Straßenlaternen, Hausbeleuchtungen und Leuchtreklamen machen die Nacht zum Tag, auch im Münsterland. Lichtverschmutzung überstrahlt viele Sterne am Nachthimmel und bereitet Tieren Probleme.
Zum Ende des Jahres wandert der Blick der meisten Menschen noch einmal häufiger in den Himmel als sonst. Wenn am Silvesterabend das neue Jahr farbgewaltig, laut, spektakulär begrüßt wird und der Nachthimmel für ein paar Stunden hell erleuchtet ist. Dabei ist der Nachthimmel auch an den anderen 364 Tagen im Jahr erleuchtet. Nicht taghell, aber so, dass Experten von Lichtverschmutzung sprechen. Schuld an dem immer schlimmer werdenden Problem ist der Mensch. Straßenlaternen leuchten bis tief in die Nacht und Häuserfassaden werden rundherum mit hellen LED-Außenbeleuchtungen bestrahlt. All das sorgt für eine künstliche Aufhellung des Nachthimmels.

Dieses Foto von Wolfgang Zimmermann ist von Anfang Oktober. Entstanden ist es zwischen Selm und Bork, Blickrichtung Norden. © Wolfgang Zimmermann
Wolfgang Zimmermann (63) steht am Wegesrand der Luisenstraße/Ecke Haus-Berge-Straße. Vor sich aufgebaut hat der Borker Hobby-Astrofotoraf ein Stativ auf dem seine Spiegelreflexkamera montiert ist - eine Canon Eos 80D, mit einem speziell modifizierten Weitwinkelobjektiv ausgestattet. Das filtert einen Teil des Lichtspektrums heraus, um kristallklare Fotos von Galaxien, Sternen und Gaswolken im Weltall machen zu können. Seit 2006 beschäftigt sich Wolfgang Zimmermann mit der Astrofotografie. Er verbringt Abende und Nächte damit, spektakuläre Himmelsobjekte zu fotografieren, die teils Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Fotos von riesigen Gaswolken sind seine Spezialität.
An diesem Abend kurz nach Weihnachten will Zimmermann aber die Lichtverschmutzung rund um Selm dokumentieren. Je nach Himmelsrichtung mache sich das Phänomen stärker bemerkbar. „Besonders deutlich wird es in Richtung Süden“, sagt der 63-Jährige und blickt in Richtung einer sogenannten Lichtglocke über dem Horizont. Wie eine leuchtende Kuppel liegt sie über dem nahen Ruhrgebiet. Es ist das Licht Hunderttausender. Lüner, Dortmunder, Waltroper sind die nächsten, die bis ins Münsterland strahlen. Aber auch über der Selmer Innenstadt ist von Zimmermanns Standort aus eine solche Lichtglocke am Horizont deutlich zu erkennen. An diesem Abend sogar noch etwas stärker als in sternenklaren Nächten, weil eine dünne Wolkendecke in höheren Himmelsschichten hängt. Sie reflektiert das Licht großflächig. Besonders gut sichtbar wird das auf Zimmermanns Fotos.

Wolfgang Zimmermann ist seit 2006 Hobby-Astrofotograf. © Sylvia vom Hofe
Der Borker schaltet seine Stirnlampe ein. Sie wirft rotes Licht auf die Kamera. Rotes Licht beeinträchtigt die Dunkelanpassung der Augen nicht, erklärt Zimmermann. Er stellt die Belichtungszeit auf fünf Sekunden und drückt den Auslöser. Statt einer tiefdunkelblauen Farbe, den man mit dem bloßen Auge sieht, bekommt der Himmel auf Zimmermanns Bildern einen goldgelben Schein. „Die untergehende Sonne ist das definitiv nicht mehr“, sagt der 63-Jährige beim Blick auf die Uhr. Es ist kurz nach 18 Uhr.

Ein Nebelkomplex im Sternbild Orion mit dem Pferdekopfnebel. Nach solchen Motiven hält Astrofotograf Wolfgang Zimmermann mit seiner Kamera am Nachthimmel Ausschau. © Wolfgang Zimmermann
Für den Astrofotografen bedeutet das, dass Objekte in Horizontnähe eigentlich kaum fotografierbar sind. Zumindest von diesem Standpunkt aus. Der Kontrast zwischen Stern und Himmel sei zu schwach, zu verwaschen durch das helle Licht. Je näher Richtung Zenit, also seknkrecht in den Himmel, desto klarer würden die Fotos, erklärt der Hobby-Astrofotograf. Unter einem Winkel von 25 bis 35 Grad fotografiere er nicht.
Lichtverschmutzung beeinträchtigt die Tierwelt und den Menschen
Besonders stark ist die Lichtverschmutzung in Dortmund. „Dortmund gehört bundesweit neben Köln, Düsseldorf und Frankfurt zu den am stärksten durch Lichtverschmutzung betroffenen Regionen“, sagt Thomas Quittek, Sprecher des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Dortmund.
Für Astronomen und Astrofotografen ist das Thema Lichtverschmutzung ein Ärgernis. Aber nicht nur für sie ist die künstliche Aufhellung des Nachthimmels problematisch. „Lichtverschmutzung hat Auswirkungen auf Insekten, bestimmte Leuchten ziehen sie an. Vögel werden in ihrem Schlaf-Wachrhythmus und im Zugverhalten gestört, Menschen bekommen Schlafprobleme. Auch der Klimaschutz ist durch den erhöhten Stromverbrauch gefährdet“, fasst Quittek zusammen.
Wolfhard Koth-Hohmann, Mitglied des Nabu Dortmund, sagt, dass im Tierreich vor allem nachts fliegende Insekten von der Lichtverschmutzung betroffen seien. Darunter viele Nachtfalter- und Käferarten wie beispielsweise der Maikäfer. Auch Nabu-Mitglied Volker Heimel sieht Insekten als bedroht an. „Vor allem Glühwürmchen reagieren negativ auf Licht“, sagt er.
Insekten kleben am Licht der Straßenlaternen
Das liegt daran, so erklärt es Koth-Hohmann, dass die Insekten sich nachts an weit entfernten Lichtquellen wie dem Mond orientieren. Eine Straßenlampe wird daher oft von Insekten spiralförmig umflogen. Entweder verbrennen sie dort oder sie seien dazu gezwungen, sich in der Nähe der Lichtquelle aufzuhalten – was am Rand einer Laterne selten ein geeigneter Ort zur Fortpflanzung ist. „Dies dürfte einer der Gründe für den mittlerweile hinlänglich dokumentierten Schwund fliegender Insekten sein“, sagt Koth-Hohmann.
Bestimmte Fledermausarten, sagt Volker Heimel, werden außerdem von den rot leuchtenden Lampen der Windkraftanlagen angezogen und verenden dort. Die Fledermaus gehöre neben vielen anderen Tierarten auch zu den scheuen Waldbewohnern, die aus hell erleuchteten Stadtgebieten vertrieben werden.
Auch Vögel sind betroffen, sagt Koth-Hohmann: „Wenn das Revier eines Singvogels nachts durch Kunstlicht stark beleuchtet wird, kann er bereits im Winter sexuell aktiv werden. So wurden in der City mehrfach schon im Februar brütende Amseln beobachtet.“ Als Folge könnten die Vögel ihren Nachwuchs nicht mehr ausreichend ernähren.
Milchstraße ist über Selm mit bloßem Auge kaum zu erkennen
Ein ständiger Begleiter bei den nächtlichen Foto-Aktionen von Wolfgang Zimmermann ist das SQM-Messgerät - ein kleines, schwarzes Kästchen in Fernbedienungsgröße, das, in den Himmel gerichtet, einen SQM-Wert (Sky Quality Meter) angibt. „22 ist der Höchstwert“, sagt Zimmermann. Je näher an der 22, desto dunkler ist der Himmel. An seinem Standort zwischen Selm und Bork misst er einen Wert zwischen 18 und 20. Das sei zwar nahe am Höchstwert, aber trotzdem kein wirklich gutes Ergebnis, so Zimmermann weiter.
Denn schon jetzt ist die Milchstraße auch über Selm mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Zimmermann kann sie sehen, auf seinen Langzeitbelichtungsaufnahmen. Wer sich einen Überblick über das Ausmaß der Lichtverschmutzung verschaffen will, kann die „Light Pollution Map“ nutzen. Hier sind die Regionen entsprechend gekennzeichnet.
Sternenpark nahe Fulda bewahrt „unverschmutzten“ Nachthimmel
Während das Ruhrgebiet hierzulande den Nachthimmel aufhellt, gibt es in der Rhön in der Nähe von Fulda das Projekt „Sternenpark Rhön“, mit dem der „unverschmutzte“ Nachthimmel geschützt werden soll. „Im März 2015 gründete sich der Verein Sternenpark Rhön e.V., um den Sternenpark nachhaltig zu stärken, mit Leben zu füllen und um das Kulturgut Sternenhimmel den Menschen wieder näher zu bringen“, heißt es auf der Internetseite des Vereins.

Der Sternenhimmel über Schloss Cappenberg: Wolfgang Zimmermann stellte uns diese Aufnahme aus einer lauen Septembernacht mit "Star trails" zur Verfügung. © Wolfgang Zimmermann
Unter den Astrofotografen in der Region gebe es aber auch immer wieder Hinweise auf besonders dunkle Ecken. Eine liege zum Beispiel zwischen Capelle und Ascheberg, weiß Wolfgang Zimmermann.