Selmer Hof: Architekt Gryczan-Wiese plant Erhalt Genossenschaftliches Wohnen und Bürgerkneipe

Selmer Hof: Architekt plant Wohngenossenschaft und Bürgerkneipe
Lesezeit

Willi Gryczan-Wiese (73) ist in Selm-Beifang geboren. Seitdem er denken kann, kennt er den Selmer Hof: das Stadtbild prägende Eckgebäude zwischen Kreisstraße und Brückenstraße. Seit 1914 war es ein Treffpunkt für Selmerinnen und Selmer. Zuletzt hatte die Eigentümerfamilie die Gastwirtschaft nur noch zu besonderen Anlässen geöffnet. Seit Juli 2023 gar nicht mehr.

Familie Bock hat angesichts der hohen Betriebskosten und der schwierigen Personallage einen Schlussstrich gezogen. Etwas, das Willi Gryczan-Wiese befürchtet hat. Der Stadtplaner und Architekt hat die Initiative ergriffen und sich bereits Gedanken gemacht über eine mögliche Zukunft des Hauses und seine weitere Nutzung. Das Ergebnis, zu dem er gekommen ist, hat er in ersten Gesprächen auch der Familie Bock vorgestellt und die Chance bekommen, sein Konzept voranzutreiben. Um es umsetzen zu können, braucht es nämlich mehr Menschen, die von der Idee begeistert sind.

So sieht es ein erster Entwurf vor: Wer von Norden blickt, würde auf den Neubau mit den Appartements schauen.
So sieht es ein erster Entwurf vor: Wer von Norden blickt, würde auf den Neubau mit den Appartements schauen. © Steinhoff

Wohnen und Bürgerkneipe: Beides soll künftig mit dem Namen Selmer Hof verbunden sein. Gryczan-Wiese setzt auf Modernisierung, Umbau und Neubau. Dabei hat er nicht nur den Selmer Hof selbst in den Blick genommen, sondern auch das angrenzende, mittlerweile leere Grundstück an der Brückenstraße. Dort hatte bis 2017 ein Wohn- und Geschäftshaus gestanden, das lange Quelle-Laden und Bastelgeschäft war. Unterm Strich sollen 20 bis 30 Appartements (40 bis 70 Quadratmeter) entstehen. Und das Gasthaus soll als Bürgerkneipe erhalten werden. Um diese Vision umzusetzen, setzt Gryczan-Wiese auf ein Instrument, mit dem er andernorts bereits gute Erfahrungen gemacht hat, das aber in Selm noch neu ist: die Gründung einer kleinen Genossenschaft.

So könnte es funktionieren: Jeder, der Mitglied der Genossenschaft wird, zahlt laut Gryczan-Wiese eine Einlage, deren Höhe sich nach der Größe des Wohnraums bemisst. Damit sichert er oder sie sich ein lebenslanges Wohnrecht und Mitbestimmung. Diese Einlagen sollen den finanziellen Grundstock bilden für den Kauf der Gesamtfläche und für die Bauarbeiten. Dazu kämen Kredite einer Genossenschaftsbank und die langfristigen Mietzahlungen n aus den Bestandsgebäuden.

Gesamtfläche als Ganzes sehen

Denn das steht für Familie Bock fest: Wenn sie verkaufen würden, dann nur die Gesamtfläche, zu der neben dem Selmer Hof und der Freifläche an der Brückenstraße auch die Bebauung an der Kreisstraße gehört mit Action-Markt, Bäckerei, einer Praxis und einer Wohnung. „Wir sehen die Gesamtfläche als Ganzes. Ein Konzept sollte daher auch die ganze Fläche in den Blick nehmen“, sagt Malte Bock.

Das hat Willi Gryczan-Wiese getan - zusammen mit seinem Architektenkollegen Lothar Steinhoff aus Nordkirchen-Capelle. Erste Entwürfe zeigen einen für moderne Nutzungsansprüche ertüchtigten Selmer Hof - unter anderem ist der Ausbau des Dachgeschosses vorgesehen -, der aber in seiner ortsbildprägenden Gesamtanmutung nicht verändert würde. Daneben: ein Neubau mit hellen, klar strukturierten, barrierefrei zu erreichenden Wohneinheiten und einem gemeinschaftlichen Garten, die über Laubengänge erschlossen werden und eine direkte Verbindung zum Selmer Hof haben. Dieser soll dann als Gemeinschaftsraum dienen und zudem als Bürgerkneipe.

Das Genossenschaftskonzept ermögliche selbstbestimmtes Wohnen von einer besonderen Qualität: „gemeinschaftlich und nachhaltig“, wie der Architekt betont. Etwas, das es in dieser Form in Selm noch nicht gebe. Praktische Beispiele gibt es woanders. Wie so ein Projekt gelingen kann, ist etwa in Münster zu sehen. Seit 2012 wird dort das geschichtsträchtige Haus Coerde im Norden der Domstadt als Wohngenossenschaft betrieben mit Künstlerateliers und Werkstätten, einer Kochschule sowie Biogärtnerei: ein Projekt, das Gryczan-Wiese begleitet hat. „Dabei geht es um mehr als nur wohnen“, sagt er. Diesen Mehrwert sieht er in Selm in der Bürgerkneipe.

Die Idee der Bürgerkneipe

Gryczan-Wiese denkt sich das so: Die noch zu gründende Genossenschaft als künftige Eigentümerin der Gesamtanlage wird den Selmer Hof an einen Verein verpachten. Dieser Verein - Gryczan-Wiese hat mit Anspielung auf die derzeitigen Besitzerfamilie den Namen „Bock auf Kult“ vorgeschlagen - organisiert neben dem Thekenbetrieb auch monatliche Kulturveranstaltungen, Konzerte, Lesungen oder andere Events.

„Ich persönlich sehe in dem Projekt eine Chance für den Selmer Hof“, sagt Malte Bock als Sprecher der Eigentümerfamilie, die den Selmer Hof seit 1955 führte. „Mein Vater und mein Onkel hatten als Betreiber das Motto gewählt ,Das Haus für Gastlichkeit im Herzen von Selm‘ , erinnert er. „Ich würde noch Geselligkeit hinzufügen.“ In vielen Städten fehlten inzwischen Orte, an denen Menschen gesellig zusammenkommen können. „Leider scheitert die Geselligkeit oftmals an der Wirtschaftlichkeit. Eine Bürgerkneipe könnte da vielleicht andere Möglichkeiten bieten.“

Interessierte gesucht

Noch stecke die Idee jedoch in den Kinderschuhen. „Es hat erste Gespräche gegeben, und wir geben der Idee eine Chance, ohne direkt beteiligt zu sein“, erklärt Malte Bock. Willi Gryczan-Wiese sucht daher Interessierte, mit denen er die Überlegungen zur Gründung der kleinen Wohngenossenschaft zum „gemeinschaftlichen Wohnen in überschaubarem finanziellen Rahmen“ vertiefen möchte. Interessierte sollen sich direkt an ihn wenden (Mail: w.gryczan-wiese@wgw49.de oder Telefon: 0173/9762741).

Malte Bock ist gespannt auf die Resonanz. „Wir haben keinen Druck. Wir möchten eine gute Lösung finden, keine schnelle“, wiederholt er, was er bereits sagte, als er die Schließung des Selmer Hofes bekannt gab. Wenn das Interesse für das Projekt nicht da sein sollte oder es sich aus anderen Gründen nicht umsetzen ließe, „werden wir weiter sehen. Wir sind gesprächsbereit, aber die Lösung muss auch passen“.

Netto und dm verwandeln Selmer Hinterhöfe zu Parkplatz: Kreisstraßen-Bebauung sorgt Anwohner

Gryczan-Wiese will für mehr Bürgerbeteiligung kämpfen: Bürgermeisterkandidat im Video-Interview

Selmer Hof schließt nach fast 110 Jahren: Malte Bock: „War ein Zuhause für uns und viele Gäste“