Wenn die Kommunalpolitikerinnen und -politiker im Selmer Bürgerhaus zu ihren Ausschuss- und Ratssitzungen zusammenkommen, ist da oft Musik drin. Das hat weniger mit den Redebeiträgen der Volksvertreter zu tun als vielmehr mit dem parallel stattfindenden Musikunterricht in den Nachbarräumen.
Manchmal wehen konzertreife Melodien herüber, manchmal eher schräge Tonfolgen. Die Dissonanzen, die bei der jüngsten Sitzung des Kulturausschusses zu hören waren, gingen allerdings nicht auf das Konto der Musikschule, sondern der Politik. Dabei war es gut gemeint.
Fluktuation des Personals
Die Honorarsätze der Musikschule Selm seien 2016 das letzte Mal erhöht worden, sagte Benedikt Sträter, der Leiter des Fortbildungs-, Kultur- und Sportbetriebs Selm (Fokus). Höchste Zeit, die Honorare erneut anzuheben, wie er befand - nicht nur weil der musikalischen Bildung und ihren Wegbereiterinnen und Wegbereitern mehr Wertschätzung gebühre. Sträter nannte auch einen ganz konkreten Grund, der die Stadt zu diesem Schritt dränge: die Personalfluktuation an der städtischen Musikschule.
Gute Kräfte wechselten zu umliegenden Musikschulen, die besser bezahlten. Neue Lehrkräfte, die nachrücken könnten, seien auf dem Arbeitsmarkt kaum verfügbar, da immer weniger Musikstudierende wegen der schlechten Perspektive unterrichten wollten. Ein Teufelskreis - und das in einer Zeit, in der die Stadt tiefer denn je in den roten Zahlen steckt. Sträter hatte aber nicht nur die Forderung nach mehr Honorar mitgebracht, sondern auch gleich einen Vorschlag, wie sich das finanzieren lasse: durch höhere Gebühren.
3 bis 5 Euro mehr pro Monat
Der Instrumentalunterricht soll 3 bis 5 Euro pro Monat teurer werden ab 2023. Der 45-minütige Einzelunterricht etwa wird - die Zustimmung des Stadtrates vorausgesetzt - danach künftig 84 statt 79 Euro pro Monat kosten. Der Gruppenunterricht 36 statt 33 Euro und Ballett 30 statt 28 Euro. Gleichzeitig soll ab Januar 2023 der Honorarsatz steigen: für Instrumentalunterricht (45 Minuten) etwa von 21,60 Euro auf 23,30 Euro und für Tanz von 35 auf 37 Euro.
Unterm Strich ließen sich durch die Gebührenanhebung laut Verwaltung Mehreinnahmen in Höhe von rund 8402,40 Euro erzielen: genau so viel wie nötig wäre, um die Mehrausgaben bei einer Anpassung der Honorarsätze für die Musikschullehrerinnen und -lehrer zu decken: eine Punktlandung mit Schönheitsfehler, wie Margot Berten als sachkundige Bürgerin im Ausschuss befand.
Berten kritisiert Anstieg
„Mich befremdet es, dass die Gebühren erhöht werden müssen, um die Honorare der Lehrenden zu finanzieren“, sagte sie. Gerade in der aktuellen Krisenzeit solle die Kommune die ohnehin durch die allgemeine Teuerung belasteten Familien unterstützen. Berten bezweifelt, dass „ein paar Euro mehr“ - im Fall von Selm werden es ab 2023 1,70 Euro Mehr sein - Musikerinnen und Musiker bewegen werden, die Musikschule zu wechseln. „Die Aussicht auf eine Festanstellung allerdings schon.“ Andere Städte würden sie bieten, Selm allerdings nicht. Und das, obwohl das neue Kulturgesetzbuch NRW genau das vorschreibe.
Nicht nur In Selm sind die Beschäftigten der städtischen Musikschule finanziell deutlich schlechter gestellt als die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Seit Jahren wird die prekäre Beschäftigung von hochqualifizierten Kulturschaffenden beklagt: etwas, dem das Land NRW einen Riegel vorschieben will durch das Anfang 2022 in Kraft getretene Gesetzespaket.
„Das Kulturgesetzbuch definiert, welche Voraussetzungen für eine Projektförderung durch das Land gegeben sein müssen. Ein Kriterium sind fest angestellte und tariflich bezahlte Musikpädagogen und –pädagoginnen“, bestätigt Nikolai Huland, Pressereferent im Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW. Allerdings gibt es einen Haken.
Weder in Selm noch irgendwo sonst sei bekannt, wie sich diese Förderung konkret darstelle, sagte Benedikt Sträter. Konkrete Maßnahmen seien ohne dieses Wissen noch nicht möglich, ergänzte er an Margot Bertens Adresse. Tatsächlich fehle es bislang an Richtlinien, die die Einzelheiten festlegten, bestätigt der Ministeriumssprecher auf Anfrage. Genau das erarbeite das Land Gerade und werde es mit dem Landesverband der Musikschulen und den Kommunalen Spitzenverbänden abstimmen. „Mit der Veröffentlichung dieser Richtlinie ist im Frühjahr zu rechnen.“
Noch ist eine Festanstellung an der Selmer Musikschule die große Ausnahme. Neben der Leiterin der Musikschulen ist nur noch eine weitere festangestellte Fachkraft im Verwaltungsbereich der Musikschule tätig. Immerhin: Durch die Akquise von Fördermitteln aus dem Landesförderprogramm „Musikschuloffensive NRW“ habe die Stadt den Stellenanteile der Musikschulleiterin zum 1. Juni 2022 von 19,5 Wochenarbeitsstunden auf 34 Wochenarbeitsstunden ausweiten können, so Sträter,
Für die Musikschule sind derzeit 23 Lehrkräfte auf Honorarbasis tätig. Viele unserer Lehrkräfte unterrichten sowohl im Kernbereich der Musikschule, als auch in dem vom Land geförderten Bildungsprogramm „JeKits“, welches an allen Selmer Grundschulen angeboten wird und besser bezahlt wird als der qualifizierte Einzelunterricht Im Kernbereich der Musikschule werden derzeit 295 Musikschüler und Musikschülerinnen inklusive Chor, Tanz, Einzelgesangsunterricht, musikalische Früherziehung und den anderen Angeboten unterrichtet.
„Tarifähnliche Bezahlung“
Sträter sieht in diesen Zahlen einen Ansporn: „Ich finde sie zeigen sehr gut, dass unsere Musikschule in Selm sehr geschätzt wird.“ Beim Adventskonzert in der Friedenskirche oder beim Weihnachtskonzert in Cappenberg hätte sich ein breites Publikum an den Darbietungen erfreuen können.
Wann und ob sich die Lehrenden, ohne die das alles nicht möglich wäre, an wirklich besseren Rahmenbedingungen für ihre Arbeit erfreuen können, ist derzeit noch offen. Sträter wertet die zum Jahreswechsel anstehende Anhebung als „ein erster kleiner Schritt“. Ziel sei aber landesweit der Ausbau der festangestellten Lehrkräfte an Musikschulen und eine mindestens tarifähnliche Bezahlung
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