Im Altarraum der 900 Jahre alten Stiftskirche Cappenberg ist es eng geworden. Denn dort - zwischen dem Kirchenschiff für die Gemeinde und dem geschnitzten Chorgestühl - stehen plötzlich zwei Altäre: das noch gut versteckte Ergebnis einer aufsehenerregenden Transportaktion.
Wer das im Eigentum des Landes Nordrhein-Westfalen befindliche „Baudenkmal von europäischem Rang“ betritt, sieht die Veränderung nicht auf den ersten Blick. Auch nicht auf den zweiten. Denn der fast tonnenschwere Neuzugang steht hinter dem aktuellen tragbaren Altar und wird von ihm verdeckt. Man muss schon den Seiteneingang zu der rundum sanierten Kirche benutzen und vor dort den Chorraum betreten, um den neuen Altar zu sehen. Viel zu erkennen gibt es aber dabei nicht.

Einen Meter hoch und 1,20 Meter breit ist der Quader, der seit Freitag (28. 7.) dort steht. Seine Konturen sind weich und unregelmäßig, was nicht verwunderlich ist. Denn er ist dick eingepackt in weißen Baumwolltüchern.
Pater Dr. Joachim Hagel, der Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Cappenberg-Langern, wacht streng darüber, dass niemand der Gäste, die einen Gottesdienst besuchen oder das bedeutsame Gotteshaus besichtigen, auf die Idee kommt, unter das Tuch zu schauen. Denn das werde erst am Sonntag (13. 8., 15 Uhr) gelüftet. Dann findet das statt, was bundesweit inzwischen Seltenheitswert hat: eine Altarweihe.
Abwärtsstrudel bei Mitgliedern
Die katholische Kirche in Deutschland steckt im Abwärtsstrudel. Allein 2022 waren es 522.000 Menschen, die der katholischen Kirche den Rücken zukehrten: ein neuer Negativrekord, der manche schon von Erosion sprechen lässt. Leer stehende Kirchen werden umgenutzt oder abgerissen, auch im Bistum Münster.
87 Kirchen hat das Bistum bereits als Gottesdiensträume aufgegeben und entwidmet, die meisten davon nach dem Jahr 2000. Wie das Generalvikariat dem katholischen Online-Magazin Kirche und Leben mitteilte, waren bis Mitte 2022 im Kreisdekanat Coesfeld, zu dem auch das Dekanat Werne gehört mit Werne, Selm, Lünen und Cappenberg, sechs katholische Kirchen abgängig: darunter St. Konrad in Werne (2018 abgebrochen) und St. Josef in Selm (2016 abgebrochen bis auf den Turm).
Das Entweihen kirchlicher Räume steht weit und breit wesentlich häufiger auf der Tagesordnung als das Weihen. Entsprechend selten gibt es Altarweihen - wie die nun bald folgende in Cappenberg.
Jahrhunderte alter Ritus
Der viele Jahrhunderte alte Ritus mit Wasser, Feuer und Balsam sei „etwas ganz Besonderes“, sagte Pater Dr. Philipp Reichling. Der ehemalige Pfarrer von Cappenberg ist Kunsthistoriker und war Vorsitzender des Cappenberger Preisgerichts, das im Frühjahr den neuen Altar unter fünf Wettbewerbsbeiträgen ausgewählt hatte. Durch die Vorstellung des Siegerentwurfs des Künstlerduos Arnold und Eichler ist bekannt, was die weißen Tücher noch verbergen: eine rechteckige Stahlröhre mit 20 Millimeter dünnem Rand, die von außen schlicht dunkel ist, von innen heraus aber geheimnisvoll schimmert dank eines außergewöhnlichen Lilien-Musters aus Blattgold.
Nur wenige - darunter auch die Künstler, Hannes Arnold und Klaus-Dieter Eichler aus Heroldsberg bei Nürnberg - waren dabei, als das Kunstwerk des 21. Jahrhunderts in das mittelalterliche Gotteshaus Einzug hielt. Mitarbeiter des Steinmetzbetriebs Werner Schlüter aus Drensteinfurt bugsierten den zu diesem Zeitpunkt noch in einer Transportkiste verpackten Altar per Fahrzeugkran durch die Eingangstür der Kirche. Dort wechselte er auf einen Hubwagen und rollte über ausgelegte Matten bis vor die Altarstufen, wo ein Hubgerüst für den nächsten Schritt aufgebaut wurde. Mittels Flaschenzug und Rollwagen auf dem Trägerbalken gelangte der Altar dann zu seinem aktuellen Standort.
Bischof Felix Genn, Abt Albert Dölken und alle Patres der Abtei, die Pfarrer in Cappenberg waren, weihen am Sonntag (13. 8.) den Altar ein. Interessierte sind willkommen.

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