Drei Angeklagte in Selmer Schlacht-Skandal geständig Prott selbst „nicht verhandlungsfähig“

Prozess zu Selmer Schlacht-Skandal hat begonnen: Prott selbst „nicht verhandlungsfähig“
Lesezeit

Die Anschuldigungen wiegen schwer: Rund 200 Tiere sollen über den Zeitraum von etwas mehr als drei Wochen im Frühjahr 2021 im Schlachtbetrieb Prott in Selm illegal geschächtet worden sein. Und das auf ziemlich brutale Weise, wie am ersten Prozesstag zu dem Fall am Freitag (1. September) deutlich wurde. Schächten ist das Schlachten von Tieren ohne vorherige Betäubung - eine in Deutschland verbotene Praxis. Nur mit Sondergenehmigung etwa aus religiösen Gründen ist das erlaubt - im Fall Prott lag diese nicht vor. Wegen teilweise massiver Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sind vier Menschen angeklagt: ein ehemaliger Mitarbeiter des Unternehmens Prott, seine beiden Söhne, die aushilfsmäßig dort gearbeitet haben, und der Mann, den sie zur damaligen Zeit ihren „Chef“ nannten - Hubert Prott.

Der fehlte allerdings am Freitag vor dem Amtsgericht in Lünen. Er sei durch eine Krankheit nicht verhandlungsfähig - und das womöglich auch dauerhaft, wie der vorsitzende Richter erklärte. Das Verfahren gegen ihn sei deshalb abgetrennt von dem, was am Freitag in Lünen verhandelt wurde. Eingestellt sei es „noch nicht“, so der Richter, die Staatsanwaltschaft habe dazu noch keine Stellungnahme abgegeben. Das entsprechende Gutachten sei am 23. August eingegangen.

Hubert Prott sei über 80 Jahre alt und an Demenz erkrankt, sagte dann der Anwalt, der seine Tochter in dem Verfahren vertritt. Diese ist zwar nicht angeklagt - ihr wird auch nicht vorgeworfen, gegen das Tierschutzgesetz verstoßen zu haben. Aber sie war zum damaligen Zeitpunkt Inhaberin des Schlachtbetriebes - zumindest juristisch, wie ihr Anwalt sagte. „Faktisch“, so erklärte er weiter, sei Hubert Prott aber Chef gewesen. Das bestätigen seine anwesenden ehemaligen Mitarbeiter: Prott Senior habe die Schlacht-Termine organisiert und die Tiere bestellt. Er sei auch bei den meisten Schlachtungen dabei gewesen.

Nach dem Prozessauftakt am 1. September wird es noch zwei Fortsetzungstermine vor dem Amtsgericht in Lünen geben.
Nach dem Prozessauftakt am 1. September wird es noch zwei Fortsetzungstermine vor dem Amtsgericht in Lünen geben. © Peter Adam

Die Tochter, die beim Prozessbeginn nicht vor Ort war, habe kaufmännische Tätigkeiten übernommen, von den illegalen Schächtungen aber nichts gewusst. Entsprechend habe sie, nachdem sie davon erfuhr, den Mitarbeitern direkt fristlos gekündigt. „Sie distanziert sich von den Vorgängen“, sagte ihr Anwalt. Aber: Als Inhaberin des Betriebes soll sie von dem Vertrieb der geschächteten Tiere - also dem als „halal“ geschlachteten Fleisch - profitiert haben. Die Staatsanwaltschaft fordert von ihr eine sogenannte Wertersatzeinziehung in Höhe von 40.000 Euro.

Söhne halfen mit

Schnell wurde im Prozessverlauf deutlich: Dass es Schächtungen gegeben hat in dem Schlachtbetrieb in Selm, steht nicht wirklich im Zweifel. Die drei anwesenden Angeklagten (alle in Lünen lebend) gestanden das auch. Alle drei sind türkische Staatsbürger. Der Vater lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Eine Ausbildung zum Schlachter hat er nicht gemacht - in seiner Heimat aber praktische Erfahrungen gesammelt, wie er über einen Dolmetscher sagte.

In vielen arabischen Ländern ist das Schächten gängige Praxis. Dabei wird dem Tier die Kehle durchgeschnitten, es muss vollständig ausbluten. Der Verzehr von Blut ist im Islam und im Judentum verboten. Ob auch vor dem Schlachten betäubte Tiere als „halal“ geschlachtet gelten können, ist zumindest umstritten.

Dass das Schächten in Deutschland nicht erlaubt ist, wussten auch die drei anwesenden Angeklagten, wie sie auf Nachfrage des Richters jeweils bestätigten. Dass er einen Fehler gemacht habe und diesen bereue, sagte der erste Angeklagte. Genauso wie seine beiden Söhne, die als Aushilfen bei Prott gearbeitet haben. Zunächst als Gebäudereiniger, dann auch an der Verkaufstheke, die es dort gab. Wenn die Hilfe gebraucht war, so sagten sie, haben sie auch beim Schlachten geholfen. Allerdings haben sie dabei, so sagte es auch ihr Vater, vor allem die Tiere festgehalten - und nicht aktiv geschlachtet, indem sie zum Beispiel einen Kehlschnitt gesetzt haben. Das sei stets der Vater gewesen.

„Schlimmste Tierquälerei“

Das bestätigten auch drei Mitarbeiterinnen des Landesamtes für Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv). Die drei Tierärztinnen hatten das Videomaterial ausgewertet, das die Soko Tierschutz mit versteckter Kamera im Schlachthof über den Zeitraum von etwas über drei Wochen aufgenommen hat. Am ersten Prozesstag sagten sie als Zeuginnen aus. Auf die Frage, was die Videos in ihr ausgelöst haben, sagte eine von ihnen: „Ich kann das überhaupt nicht in Worte fassen. Dass Menschen mit einer derartigen Brutalität Tiere zu Tode quälen...“ Sie habe teilweise nachts nicht schlafen können. „Das ist die schlimmste Tierquälerei, die ich je in meinem Leben gesehen habe.“

Alle Tiere auf den Videos seien mit nicht ausreichender oder mit gar keiner Betäubung getötet worden. Außerdem seien die Zustände dabei chaotisch gewesen - und vor allem nicht dem Tierschutz entsprechend. Die Tiere seien einer stressigen Geräuschkulisse ausgeliefert gewesen, hätten kein Wasser bekommen, elektronische Viehtreiber seien exzessiv eingesetzt wurden. Bei den Kehlschnitten seien teilweise nicht scharfe Messer zum Einsatz gekommen - sodass „nachgeschnitten“ werden musste. In einzelnen Fällen seien Rinder auch mit einem am Hinterlauf festgemachten Seil hochgezogen worden - bei lebendigen Leib, und bevor der Kehlschnitt gemacht wurde. Der Bolzenschuss - eine Methode zur Betäubung - kam wenn dann erst danach. Offenbar um das Schlachten ohne Betäubung zu verschleiern.

„Wie im Horrorfilm“

„Das hört sich ja an wie in einem Horrorfilm“, fasste der vorsitzende Richter die Schilderungen der Lanuv-Mitarbeiterinnen zwischendurch zusammen. Eine Zeugin sagte: „Ich stand früher selbst im Schlachthof und alles, was ich auf den Videos gesehen habe, ist fern von einer normalen Schlachtung.“ Dass außer Hubert Prott keiner der Angeklagten eine Ausbildung als Schlachter hat, sei ihr gesagt worden, sagt die Zeugin. „Selbst wenn man es mir nicht gesagt hätte, hätte ich es nach dem Anschauen der Videos gewusst.“ Es habe an Fachkenntnis und Weitsicht gefehlt bei den Taten.

Immer zu sehen und beteiligt auf den gesichteten Videos seien die drei anwesenden Angeklagten. Hubert Prott sei einmal aufgetaucht, sagt eine Zeugin. Im Hintergrund seien außerdem zwischendurch auch vereinzelt andere Leute zu sehen. Wie der angeklagte Vater erklärt, sei es in dem Schlachthof, in dem er 2012 angefangen hat, auch durchaus üblich gewesen, dass Privatleute geschächtet haben oder dabei waren, wenn er es tat. Wie mit dem Bolzenschuss, also mit der Betäubung, umzugehen sei, da hätte man sich nach den Kundenwünschen gerichtet - der „Chef“ habe die jeweils an ihn weitergegeben.

Weitere Verhandlungstage

An der „Tatbestandsverwirklichung“, wie es der Richter ausdrückt, besteht am Ende des ersten Prozesstages kein Zweifel mehr. Der Umfang der Schuld sei aber noch zu ermitteln. Der Prozess wird deshalb wie geplant fortgesetzt. Es gibt zwei weitere Verhandlungstermine: am 8. September und am 15. September jeweils um 10 vor dem Amtsgericht Lünen (Saal 127). Die Verhandlungen finden öffentlich statt.

Schlachtskandal um Prott in Selm: Eine Chronologie der Ereignisse

Schlachtskandal in Selm: Liveticker vom Prozessbeginn zum Nachlesen: „Wie im Horrorfilm“

Re-Live zum Selmer Schlachtskandal: Fazit zum ersten Prozesstag im Fall Prott