig, baut an so vielen Stellen gleichzeitig wie nie zuvor und schafft es dabei auch noch, erstmals seit 1994 wieder schwarze Zahlen zu schreiben. Ein Musterbeispiel dafür, dass sich Städte selbst aus dem finanziellen Sumpf ziehen können, wenn man sie nur etwas unterstützt – ein Stärkungspaktmärchen, wie inzwischen feststeht.

Denn der lange aufgetürmte Schuldenberg wird nicht kleiner. Jetzt den Schuldenschnitt zu fordern, scheint da die einzige und zudem bequemste Lösung zu sein. Im selben Atemzug aber kräftig neue Schulden zu machen, ist jedoch etwas instinktlos.

Wie beides zusammenpasst, müssen die Politiker den Bürgern erklären. Nur so gelingt es, trotz der Rückschläge zu begeistern für kreative Stadtpolitik in Zeiten knapper Kassen: ein Verdienst nicht nur einzelner Entscheider, sondern aller Selmer – erkauft durch schmerzhafte Steuererhöhungen.