Der Aufschrei im Sommer 2020 war laut, sowohl im Selmer Stadtrat als auch in der Cappenberger Bevölkerung. Damals war bekannt geworden, dass die Erben des Lüner Cola-Abfüllers Karl Ebrecht die beiden geschichtsträchtigen, aber nicht unter Denkmalschutz stehenden Villen an der Borker Straße in Cappenberg durch fast 30 Doppelhaushälften ersetzen wollten. Die Stadt Selm hatte daraufhin eine Veränderungssperre erlassen. Dass eine langfristige Rettung der markanten Häuser aber nur gelingen würde, wenn sich jemand finden ließe, der die Häuser kauft, war den Verantwortlichen klar. Dieser Jemand war Thorsten Redeker, Unternehmer aus Lünen. Ihm hatte der Selmer Rat im März 2022 applaudiert, als er versprach, die Villen unbedingt erhalten zu wollen, wie auch immer. Danach war es aber ruhig geworden um das Vorhaben. Bis zum 23. August 2023.
Thorsten Redeker ist der Chef des Elektro-Unternehmens Redeker Laschinski Wiemann Nachtwey mit Standorten in Lünen-Wethmar, Hattingen, Dortmund und Holzwickede und Inhaber des Unternehmens Fromm und Redeker Wohnbau. Letzteres hat in Cappenberg ein Mehrfamilienhaus am Cappenberger Damm errichtet. Mit den beiden Villen an der Borker Straße wollte der Lüner beides miteinander verknüpfen: die Bewahrung der beiden 120 Jahre alten Gebäude und die Schaffung von modernem Wohnraum durch den Bau von zwei Mehrfamilienhäusern im hinteren Grundstücksbereich. Er werde schon Interessenten finden, die die Villen genauso zu schätzen wüssten wie er selbst, sagte er. Denn die prächtigen Häuser abzureißen, „wäre eine Sünde“. Die Suche nach Käufern erwies sich jedoch als schwierig. Und das hatte nicht nur mit den Herausforderungen einer Sanierung der Gründerzeit-Bausubstanz zu tun.
Gestiegene Zinsen, hohe Inflation und teilweise extrem hohe Materialkosten haben der gerade noch boomenden Baubranche einen empfindlichen Dämpfer verpasst. Manch einer, der sich noch vor zwei, drei Jahren für eine größere Investition interessiert hat, macht inzwischen einen Rückzieher. Im Juli haben laut Ifo-Institut München bundesweit 40,3 Prozent der Unternehmen in der Baubranche über Auftragsmangel geklagt. In diese Krisenstimmung hinein meldet die Fromm und Redeker Wohnbau GmbH den Erfolg, an dem manch einer schon angefangen hatte zu zweifeln.
Redeker: Versprechen eingelöst
„Mit großer Freude und Stolz können wir verkünden, dass unser Versprechen, diese einzigartigen Immobilien in gute Hände zu übergeben, erfolgreich eingelöst wird. „Durch eine sorgfältige Auswahl und intensive Verhandlungen konnten wir zwei Käufer identifizieren, die nicht nur die historische Bedeutung der Villen zu schätzen wissen, sondern auch die Vision und das Engagement mitbringen, diese Schätze zu bewahren und weiterzuentwickeln.“ Herbert Jücker, einer der Käufer, hat noch mehr. Den passenden Beruf.

Der 51-jährige Cappenberger ist nicht nur frisch gebackener Cappenberger Schützenkönig, sondern auch Chef des Bauunternehmens „Bauwelt Jücker“ in Cappenberg und damit ein Experte, wenn es um Umbauen, Instandsetzen und Sanieren geht. Dass er und sein mittlerweile 30-köpiges Team sich auskennen mit historischen Bauten, beweisen sie gerade unter anderem in Selm auf der Baustelle der Burg Botzlar. Ab Oktober werden sie in die älteste Cappenberger Jugendstilvilla ziehen: die Villa Schmieding.
Firmensitz für Bauland Jücker
Sie liegt, von Bork nach Cappenberg kommend, als erste auf der linken Seite der Borker Straße. Dortmunds einstiger Oberbürgermeister Karl Wilhelm Schmieding (1841-1910), in dessen Amtszeit der Bau des Dortmunder Hafens, des Stadthauses und des Kaiser-Wilhelm-Denkmals an der Hohensyburg fielen, hatte sie um 1906 bauen lassen und Waldschmiede genannt. Künftig soll sie als Unternehmenssitz der Bauwelt Jücker dienen.
„Wir werden im Oktober einziehen“, sagt Herbert Jücker. Zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung werden dort ihre Büros einrichten. Für die Kollegen aus dem handwerklichen Bereich, die auf den Baustellen unterwegs sind, wird es Schulungsräume geben. Das ganze Gebäude biete zudem die Möglichkeit, Interessierten konkret zu zeigen, wie ein altes Gebäude modernen Nutzungsbedürfnissen gerecht werden könne. Herbert Jücker will das nach und nach angehen. In zehn Jahren, so viel verspricht er, „wird die Villa glänzend dastehen“. Das ist für den Cappenberger nicht nur eine berufliches Anliegen, sondern auch ein sehr persönliches.
„Echte Herzensangelegenheit“
Schon als kleiner Jungen sei er in der Waldschmiede ein und aus gegangen, weil ein Spielkamerad dort wohnte. Als dessen Familie fortzog, freundete er sich mit anderen Bewohnern an. Er habe wirklich viele schöne Erinnerungen an das Haus. Aber auch andere. Fast direkt gegenüber ist am 21. August 1991 Herbert Jückers älterer Bruder mit dem Motorrad tödlich verunglückt. Eine Tragödie. Und ein Grund mehr, warum der Kauf der Villa für ihn „eine echte Herzensangelegenheit“ ist, wie er es selbst ausdrückt.

Das Nachbarhaus hat weder ein Cappenberger gekauft, noch wird es Unternehmenssitz werden. „Eine Dortmunder Familie wird dort einziehen“, sagt Thorsten Redeker. Die Familie habe sich in das „Hexenhaus“ - benannt nach dem Märchenmotiv auf der Kaminplatte im Wohnzimmer - auf Anhieb verliebt. Viele Ausstattungsdetails - von Holzfußböden bis zu Brokat-Vorhängen - wollten die künftigen Bewohner unbedingt erhalten. Dass die Familie aus Dortmund kommt, knüpft an die Geschichte der Villen an.
Der Dortmunder Oberbürgermeister und VEW-Gründer Karl Wilhelm Schmieding hatte schließlich 1904 die Grundstücke an der Borker Straße in Cappenberg gekauft, um Rückzugsorte für sich und seine Familie zu schaffen. Im Hexenhaus nebenan wohnte sein Schwiegersohn, der Dortmunder Bierfabrikant Julius Overbeck.

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