Es war schon beeindruckend, wie bunt und aufwändig die Eröffnungsfeier der Special Olympics World Games in Berlin am Samstag, 17. Juni, war. Beim Auftakt der Wettbewerbe von Athletinnen und Athleten mit geistiger und mehrfacher Behinderung hatte auch ein Mann einen Auftritt, der hier in unserer Region als heimischer Rapper „Sittin‘ Bull“ bekannt ist. Das Wörtchen „Sittin‘“ (englisch: sitzend) bezieht sich darauf, dass der Rapper - der Lüdinghauser Dennis Sonne - seit einem Unfall 2004 querschnittsgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Sonne sitzt auch für Bündnis90/Die Grünen im NRW-Landtag. Was der Auftritt für ihn persönlich und zwei seiner politischen Schwerpunktthemen - Inklusion und Barrierefreiheit - bedeutet, hat der 39-Jährige im Interview verraten.
Wie ist der Auftritt in Berlin zustande gekommen?
Das Künstlerkollektiv „Phase7“ aus Berlin war mir wegen anderen großen Veranstaltungen bereits bekannt und daher hat es mich sehr gefreut, als ich im Februar einen Anruf erhielt und gefragt wurde, ob ich Lust habe bei den Special Olympics World Games im Berliner Olympiastadion aufzutreten. Das erste, was man als Abgeordneter mit einem vollen Terminkalender macht ist zu schauen, ob an diesem Tag etwas Parlamentarisches ansteht. Das war zum Glück nicht der Fall und ich konnte zusagen.
Was war es für ein Gefühl, vor so vielen Menschen im Stadion und an den Bildschirmen aufzutreten?
Ich muss gestehen, das habe ich erst relativ spät realisiert. Am Freitag vor der Eröffnungsveranstaltung haben wir eine Generalprobe im Olympiastadion durchgeführt. Selbst da war es mir noch nicht klar. Am Tag der Veranstaltung selbst, als sich das Stadion füllte, wurde mir bewusst, dass das eine richtig große Nummer wird. Zuvor habe ich das irgendwie ausgeblendet. Mehr als 50.000 Besucher im Stadion und dazu noch die TV-Ausstrahlung in 190 Ländern der Welt. Ich war textsicher und habe mich einzig und alleine auf die acht Minuten Auftrittszeit konzentriert. Die vielen Menschen und starken Emotionen haben mich allerdings gut abgelenkt.

War das der bisher größte Auftritt als Rapper?
Einen größeren Auftritt hatte ich nicht und werde ich voraussichtlich auch nie wieder haben. Solche Stadien füllen große Bands, wie Coldplay, Die Ärzte oder Miley Cyrus. Und genau daher ist das alles immer noch surreal für mich. Das größte Publikum hatte ich bisher bei dem Wingsforlive Worldrun in Wien. Da waren es aber „nur“ 5000 Menschen.
Was ist die Botschaft des Songs, den Sie gerappt haben?
Der Song heißt, wie der Slogan der Special Olympics World Games „Unbeatable together“, also gemeinsam unschlagbar. Die Botschaft ist es niemals die Flinte ins Korn zu schmeißen, selbstbewusst durchs Leben zu gehen (oder zu rollen) und sich anderen anschließen um gemeinsam unschlagbar zu sein. Ich habe im Text ein paar selbstironische Zeilen, wie „They call me sushi cause i´m on a roll“ aber auch ein paar Zeilen bei denen es einfach nur abgeht und die Menschen motiviert werden „It´s Berlin calling, are you there!?“. Gemeinsam mit den extrem klaren und tollen Stimmen von Jennifer Kothe und Koffi Missah, bekannt aus Starlight Express und Cats und der Blue Man Group ist dieser Song eine tolle Botschaft für Inklusion. Für alle Menschen!
Ein Rapper im Rollstuhl, der bei den Special Olympics rappt: Welche Chancen liegen in diesem Auftritt für Ihre politische Arbeit?
Bei meiner Arbeit geht es seit Jahren darum die Menschen von Inklusion und Barrierefreiheit zu überzeugen. Das ist ein Gewinn für die Gesellschaft, egal ob man mit Barrieren lebt oder nicht. Jeder hat etwas von Barrierefreiheit und Inklusion. Ich habe nie einen Menschen getroffen, der sich über Handläufe bei Treppen, über Aufzüge oder elektrische Türöffner beschwert. Dazu ist es noch ein Menschenrecht und gilt schnellstmöglich umzusetzen. Alle Menschen gehören in die Mitte der Gesellschaft, das baut Vorurteile ab und hilft letztendlich allen. Natürlich habe ich diesen Auftritt auch genau dazu genutzt, um zu zeigen was möglich ist aber auch um auf Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen. Es gibt viele talentierte Menschen. Nicht nur in künstlerischen, sportlichen oder politischen Bereichen.
Welche Chancen liegen für Sie persönlich in diesem Auftritt?
Ich kann das jetzt auf meiner Bucket-List abhaken, was aber nicht heißen soll, dass ich das nicht wiederholen würde. Dieses Gefühl auf der Bühne zu sein und von so vielen Menschen die Aufmerksamkeit zu spüren war umwerfend. Die Menschen haben verstanden was wir ihnen als Musiker mitgeteilt haben. Das hat sich in der Stimmung des Publikums widergespiegelt. Ich schaue jetzt gelassen in die Zukunft und schaue was passiert.

Seit 2004 sitzen Sie im Rollstuhl. Haben Sie sich daran gewöhnt oder ist da immer noch Hoffnung, den Rollstuhl eines Tages verlassen zu können?
Die Hoffnung muss darin liegen, die Welt so zu schaffen, dass alle Menschen in ihr ohne Barrieren leben können. Wenn wir also daran arbeiten unser Umfeld barrierefrei und inklusiv zu gestalten, gibt es für viele Menschen gar keine Gründe mehr aufgrund einer Mobilitätseinschränkung im gesellschaftlichen oder beruflichen Leben diskriminiert oder ausgegrenzt zu werden. Schaffen wir doch einfach eine Welt, die jeden Menschen teilhaben lässt, so wie er ist. Die technischen Möglichkeiten dazu haben wir, so dass Bus, Bahn, Schulen, Kindergärten, Schwimmbäder, der Arbeitsmarkt usw. barrierefrei erreichbar sein könnten. Allerdings müssen wir die Vorteile erkennen. Und dafür arbeite ich. Auch mit diesem Auftritt.
Als Betroffener haben Sie einen direkten Einblick: Haben sich in den vergangenen 20 Jahren die Rahmenbedingungen politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich für Menschen im Rollstuhl verändert?
In den vergangen 20 Jahren ist viel passiert. Seit 2009 hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet diese umzusetzen. Darauf folgte 2017 das Bundesteilhabegesetz, welches im Sinne der UN-BRK mehr Selbstbestimmung schaffen soll. Ich lebe seit dem Jahr 2004 selbst mit Behinderungen und habe noch sehr gut im Kopf, wie es zu der Zeit war. Nicht großartig anders als heute. Es waren weniger Menschen mit Mobilitätseinschränkungen auf Konzerten und Festivals. Das hat sich, laut meiner Wahrnehmung, schon verbessert, da sich mehr Menschen mit Behinderungen zutrauen auf Konzerte zu gehen und das ist ja auch gut so. Der demografische Wandel spricht aber dafür, dass wir in ein paar Jahren deutlich mehr Menschen mit altersbedingten Behinderungen haben. Daher gilt es keine Zeit zu verlieren und dafür zu sorgen, dass sich Barrierefreiheit durch alle Bereiche zieht. Dafür kämpfe ich politisch auf Landesebene in NRW und musikalisch seit Samstag scheinbar international.

Wie können Menschen, die nicht im Rollstuhl sitzen, zur Verbesserung der Situation von Menschen, die im Rollstuhl sitzen, beitragen?
Was die Politik, auch aufgrund meiner Arbeit, aktuell lernt und immer mehr versteht, ist, dass wir zum einen vielfältige Parlamente benötigen, da wir auch in einer vielfältigen Gesellschaft leben. Zum anderen sind partizipative Instrumente notwendig, wie zum Beispiel die Schaffung von politischen Gremien in den Kommunen. Es gibt in fast jeder Kommune Seniorenbeiräte und das ist ja auch wichtig, um den politischen Ansprüchen der älteren Gesellschaft gerecht zu werden aber das gleiche gilt für Behindertenbeiräte oder Jugendparlamente. So können die Experten in eigener Sache selbst politisch aktiv sein, ohne selbst einer Partei beizutreten und sich selbst für eigene Belange und Sichtweisen einsetzen.