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Schülerdemo „Fridays For Future“ soll auch in Selm Zeichen setzen
Demonstration
Plakate malen, informieren, organisieren. Das passiert in der Freizeit, die Demo aber in der Schulzeit. „Was bringt Schule, wenn wir keine Zukunft haben?“, fragen Schüler auch in Selm.
Schulen sagen, die Jugendlichen sollen sich politisch mehr engagieren. „Und genau das machen wir jetzt auch“, sagt Maren Lobe, Sprecherin des Jugendnetzes in Selm. Die Aktion „Fridays For Future“ - englisch für „Freitage für die Zukunft“ - ist jetzt auch in Selm angekommen.
Am Freitag, 1. März, sollen auch viele der Selmer Schüler für ihre Zukunft und gegen die Klimakrise demonstrieren. Kommunal und global ein Zeichen setzen. Das ist nämlich Ziel der „Fridays For Future“ Demonstrationen. Schüler interessieren sich sehr wohl für Politik, sagt Maren Lobe.
„Wir wollen zeigen, dass wir insgesamt mit der Politik nicht einverstanden sind und vor allem die Klimapolitik in eine ganz falsche Richtung geht“, so die Sprecherin des Jugendnetzes Selm, die die Demonstration mit dem Jugendnetz in Selm ins Leben gerufen hat.
Schüler werden in der Politik oft vergessen
Denn: Dieselautos zu verbieten und gleichzeitig Kohlekraftwerke bis 2030 in Betrieb zu lassen, „das macht aus meiner Sicht keinen Sinn“, so Maren Lobe. Und auch kommunal wollen die Schüler mit der Demo erreichen, dass sie mehr in die Politik einbezogen werden. „Schüler werden bei so etwas oft vergessen.“
Aber letztendlich seien sie es, die am Ende mit den Konsequenzen leben müssen - nicht die Politiker, die „schon ein paar Tage älter sind“, sagt Maren Lobe.
Die gesamte Protestaktion fing an im Sommer 2018 mit der 16-jährigen Greta Thunberg aus Schweden.
Anstatt freitags in die Schule zu gehen, streikte sie alleine vor dem schwedischen Reichstag in Stockholm. Viele andere Schüler weltweit machten es ihr nach. Bei der Anmeldung der Demonstration bei der Polizei wurde Maren Lobe dennoch erst einmal skeptisch zurückgewiesen, wie sie sagt.
Die Polizei ist informiert und alle Wege sind gesichert
„Die meinten, ob ich nicht wüsste, dass das eigentlich verboten sei, weil die Schüler ihre Schulpflicht verletzen“, erzählte Maren Lobe. Doch sie blieb hartnäckig, und die Demonstration wurde genehmigt.
Am Freitag um 12 Uhr werden Selmer Schüler von der Sekundarschule aus über die Ludgeristraße zum Bürgerhaus laufen. „Alle Wege sind gesichert, und auch die Polizei wird vor Ort sein“, so Lobe. Am Bürgerhaus gibt es ein kurzes Programm, bei dem über Lautsprecheranlagen unter anderem ein Poetry-Slam Text vorgetragen wird.
Ob sie und die Schüler nicht Angst vor Sanktionen haben? „Nein, eigentlich nicht, das ist schließlich eine einmalige Aktion“, sagt Lobe. Sie habe die Schulleitungen der weiterführenden Schulen informiert. Bis jetzt habe sie noch keine Beschwerden seitens der Schulleitung bekommen. Falls den Schülern aber dennoch Strafen drohen, werde das Jugendnetz Selm natürlich helfen.
Offiziell sind Schülerstreiks während des Unterrichts verboten
Laut dem Landesministerium für Schule und Bildung NRW ist „die Teilnahme an einem Schülerstreik während der Unterrichtszeit grundsätzlich unzulässig“. Das und die aktuelle Berichterstattung in den Medien schüchtere viele, vor allem jüngere Schüler, ein. Dennoch rechnet Maren Lobe am Freitag mit rund 300 Demonstranten.
„Damit machen wir einen Punkt ganz deutlich: Was bringt uns Schule, wenn wir keine Zukunft mehr haben?“, sagt Lobe. Was viele vergessen, sei der große Organisationsaufwand, der ausschließlich in der Freizeit stattfinde: Plakate malen, Informationen recherchieren und die ganze Demonstration vorbereiten. „Daher finde ich es - wenn das nicht jeden Freitag passiert - auch völlig okay, wenn die Demonstrationen mal unter der Woche stattfinden“, argumentiert Maren Lobe.
Aktuelle politische Themen - auch in der Schule
Ihrer Meinung nach müsse auch über die Demonstrationen hinaus etwas anderes passieren, und zwar an den Schulen. „Es wäre ja schön, wenn man aktuelle politische Themen auch mal im Unterricht behandeln würde und die Kinder dafür motiviert und nicht nur Gedichte in vier verschiedenen Sprachen analysiert“, so die Sprecherin des Jugendnetzes Selm. Wenn man die Kinder heute nicht für das Klima sensibilisieren würde, dann bemerke man den Fehler erst in 40 Jahren, wenn es schon längst zu spät sei.
Es sei gerade eine Zeit, in der sehr viel über „unsere Zukunft“ entschieden werde. „Ich habe Angst vor dem Klimawandel, dass ganze Landstriche bald nicht mehr bewohnbar sind und dass es bald noch mehr Kriege gibt“, sagt sie. Deswegen muss sich etwas ändern.
Schulen halten sich an Ministeriumsanweisungen
Ganz so einfach, wie es sich das Jugendnetz für Freitag, 1. März, vorstellt, ist es aber nicht. Christiane Kräling-Lietzke, Leiterin der Otto-Hahn-Realschule Selm, hat eine klare Haltung: „Wir haben eine Anweisung des NRW-Schulministeriums. Schüler dürfen nicht für Streikmaßnahmen während der Unterrichtszeit freigestellt werden.“ Daran werden sich die Realschule und die Selma-Lagerlöf-Sekundarschule sowie das Gymnasium halten. Im Falle des für Freitag, 1. März, angekündigten Demonstrationszuges heißt das: „Wer am Freitag unentschuldigt fehlt, verletzt seine Teilnahmepflicht am Unterricht.“ Dann könne es Ordnungsmaßnahmen geben, sagt Christiane Kräling-Lietzke, ohne detailliert zu sagen, was genau darunter zu verstehen ist.
In anderen Städten, darauf weist Ulrich Walter, Leiter des Städtischen Gymnasiums Selm, hin, habe es sogar Bußgelder gegeben. Doch damit rechne er für Freitag, was das Gymnasium angehe, nicht, sagt er auf Anfrage der Redaktion. Das liege an der guten innerschulischen Kommunikation: Er habe in dieser Woche mit der Schülervertretung (SV) gesprochen und den Vertretern erklärt, dass es juristische Gründe gebe, den Schülern nicht zu gestatten, während des Unterrichts an der „Fridays for future“-Demo teilzunehmen.
„Wir sind an den ministeriellen Erlass gebunden. Da gibt es keine Spielräume.“ Wenn Schüler ohne Zustimmung der Eltern im Unterricht fehlen, verletze die Schule ihre Aufsichtspflicht. Aus diesem Grund unterstütze er die Demo-Teilnahme während der Unterrichtszeit nicht.
Thema Klima in den schulischen Anlauf integrieren
„Der Anlass, sich mit dem Thema Klima zu beschäftigen, ist wichtig“, erklärt Ulrich Walter. „Deshalb werden wir sehen, dass wir das Thema in den schulischen Ablauf integrieren.“ Etwa in den Unterricht. Aber auch in die Projektwoche nach den Sommerferien, in der das Thema Klima ein Schwerpunktthema sein soll. Und den SV habe er angeboten, dass SV-Vertreter an einer zentralen Veranstaltung auf dem Dortmunder Friedensplatz stellvertretend für die Selmer Gymnasiasten teilnehmen können, wenn die Eltern der SV-Schüler einverstanden sind.
Kritik an Vorgehensweise des Jugendnetzes
Kritik äußert Walter am Vorgehen des Selmer Jugendnetzes: „Was ist an dem Anliegen so dringend, dass es um 12 Uhr in die Öffentlichkeit gebracht werden muss und nicht nachmittags, also außerhalb der Unterrichtszeit?“ Christiane Kräling-Lietzke bringt einen weiteren Aspekt ins Spiel: „Das Jugendnetz hat uns informiert, das die Demo stattfinden soll. Es gab keine Anfrage oder Bitte an uns, die Schüler für die Demo vom Unterricht zu befreien.“ Ulrich Walter dazu: „Grundsätzlich müssten ja die Eltern einverstanden sein. Das zu organisieren, ist aber in der Kürze der Zeit gar nicht möglich.“
Am Freitag werden die Schulen also womöglich etwas genauer hinschauen, ob, und wenn ja, wer im Unterricht fehlt.
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Contra Schülerdemo während der Schulzeit
So kommentiert Redakteur Arndt Brede:
Die Demopläne gegen die Klimakrise stoßen an Grenzen. Und das ist, bei allem Respekt vor dem Engagement der Jugendlichen, auch gut so. Das Jugendnetz nimmt für sich in Anspruch, ein demokratisch verankertes Recht zu verwirklichen. Doch dabei verkennen die jungen Leute, dass die Schulen und auch die Eltern der Schüler juristisch in der Pflicht stehen. Nämlich dafür zu sorgen, dass die Schüler während der Unterrichtszeit gut betreut werden und nicht zu Schaden kommen.
Warum hat das Jugendnetz die Demonstration nicht besser vorbereitet? Die Schulen lediglich über die Demo zu informieren und auf Unterstützung der Schulleitungen zu hoffen, ist kein Zeichen von guter Kommunikationskultur.
Die Demo muss nicht zwingend während der Schulzeit sein. Auch außerhalb der Unterrichtszeit wäre sie ein richtiges und wichtiges Signal der Jugendlichen. Als demokratisches Mittel. Und auch das wäre gut so. Für uns alle.
Pro Schülerdemo während der Schulzeit
So kommentiert Redakteurin Sylvia vom Hofe
Blaumachen gehört grundsätzlich verboten. Darüber brauchen wir gar nicht zu streiten. Sonst müssten Schulbehörden anfangen, von Fall zu Fall zu urteilen über gute und schlechte Gründe fürs Schwänzen. Über mehr oder weniger unterstützenswerte politische Forderungen. Bloß nicht! Es muss Regeln geben – und es muss den Mut geben, sie gegebenenfalls zu ignorieren. Blaumachen mit ministeriellem Segen wäre kein echter Aufreger. Und nichts, das weltweite Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.
In die Rolle kritischer Demokraten müssen Kinder und Jugendliche hineinwachsen. Dazu gehört es auch, abzuwägen zu lernen, wie viel Engagement richtig ist und wie viel Risiko. Ziviler Ungehorsam ist immer ein schmaler Grat. Schüler, die sich am Freitag entscheiden, trotz des Verbots auf die Straße zu gehen, sollten das mit ihren Eltern besprechen – und bereit sein, notfalls die Konsequenzen zu tragen.
Ich liebe es, auch die unscheinbarsten Geschichten zum Leben zu erwecken – deswegen studiere ich Journalistik an der TU Dortmund und bin begeisterte Lokalreporterin, immer einer interessanten Geschichte auf der Spur.
