Dieser Artikel erschien bereits im Jahr 2022: Zum 80. Jahrestag des Angriffs auf die MUNA in Bork haben wir ihn erneut veröffentlicht.
Der Rest von der Tinte ist noch zu sehen an den Händen von Iwan Gulinko. Kurz bevor er die Tafel mit der Aufschrift „Bork 0110“ hochnahm und in die Kamera hielt, musste er für die Kartei seine Fingerabdrücke hinterlegen. Ernst schaut der junge Mann - sein Alter ist nicht überliefert - auf dem Foto, das am 22. August 1943 entstanden ist. Wie 292 andere Frauen und Männer musste er während des Zweiten Weltkrieges seine Heimat in der ehemaligen Sowjetunion verlassen und wurde in Bork zur Arbeit gezwungen - in der Muna.

„In dem weitläufigen Waldgebiet Im Sundern befand sich eine Liegenschaft, die heute noch unter der Bezeichnung Muna bekannt ist. Es war die größte und wichtigste Produktionsstätte für Munition der deutschen Luftwaffe zur Zeit des Nationalsozialismus“, erklärt Fredy Nikolwitz. Er ist Mitglied im Borker Heimatverein und Stadtarchivar in Lünen. Für das neu erschienene BorkBuch hat er einen Aufsatz über die Geschichte der Muna geschrieben. Die dunkle Geschichte der Muna.
Sie beginnt im Jahre 1935 - also zwei Jahre, nachdem in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Sie bauten in Bork auf dem Waldgelände zwischen Bork und Altlünen die sogenannte Luftwaffen-Haupt-Munitionsanstalt, die 1938 den Betrieb aufnahm. „Im Eingangsbereich befanden sich zwei Kasernengebäude als Unterkunft für die Männer der SS, die die Bewachung übernahmen. In weiteren Gebäuden waren die Verwaltungsräume, das Krankenzimmer, die Lohnstelle, die Nähstube und ein Aufenthaltsraum untergebracht“, heißt es im BorkBuch. 1600 Männer und Frauen arbeiteten in der Muna. Hierbei sind die Zwangsarbeiter, die später dazu kamen, nicht mitgerechnet.
Riesiges Gelände
Die Dimension der Anlage beschreibt Fredy Niklowitz eindrücklich: „Östlich des Eingangsbereiches standen zwei Fertigungsanlagen für die Produktion von schwerer Flakmunition, Minen, Leuchtmunition und chemischen Kampfstoffen. (...) Jeweils fünf Hallen waren durch oberirdische Gänge miteinander verbunden. Die Wände bestanden aus starken Mauern. Die Dächer waren leicht konstituiert, damit im Falle einer Explosion der Druck nach oben entweichen konnte. Südlich des Gleisanschlusses zur Eisenbahnlinie Dortmund-Gronau-Enschede befanden sich Packhäuser zum Verpacken und Versenden der Munition, das Material für die Herstellung der Munition lagerte in 18 Hallen. Östlich davon waren 100 Bunker errichtet worden, in denen bis zu 10.000 Tonnen fertiger Munition in Holzkisten bis zum Abtransport an die Front gelagert wurden.“
Der Wald zwischen Bork und Lünen war von den Nazis strategisch gewählt: Die Baumkronen sollten die Anlage so gut es ging verdecken, die Gebäude waren mit Tarnnetzen behängt und die Bunker mit Erde überschüttet und neu bepflanzt. Alles, damit die Alliierten das Lager aus der Luft nicht erkannten und angriffen.

Mit Beginn des Krieges mussten viele der Männer, die in der Muna arbeiteten, an die Front. Frauen und Mädchen wurden verpflichtet, später Soldaten, die nicht mehr frontfähig waren. „Dennoch mangelte es an Arbeitskräften, sodass man auf Fremdarbeiter zurückgriff, die aus den von den deutschen Truppen besetzten Gebieten zunächst angeworben, dann ausschließlich zwangsweise in das deutsche Reich gebracht wurden“, so Fredy Niklowitz.
Vor allem Frauen und Männer aus Polen und Russland mussten nach Bork in die Muna. Das Leben dort war hart. „Der Lagerkommandant war sehr streng, er schlug die Männer für die kleinsten Fehler. Zwei geflohene Russen wurden nach ihrer Ergreifung geschlagen und in eine Grube gesteckt“, heißt es in den BorkBuch.
Hunger war auch ein großes Thema im Lager: „Jeden Tag gab es Steckrübensuppe. An den Werktagen gab es zweimal Essensausgabe, an Ruhetagen nur einmal. Die Essensrationen wurden im Laufe der Zeit weiter rationiert, sodass sich die Bäuche der Arbeiterinnen und Arbeiter aufblähten. Um den qualvollen Hunger zu stillen, durchsuchten sie die Mülltonnen nach Essensresten, einer von ihnen brach mithilfe einer Eisenstange nachts ein Eisengitter im Kellerfenster der Speisebaracke auf. Er stahl Kartoffeln, kochte und verschlang sie. Gegen Mittag des nächsten Tages wurden die Eisenstange unter seiner Matratze entdeckt. Der Lagerkommandant verprügelte den Mann und erschlug ihn mit einer Eisenstange und einem Feuerspaten.“
Bombenangriff 1945
Lange Zeit während des Krieges ist die Muna von den Alliierten wohl nicht als wichtiges Ziel identifiziert worden - wohl auch wegen der Tarnung. 1945 änderte sich das: Zumindest kam es dann häufiger zu Fliegeralarmen über Bork. Am 9. März 1945 griffen alliierte Flieger die Muna zum ersten Mal mit Bomben an. 78 Menschen starben, zwölf von ihnen waren Zwangs-, der Rest Zivilarbeiter. 100 Menschen wurden bei dem Angriff verletzt.
Noch im gleichen Monat gab das Militär die Anstalt in Bork auf. „Damit die Munition nicht in die Hände der anrückenden Alliierten fiel, sprengten die Deutschen die Bunker. Hierbei stürzten die Betondecken ein und begruben die gelagerte Munition. Nach dem Krieg sprengten britische Einheiten große Kampfmittel, die sie noch vorgefunden hatten, im Wald. Durch die unsachgemäße Sprengung wurde Munition in die Umgebung geschleudert, ohne zur Zündung zu kommen. Dadurch sind noch immer weiter Teile der ehemaligen Muna mit Munition versucht. Daher ist der Zugang gesperrt“, erklärt Fredy Niklowitz.

An diese Sperrung haben sich gerade in den ersten Jahren nach dem Krieg nicht alle gehalten - mit teilweise schlimmen Folgen. Mehrere Menschen kamen nach unkontrollierten Sprengungen auf dem Gelände zu Tode. Die lebensgefährliche Umgebung hielt Diebe in den Folgejahren nicht ab. Sie hatten es auf das Metall abgesehen, dass überall zerstreut lag.
Ein weiteres wertvolles Gut aus der Muna ist in Bork fast schon sprichwörtlich geworden: die Muna-Seide. Davon lagen dicke Ballen in der Muna: Der Stoff wurde für die Produktion von Patronen und Fallschirmen benutzt. Wie sich ein Zeitzeuge im Gespräch mit der Redaktion vor ein paar Jahren erinnerte, wurden aus der leichten Seide kleine Pulversäckchen genäht, die in Granaten und Bomben platziert wurde. Ziemlich besonders dabei: Die Seide ist in unmittelbarer Nähe zur Muna produziert worden. In Lünen waren dazu 40.000 Maulbeerbäume gepflanzt worden - eine Anpflanzung zur Seidenraupenförderung. In aufwendigem Verfahren konnte die Seide hier „geerntet“ werden.
Eigentlich sollten mit dieser Seide keine Kleidungsstücke hergestellt werden. Tatsächlich sah das aber anders aus: Als die Muna nach der Aufgabe geplündert wurde, gehörte die Seide zu den begehrtesten Schätzen.
Unglück in der Muna
Durch ein schlimmes Unglück kam die Muna im Jahr 1953 noch einmal groß in die Schlagzeilen. Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes waren gerade dabei das Gelände von der Munition zu reinigen. „Am 3. März 1953 waren zwei Männer damit beschäftigt, einen vom Suchgerät angezeigten Metallkörper in der Nähe eines Baumes aus der Erde zu holen. Heinrich Rotte aus Bork begann mit einer Hacke danach zu graben. Plötzlich stieß er auf einen Gegenstand. Er nahm an, dass es sich hierbei um eine Baumwurzel handelte. Als er die vermeintliche Baumwurzel durchschlug, ereignete sich eine Detonation. Sein Kollege, der das Suchgerät bedient hatte, stand in dem Augenblick etwas abseits, wurde aber durch umherfliegende Splitter verletzt. Im Gegensatz zu Heinrich Rotte überlebte er den Vorfall“, wie im BorkBuch nachzulesen ist.
Zur weiteren Geschichte der Muna heißt es darin: „1951 wurden der Bereitschaftspolizei des Landes Nordrhein-Westfalen rund 50 Hektar der Fläche zur Verfügung gestellt. Die Bundeswehr stellte 1962 auf dem großen Teil des Geländes das Gerätehauptdepot für die 7. Panzerdivision in Dienst.“

Auf einem Großteil des Muna-Geländes ist seit 2013 das Forschungs- und Technologiezentrum Ladungssicherheit (Lasise) untergebracht. Bis heute sind weite Teile des Borker Waldgebiets gesperrt. Auf den Schildern steht: „Munition - Lebensgefahr - Betreten verboten.“
Noch mehr zur Geschichte der Muna und zu eigentlich allem was Borker Historie betrifft, steht im fast 500 Seiten starken BorkBuch, das seit November auf dem Markt ist. Für 30 Euro kann man es an folgenden Stellen erwerben: Bäckerei Langhammer, Blumen Ahland, Schuhhaus Klöpper, Stephanus Apotheke und Lebensmittel vom Hofe.
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