Selmer diskutierten über Umgehungsstraße „Würde die B236 unnötig machen“

Diskussion über Umgehungsstraße: „Würde die B236 unnötig machen“
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Informieren, diskutieren und Feedback einholen. Die Informationsveranstaltung zu einer Neuordnung des Verkehrs in Selm am Donnerstag (27.4.) stand ganz im Zeichen des Austausches. Etwa 80 Selmerinnen und Selmer fanden den Weg ins Bürgerhaus, darunter auch einige bekannte Gesichter aus der Lokalpolitik. Im Zentrum der Diskussion: eine nördliche Umgehungsstraße für die Stadt.

Das Thema beschäftigte die Menschen in Selm bereits vor 20 Jahren – und wird es auch voraussichtlich noch die kommenden 20 Jahre, so die Vermutung vieler Anwesenden. Der „Ur-Selmer“ Peter Nowak – er wurde in der Stadt geboren und lebt hier seit über 60 Jahren – stellte die Idee der Bürgerinitiative (BI) vor, die zur Veranstaltung geladen hatte.

Eine prognostiziert höhere Einwohnerzahl, eine deutlich steigende Menge an Postsendungen sowie der vermehrte Transport von Kleingütern wird künftig für noch mehr Verkehr in Selm sorgen, so die Befürchtung. „Das wird eine höhere Belastung für uns alle sein“, prognostiziert Nowak.

Konkret schlägt die Bürgerinitiative eine Entlastung des Ortskerns vor – durch den Bau einer Verlängerung des Zeche-Hermann-Walls (K44n) in Richtung Norden bis zur Neuen Nordkirchener Straße, von dort weiter bis zur Olfener Straße. „Wir sehen insgesamt die Möglichkeit der Verringerung des innerörtlichen Verkehrs“, so Nowak.

Umwidmung der Bundesstraße

Als Experten hatte die Bürgerinitiative mit Jürgen Busch den Leiter der Abteilung Straßenbau beim Kreis Unna geladen. Er und seine Mitarbeitenden hatten in der Vergangenheit ebenfalls die von der BI vorgestellte Wegeführung als mögliche Route einer Ortsentlastung skizziert.

„Das wäre eine klassische Umgehungsstraße, die die B236 unnötig machen würde“, so Busch. Die Folge wäre eine Umwidmung der Bundesstraße. Im Abschlussbericht des Integrierten Mobilitätskonzeptes der Stadt Selm aus dem Jahr 2022 heißt es zu solch einem Verfahren: „Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich mit einer Herabstufung einer Bundes-, Landes- oder Kreisstraße zu einer Gemeindestraße ändern, bieten einen größeren Handlungsspielraum zur Förderung des Fuß- und Radverkehrs sowie des öffentlichen Verkehrs.“

Die Empfehlung: „Dieser sollte genutzt werden, um den Umweltverbund zu stärken sowie die Aufenthalts- und Lebensqualität in den Innenstädten zu erhöhen.“

Jürgen Busch vom Kreis Unna kennt sich mit Straßenbau aus. Er stand am Donnerstagabend (27.4.) Rede und Antwort.
Jürgen Busch vom Kreis Unna kennt sich mit Straßenbau aus. Er stand am Donnerstagabend (27.4.) Rede und Antwort. © Görlich

Zur möglichen Ortsumgehung selbst sagte Straßenbau-Experte Jürgen Busch: „Das ist dann keine Kreisstraße“ – womit Kreis Unna und Stadt Selm bei der Finanzierung außen vor wären. Bei einer Einstufung als Landes- oder Bundesstraße wäre der Landesbetrieb Straßen.NRW für Planung und Bau der Ortsumgehung zuständig. Für die Finanzierung einer benötigten Ausbaulänge über etwa 6,5 Kilometer rechnet Busch mit einem hohen zweistelligen Millionenaufwand.

„Immer unerträglicher“

„Es geht nicht nur um den Verkehr, sondern auch um die Natur und die Wirtschaft“, merkte Peter Nowak an. Bei den Planungen stehe der Dreiklang aus Mensch, Umwelt und Wirtschaft im Fokus. Mit-Initiator Leonhard Hofmann stellte klar: „Wir wollen den Durchgangsverkehr nach draußen bringen, nicht den Verkehr in Selm verbieten.“ In erster Linie sollten Ortsdurchfahrten verhindert werden, denn: „Für die Leute, die da wohnen, wird es immer unerträglicher.“

In der Diskussion mit den Selmerinnen und Selmern wurde immer wieder die Forderung nach einem Gesamtkonzept laut – was auch die Ersteller des Selmer Mobilitätskonzeptes unterstützen. Der Grund: „Mittel- bis langfristig führt eine Verbesserung des Verkehrssystems in der Regel oftmals zu einer Erhöhung des Verkehrsaufkommens im Gesamtsystem. Dies kann auch die Ortsdurchfahrten betreffen, die eigentlich durch die neue Ortsumfahrung entlastet werden sollten.“

Etwa 80 Selmerinnen und Selmer diskutierten über eine Ortsumgehung für Selm.
Etwa 80 Selmerinnen und Selmer diskutierten über eine Ortsumgehung für Selm. © Görlich

Das Ziel solle daher sein, das Gesamtsystem zu verbessern. Mit der möglichen Konsequenz: „Eine wirksame Reduktion/Unterbindung des Durchgangsverkehrs im Ortszentrum kann in der Regel nur mittels einer Netzunterbrechung auf der kommunalen Straße erreicht werden.“

Bauchschmerzen bei Zählung

Zuletzt sind Gespräche zu einer Ortsumgehung zwischen Kreis und Land an einer fehlenden Datengrundlage gescheitert. Die Ergebnisse einer bundesweiten Verkehrszählung im Jahr 2021 lagen dem Kreis Unna bis zur Veranstaltung am Donnerstag noch nicht vor – obwohl eine Veröffentlichung durch Straßen.NRW bereits für die zweite Jahreshälfte 2022 angekündigt war.

Auch der Kreis selbst habe sich mit etwa 300 Personen an der Verkehrserhebung beteiligt, berichtet Jürgen Busch. „Ich hatte Bauchschmerzen bei der Zählung“, gesteht der Abteilungsleiter. Die wegen der Coronapandemie von 2020 auf 2021 verschobene Zählung sei unter anderem infolge Homeoffice und anderer pandemiebedingter Auswirkungen nicht repräsentativ gewesen, so die Befürchtung.

2019: Prüfauftrag abgelehnt

Die Selmer Ratsmitglieder unter den Zuschauenden, die sich ebenfalls an der Debatte beteiligten, zeigten sich weitestgehend einig, dass eine Umgehungsstraße für Selm durchaus sinnvoll sein kann. Allerdings mussten sie sich der Frage stellen, warum der Rat zuletzt im Jahr 2019 einen Prüfauftrag für eine Umgehungsstraße ablehnte.

Die Antwort der damals Beteiligten: Die Stadtverwaltung – unter der Leitung des heutigen Landrates Mario Löhr – wäre mit diesem Auftrag personell und organisatorisch überfordert gewesen.

Weitere Kritik aus der Zuschauerschaft gab es für die fehlende Anwesenheit der Stadtverwaltung. „Das war mit den Initiatoren so abgesprochen“, teilt Stadtsprecher Malte Woesmann auf Anfrage mit. Vor der Versammlung habe es ein gemeinsames Gespräch mit dem Bürgermeister gegeben, bei dem einvernehmlich beschlossen worden sei, dass die Stadtverwaltung bei der Auftaktveranstaltung noch nicht anwesend ist und erst im weiteren Verlauf beteiligt werde.

Die Initiatoren der Veranstaltung kündigten an, dass sie auch künftig weiter mit den verantwortlichen Behörden im Austausch sein werden. Eine Datengrundlage gibt es nun auch. Die Ergebnisse der Verkehrszählung waren am Freitag (28.4.) auf der Internetseite von Straßen.NRW abrufbar.

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