„Wenn du heute nicht kommst, dann hole ich dich ab.“ Das sagte eine Freundin, die damals bei der frisch gegründeten Selmer Tafel half, im Januar 2009 zu Fenna Kurz (Name von der Redaktion geändert). Zwei Monate zuvor war ihr Mann gestorben. Ein halbes Jahr vorher waren die beiden in eine neue, altengerechte Wohnung gezogen. Dann starb er. Seitdem Fenna Kurz zum ersten Mal in der Selmer Tafel einkaufte, kommt sie jeden Freitagmorgen – seit über 14 Jahren. Ihren Namen möchte die 78-Jährige trotzdem nicht in der Zeitung lesen.
Kartoffeln, Gemüse, Obst, Butter, Milch, Wurst, Brot und manchmal auch Kuchen bekommt Fenna Kurz bei der Tafel. Drei Euro muss sie für den wöchentlichen Einkauf zahlen. „Aber fordern gibt es bei mir nicht“, sagt sie. Als die Waren während der Corona-Pandemie knapp wurden, kam sie nur noch jede zweite Woche.
„Die ersten Male war es komisch“
Über 100 Menschen kommen jede Woche zur Ausgabe ins Gemeindehaus der evangelischen Kirche am Markt in Selm. Weil zeitgleich auch der Wochenmarkt in Selm stattfindet, wurde der Eingang irgendwann auf die Rückseite verlagert, dann stehe niemand auf dem Präsentierteller. Auch Fenna Kurz fühlte sich anfangs nicht wohl dabei, zur Tafel zu gehen. „Die ersten Male war es komisch, aber die Scham geht weg“, sagt sie.
Die 78-Jährige arbeitete früher in einer Nähfabrik, pflegte dann zu Hause ihre Eltern und trug vor ihrer Rente Zeitungen aus. Eine geringe Rente berechtigt genauso zum Einkauf bei der Tafel wie der Beleg, dass man Bürger- oder Wohngeld bekommt. Immer wieder schaffen es auch aber Menschen, über die Grenze zu klettern und nicht mehr für die Tafel berechtigt zu sein. „Manche von ihnen verabschieden sich aus Dankbarkeit richtig bei uns“, sagt Heike Hoppe, ehrenamtliche Koordinatorin der Ausgabestelle.
Über 30 Ehrenamtliche
Ute Schwenzfeier steht auf der anderen Seite des Ausgabentisches. Sie und Fenna Kurz kennen sich nach all den Jahren. Vom Gesicht kenne die Tafel-Mitarbeiterin eigentlich alle Kunden, viele auch mit Namen. Sie weiß genau, wer etwa als Muslimin oder Muslim kein Schweinefleisch isst oder wer einfach keinen Joghurt mag. Ute Schwenzfeier betont: „Die Menschen, die hier herkommen, kaufen ein wie in jedem anderen Laden auch.“
Als die 67-Jährige vor sechs Jahren in Rente ging, sei ihr zu Hause schnell die Decke auf dem Kopf gefallen. Über einen Bekannten kam sie dann zur Selmer Tafel. „Ich bin froh hier, zu sein, es ist ein schönes Ehrenamt“, sagt sie. Auch Fenna Kurz könnte sich eigentlich gut vorstellen, selbst bei der Tafel mitzuhelfen, das lasse ihre Gesundheit aber nicht zu. Die 78-Jährige läuft mit Hilfe eines Rollators.
Rund 30 Ehrenamtliche helfen gerade bei der Tafel in Selm mit. Genau wie die Kundinnen und Kunden kommen sie aus Selm, Bork oder auch Cappenberg. „Insgesamt hatten wir aber schon 124 Helferinnen und Helfer“, sagt Heike Hoppe.

Wichtiger Treffpunkt
Die Waren werden der Selmer Tafel aus Unna zugeteilt. Den Wocheneinkauf können die Lebensmittel zwar nicht ersetzen, aber: „Das ist auch gar nicht die Tafelidee“, erklärt Hoppe. „Es soll ein Zuschuss sein und es soll nichts weggeworfen werden.“ Das lernte auch Ute Schwenzfeier schnell. Die 67-Jährige schmeiße seit ihrem Ehrenamt bei der Tafel viel weniger weg. Stattdessen schneide sie die schlechten Stellen häufig einfach ab.
Damit nicht alle Kunden gleichzeitig kommen und lange in der Schlange stehen, gibt es in Selm ein Rotationssystem: Die regelmäßigen Kunden wurden in vier Gruppe aufgeteilt und haben ein Zeitfenster von 15 Minuten. So ist jeder mal als erstes dran. Fenna Kurz ist in der gelben Gruppe. Sie durfte dieses Mal zwischen 10.15 und 10.30 Uhr ihre Lebensmittel abholen. Trotzdem gibt es vor der Selmer Tafel manchmal lange Schlangen. Auch Fenna Kurz kommt immer eine Dreiviertelstunde vorher. Aber vor allem, um sich mit den anderen Menschen zu unterhalten. Dafür bleibe während der Ausgabe oft keine Zeit.
Für die alleinstehende Rentnerin stehen hier neben der Essensabholung auch die sozialen Kontakte im Fokus. So geht es vielen. Konflikte gebe es hingegen nur ganz selten. Im Gegenteil: „Menschen mit russischem Migrationshintergrund halfen beim Übersetzen für die vielen Ukrainer, die neu hinzukamen“, sagt Heike Hoppe.
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