
Antje Wischmeyer in der Borker Kirche St. Trinitiatis. Seit 2014 ist sie in der evangelischen Kirchengemeinde Selm tätig, jeweils zur Hälfte sowohl für Selm als auch für Bork. Jetzt verlässt sie die Gemeinde. © GUENTHER GOLDSTEIN
Pfarrwechsel in Selm: Antje Wischmeyer (61) startet noch einmal neu durch
Evangelische Kirche
Antje Wischmeyer ist 61 Jahre alt und will noch einmal etwas Neues ausprobieren. Der Wechsel zu einer neuen Arbeitsstelle bedeutet für die Selmer Pfarrerin auch eine private Zäsur.
Über den Mut, einen Neuanfang zu wagen, hat sie oft gesprochen. Das gehört dazu, wenn man Pfarrerin ist. So wie Antje Wischmeyer. In diesen Tagen ist das wieder ein Thema für sie. Dieses Mal meint sie aber nicht Noah, Abraham, Paulus oder eine der anderen Figuren aus der Bibel, sondern sich selbst.
Neuanfang: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“
„Ich habe eine neue Stelle angeboten bekommen“, erzählt Antje Wischmeyer an einem sonnigen Tag Anfang Oktober, wenige Stunden, nachdem sie aus ihrem Urlaub auf Kreta zurückgekehrt ist nach Selm-Bork. Zu diesem Zeitpunkt hat sie sich längst entschieden: für die Stelle und für den Neuanfang mit 61 Jahren. „Wenn nicht jetzt“, sagt sie und lacht, „wann dann?“
Auch wenn die gebürtige Tecklenburgerin gerade von ihrer Ferienreise zurückgekehrt ist, dauert der Urlaub noch an. Genau genommen wird sie gar nicht mehr in den Dienst zurückkehren bis zu dem Wechsel: dem Ende ihrer Pfarrtätigkeit in Selm und dem Beginn ihrer neuen Arbeit, die sie viel herumkommen lassen wird. Dass sie so viel ungenommenen Urlaub aufgespart hat, hat auch mit einer längeren Krankenphase in diesem Jahr zu tun. Das sei aber nicht der Anlass gewesen für die selbst gewählte Veränderung, sagt sie, es habe sie jedoch in ihrer Entscheidung bestärkt.

Die Kirche St. Trinitatis in Bork wurde mitsamt angrenzendem Gemeindezentrum umfangreich umgebaut: ein ebenso mutiges wie gelungenes Projekt, wie Pfarrerin Antje Wischmeyer befindet. © GUENTHER GOLDSTEIN
Dabei bedeutet die neue Aufgabe nicht, dass die 61-Jährige künftig kürzertreten und in ruhigeren Fahrwassern unterwegs sein würde. Das erste passt nicht zu ihr. Denn was sie macht, macht sie mit ganzem Herzen und vollem Elan. Und das zweite - ruhige Wasser - gibt es derzeit nicht in der krisengeplagten Zeit, die auch für die evangelische Kirche von Austritten, schwindender Finanzkraft und abnehmender gesellschaftlicher Relevanz geprägt ist.
Pfarrerin bleibt der Dreifaltigkeit treu - in Witten statt in Bork
Antje Wischmeyer bleibt in ihrer neuen Stelle nicht nur sich treu, sondern in gewisser Weise auch ihrer bisherigen Gemeinde. Die neue Gemeinde, zu der sie wechselt, heißt nämlich ebenfalls St. Trinitatis: heilige Dreifaltigkeit - nur künftig nicht mehr in Selm-Bork, sondern in Witten. Sie werde dort zur einen Hälfte für die sogenannte pastorale Grundversorgung - das Feiern von Gottesdiensten und die Glaubensvermittlung - und zur anderen für den pastoralen Dienst im Übergang tätig sein.
Sie berät und begleitet die Gemeinde in einer Zeit des Übergangs, in der die eigentliche, neu auszugestaltende Pfarrstelle noch nicht besetzt ist. Sie selbst, das steht von vornherein fest, kommt als Kandidatin dafür nicht infrage. Sobald sie nach ein oder höchstens zwei Jahren besetzt sein wird, wechselt Antje Wischmeyer in eine andere „Gemeinde im Umbruch". Davon gibt es derzeit einige in der evangelischen Kirche.
Evangelische Kirche in Deutschland im Umbruch
Bis zum Jahr 2060 wird sich die Zahl der evangelischen Kirchenmitglieder in Deutschland in etwa halbieren. Zu diesem Ergebnis kommt die Vorausberechnung „Projektion 2060“. Um diese Generationenaufgabe zu meistern, sind nach Ansicht der Verantwortlichen ein strenger Sparkurs und neue Strukturen nötig.
Die evangelische Kirchengemeinde Selm ist da grundsätzlich keine Ausnahme, aber verliert im Vergleich zu anderen Kirchengemeinden im Kirchenkreis weniger Gemeindeglieder als andere Regionen. Darauf weist Michael Stache hin, der Ständig Stellvertretende Superintendent des Kirchenkreises Dortmund, zu dem auch Selm zählt. Zum Stichtag 31.12.2021 hatte Selm 6.672 Gemeindeglieder.
2016 waren es noch 6.948. 2011 betrug die Zahl 7.564.
Superintendent: Stelle in Selm wird wieder besetzt
Zwar gebe es für Pfarrerin Wischmeyer noch keinen Ersatz. Dass die zweite Vollzeitstelle neben Pfarrerin Hirschberg-Sonnemann wieder besetzt werde, steht laut Stache aber außer Frage: „Die Wiederfreigabe der Stelle ist bei der Landeskirche beantragt. Über das weitere Besetzungsverfahren werden Gespräche mit der Landeskirche geführt.“
„Ich freue mich, dass wir den Umbau und den Anbau hier in Bork so gut gemeistert haben“, sagt die Pfarrerin. Der Schritt, etwas Neues zu wagen, war auch dabei beachtlich. Die Gemeinde hatte sich von dem zu groß gewordenen Gemeindehaus getrennt und auf einen kleinen, modernen Anbau an die Kirche gesetzt. „Das ist wirklich wunderschön geworden“, freut sich Antje Wischmeyer: ein gemeinsamer Neuanfang in der durch Einschränkungen geprägten Corona-Zeit. Gleichzeitig weiß sie aber auch, dass das nicht alle so sehen. Gemeinde sei schließlich auch Heimat. Und da sei jeder Einschnitt und jede Veränderung auch etwas Bedrohliches und Schmerzliches.
Diese beiden Seiten des Neuanfangs - Vorfreude und Ungewissheit, Aufbruch und Abschied - kennt die alleinstehende 61-Jährige gerade nur zu gut. Für sie überwiegt aber aktuell das angenehme Kribbeln angesichts des Schrittes nach vorne. Der führt sie aus dem von der Gemeinde angemieteten Borker Pfarrhaus hinaus nach Aplerbeck. Dort hat sie eine Wohnung gefunden, die ihr gleich sehr gefallen hat. „Und das, obwohl der Wohnungsmarkt gerade derart angespannt ist.“ Aplerbeck liege zentral im evangelischen Kirchenkreis. Von dort könne sie andere Gemeinden leicht erreichen - auch ihre Freunde und Bekannten in Bork.
Den Abschiedsgottesdienst feiert Antje Wischmeyer am Samstag (22.10., 18 Uhr) in der Trinitatis-Kirche Bork, um ihn anschließend zu wagen: den Neuanfang.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
