Evri (63) und Helmut (66) Stiller sind Sterbebegleiter in Selm „Lachen mehr als man denkt“

Evri (63) und Helmut (66) Stiller sind Sterbebegleiter: „Lachen mehr als man denkt“
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Evri Stiller (63) hat den Stuhl neben das Bett gezogen. So wie sie es immer macht, wenn sie den Mann besucht. Seit ein paar Wochen kommt sie regelmäßig, um ihm und seiner Frau Gesellschaft zu leisten. Der Mann wird sterben, das ist sicher.

Evri Stiller unterhält sich mit seiner Frau, möchte nach einiger Zeit schließlich gehen und berührt den Mann zum Abschied. Sie spürt kalte Haut. Der Mann muss gestorben sein, während sie sich mit seiner Frau unterhalten hat.

Evri Stiller steht diese Szene noch immer lebhaft vor Augen, wenn sie davon erzählt. Es war das erste und bislang einzige Mal, dass sie dem Tod eines Menschen beigewohnt hat. Dabei ist sie schon seit rund zwöllf Jahren als ehrenamtliche Sterbebegleiterin in der Hospizgruppe Olfen Nordkirchen e.V. tätig. Sie und ihr Mann Helmut leisten sterbenden Menschen Gesellschaft und sorgen dafür, dass sich diese auf ihrem letzten Weg nicht allein fühlen müssen.

Zunächst ist wichtig: Sterbebegleitung ist nicht Sterbehilfe. Das erklärt Dieter Niechcial (68), zweiter Vorsitzender der Hospizgruppe. Unter Sterbebegleitung versteht man den Beistand für Menschen, die in absehbarer Zeit sterben werden. Die Sterbebegleiter besuchen sie und verbringen Zeit mit ihnen. Sie führen Gespräche, trösten sie, aber vor allem: Die Sterbebegleiter hören zu. Sind einfach da.

Eigene Krankheit war Motivation

„Ich bin seit etwa zwölf Jahren als Sterbebegleiterin ehrenamtlich tätig“, erzählt Evri Stiller. „Damals war ich selbst sehr krank und habe mich viel mit dem Thema Tod und Sterben auseinandergesetzt.“ Nachdem sie die Krankheit überstanden hatte, hat sie sich weiterhin mit dem Sterben beschäftigt. „Ich wollte anderen Menschen, die in dieser Situation sind, helfen.“ Daraufhin absolviert sie einen Kurs zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin.

Bianca Krumminga ist Koordinatorin in der Hospizgruppe und unter anderem für die Organisation zuständig. Sie bringt die Sterbenskranken und die ehrenamtlichen Sterbebegleiter zusammen. „Es ist wichtig, dass die Begleiter charakterlich mit den Sterbenden zusammenpassen“, sagt sie. „Die Zeit, die den Sterbenden bleibt, ist zu kurz, um sie mit jemand Unpassendem zu verbringen.“

Die meisten Menschen möchten in ihrer gewohnten Umgebung, beispielsweise in ihrem Zuhause, sterben. Dafür gibt es die ambulante Sterbehilfe.

Eine Person hält die Hand eines sterbenden Menschen.
Bei der Sterbebegleitung ist vor allem die Nähe zum Sterbenden wichtig. Die Hand zu halten zu kann eine große Unterstützung sein. © picture alliance / dpa

„Der Sterbende spürt die Nähe“

„Es hat etwas Berührendes, bei den Sterbenden zu sein“, sagt Helmut Stiller. Er selbst ist seit drei Jahren in der Sterbebegleitung tätig, nachdem seine Frau Evri ihn dazu gebracht hatte. „Der Mensch spürt, dass jemand in der Nähe ist und ihn begleitet. Wenn wir die Hand deines Sterbenden halten, spürt der Mensch das, auch wenn er nicht wirklich ansprechbar ist. Dann kommt eine Reaktion darauf zurück, vielleicht möchte der Mensch das auch nicht und zieht seine Hand weg.“ Dann sei wichtig, nicht aufdringlich zu sein, sagt Helmut Stiller. Seine Frau nickt bestätigend.

Auch wenn beide Eheleute in der Sterbebegleitung tätig sind, arbeiten sie immer getrennt. Für eine sterbende Person ist nämlich meistens nur eine Begleitung vorgesehen. „Nur in Ausnahmefällen gehen wir aber auch zu zweit zur Begleitung“, sagt Bianca Krumminga. „Wir haben einmal zu zweit einen jungen Familienvater begleitet, der an Krebs erkrankt war. Das war sehr emotional für uns. Die Familie hatte sich gerade ein Haus gekauft. Eine Sterbebegleitung hat sich um den Vater gekümmert, die andere um Frau und Kinder.“ Denn nicht nur für die Sterbenden sind solche Begleitungen wichtig. Auch Angehörige profitieren oft von dem Ehrenamt. Sei es durch Entlastung oder Gespräche mit der Sterbebegleitung.

Helmut und Evri Stiller stehen vor einem Symbol der Hospizgruppe Selm Olfen Nordkirchen.
Das Ehepaar Evri und Helmut Stiller arbeitet seit Jahren ehrenamtlich als Sterbebegleitung. © Jan Weffers

Menschen blühen wieder auf

Das Thema Tod und Sterben wird in der Öffentlichkeit oft als Tabuthema behandelt, über das man nicht spricht. Zu schlimm und traurig sei es, um darüber zu reden. Evri und Helmut Stiller stellen klar: Sterbebegleitung ist eine ernste Arbeit, aber keinesfalls eine traurige. „Viele Sterbende wollen sogar lachen“, sagt Evri Stiller. „Wir merken selbst immer wieder, wie die Menschen aufblühen, wenn wir sie besuchen.“ Dieter Niechcial ergänzt: „Bei uns gibt es intern mittlerweile den Spruch: ‚Wenn der Hospizverein kommt, geht es bergauf.‘“ Denn oft hätten die Betroffenen zuvor genau das schmerzlich vermisst: Besuche, Gespräche, Lachen.

Helmut Stiller spricht voller Respekt über die Menschen, der er in seinen drei Jahren bisher begleitet hat. „Ich durfte viele faszinierende Menschen kennenlernen, die mir ihre Geschichte erzählt haben. Und oft denke ich mir hinterher: ‚Mit diesem Menschen hätte ich mich gerne noch länger unterhalten.‘“

Evri und Helmut Stiller nehmen viele Erfahrungen mit nach Hause, wenn sie von einer Sterbebegleitung kommen. Die Gedanken, die sie eventuell mit sich tragen, legen sie jedoch ab, wenn sie durch ihre Tür treten. „Man sollte nicht mehr darüber nachdenken, wenn man schlafen geht“, sagt Helmut Stiller. Deshalb bietet die Hospizgruppe alle drei Monate eine Supervision an, bei der sich die Ehrenamtlichen über ihre Erfahrungen austauschen können. Notfalls kann auch eine Auszeit genommen werden.

Befähigungskurs ist notwendig

Um als Sterbebegleitung zu arbeiten, gibt es Voraussetzungen. „Wer als Sterbebegleitung arbeiten möchte, muss zunächst einen Befähigungskurs machen, der ein halbes Jahr dauert“, erklärt Bianca Krumminga. „Dann können wir erkennen, ob die Person für eine solche Arbeit geeignet ist.“

„Im Schnitt begleiten wir jährlich etwa 60 Sterbende“, sagt Dieter Niechcial. „Aktuell verfügt die Hospizgruppe über 44 ausgebildete Sterbebegleiterinnen und Sterbebegleiter.“ Anfang April wird in Bork ein stationäres Hospiz aufmachen. Wenn das Team des ambulanten Hospizdienstes bereits zuhause oder im Altenheim eine Sterbebegleitung aufgenommen hat, wird sie sie auch fortsetzen, sobald der Patient oder die Patientin ins Hospiz verlegt wird. „Es sollte sich niemand in so einer Situation noch an eine neue Kontaktperson gewöhnen müssen“, sagt Niechcial.

Dem zweiten Vorsitzenden der Gruppe ist es wichtig zu wiederholen, dass die Sterbebegleitung durch den ambulanten Hospizdienst eine ehrenamtliche Arbeit ist. „Deshalb nehmen wir auch kein Geld dafür an. Viele Menschen können das gar nicht glauben, weil heutzutage fast alles etwas kostet. Es ist in den Köpfen der Menschen drin, dass nichts mehr umsonst ist.“ Tatsächlich finanziere sich die Hospizgruppe über die Krankenkasse und Spenden.

Ein Ende sehen Evri und Helmut Stiller für ihr Ehrenamt noch lange nicht. „Wir wollen Menschen noch so lange begleiten, wie es geht“, sagt Helmut Stiller. „Bis wir keine Kraft mehr haben.“

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