Gottfried von Cappenberg hat zwar vor 900 Jahren gelebt. Der letzte Spross des mit Staufern und Saliern verwandten, mittelalterlichen Adelsgeschlechts ist aber auch vielen Menschen im 21. Jahrhundert noch bekannt. Weil Straßen und Schulen seinen Namen tragen. Weil die Geschichten von seinem Kriegszug nach Münster, der Zerstörung des Doms und seiner Reue schon Kita-Kinder kennen. Und weil der Besuch der von ihm gegründeten Stiftskirche sowohl für Touristen aus dem Ruhrgebiet als auch aus dem Münsterland zum Pflichtprogramm gehört. Das hat unter anderem damit zu tun, dass sie den dort ausgestellten weltberühmten Goldkopf sehen möchten, das legendäre Geschenk, das einst Kaiser Barbarossa seinem Paten Otto gemacht hat, Gottfrieds Bruder. Dennoch: Der Ritter und Heilige und seine Zeit geben immer noch Rätsel auf. Einmal im Jahr werden einige davon gelöst. Am Donnerstag (28. September), 19 Uhr, ist es wieder so weit.
Anlässlich des zwölften Mittelalter-Vortrags in der Stiftskirche Cappenberg wird die Historikerin Dr. Margit Mersch in der Stiftskirche referieren. Das Thema lautet: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist …“ – Mensch und Umwelt im Mittelalter“. Anders als bei fast allen anderen vorherigen Vorträgen geht es nicht um Macht und Politik oder Kunst und Religion. Die Lehrkraft der Ruhruniversität Bochum nimmt die Umwelt in den Blick. Was haben Gottfried und seine Zeitgenossen gegessen, wie war das Wetter, und wie sah die Landschaft aus? Das sind Fragen, die nicht nur helfen, den damaligen Alltag zu illustrieren, sondern auch an die aktuellen Herausforderungen durch Umweltzerstörung und Klimakrise anknüpfen.
Dass Eingriffe in die Natur Folgen haben, erlebten auch schon die Menschen im Mittelalter. Flutkatastrophen, Erdbeben, Bergstürze und Sturmfluten, sowie Hungersnöte in Folge von verhagelten Ernten lasen sie aber in der Regel als natürliches Zeichen Gottes an die Menschen, als Warnung oder Strafe für Fehlverhalten. Allerdings ahnten auch schon die Menschen damals, dass es nicht ausreiche, sich an Gott zu wenden, wenn sie sich nicht darum bemühten,
sich selbst zu helfen. Das erklärt die Eingriffe in die Umwelt: etwa den Bau von Deichen und Dämmen an der Nordsee, um dem Wüten des Meeres etwas entgegensetzen zu können.
Kleine Eiszeit wirkte global
Gottfried von Cappenberg hatte in seinem nur 30 Jahre währenden Leben das Glück, in einer warmen Periode zu leben. Für die Zeit von 1250 bis 1450 konstatieren Umwelthistoriker einen deutlichen Rückgang der
Temperaturen und einen Trend zu deutlich kälteren Wintern. Sowohl 1306 als auch 1323 soll es möglich gewesen sein, über die zugefrorene Ostsee mit einem Schlitten von Rostock nach Dänemark zu fahren. Eis gab es vor 700 Jahren auch auf der Nordsee: alles Hinweise auf die sogenannte Kleine Eiszeit, die damals begann und das Klima der folgenden 400 Jahre bestimmen sollte: „ein global nachzuweisendes Phänomen, das einen unzweifelhaften Einfluss auf die Gesellschaft und die Umwelt hatte“, wie in dem von Margit Mersch herausgegebenen Band zu lesen ist: „Mensch-Natur Wechselwirkungen in der Vormoderne. Beiträge zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Umweltgeschichte“.

Der Wald konnte sich in dieser Krisenzeit wieder erholen. Denn dem hatten bereits Gottfrieds Zeitgenossen und ihre Kinder und Kindeskinder kräftig zugesetzt. Sie hatten ihn nicht nur für wachsende Siedlungen gerodet, sondern auch für Weidezwecke genutzt und ihr Vieh hineingetrieben. Insbesondere Schafe, die auch Rinde fressen, schädigten den Wald. Dass die Kleinbauern zudem das auf dem Boden liegende Laub als Streu für ihr Vieh nutzten, machte es noch schlimmer. Am Ende des Hochmittelalters war der Wald in Mitteleuropa auf unter 20 Prozent Flächenanteil und damit auf das geringste je erreichte Maß in historischer Zeit geschrumpft.
Bier war Alltag, Zucker Luxus
Ob es Gottfried schmeckte oder nicht, ist nicht bekannt. Fest steht: Das Wild des Waldes galt bei den Menschen seiner Zeit als barbarisch. Im Hochmittelalter bevorzugten die Menschen Lammfleisch, erst im Spätmittelalter Schweine- und Rindfleisch - vorausgesetzt, man hatte das Geld, sich Fleisch zu leisten. In Notzeiten mussten auch schon mal Katzen als Braten herhalten, wie in Merschs Sammelband nachzulesen ist. Vor allem die arme Bevölkerung ernährte sich ganz fleischlos mit Brei aus Hafer oder Gerste und Hülsenfrüchten.
Das Weizenbrot galt indes als Sinnbild für einen gehobenen Lebensstil. Als geradezu luxuriös galt Zucker. Wer ihn sich leisten konnte, sparte bei festlichen Anlässen nicht damit. Die bewusste Überzuckerung von Speisen war, ähnlich wie die übertriebene Anwendung von Pfeffer und anderen exotischen Gewürzen, Ausdruck von Reichtum. Bier zu trinken, war dagegen nichts Besonderes. Es war das am weitesten verbreitete Getränk. Wasser hingegen galt als schädlich. Vermutlich war es das auch, wenn gerade keine Quelle sprudelte und die Menschen es wie in Cappenberg aus Brunnen förderten.
Der Rotary-Club Kaiser Barbarossa Selm wird sauberes Wasser und Wein servieren im Anschluss an die eineinhalbstündige Zeitreise ins Mittelalter. Der Eintritt kostet 15 Euro. Karten gibt es an der Abendkasse. Karten-Vorbestellungen per Mail unter kontakt@der-pate-des-kaisers.de

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