Das künftige Baugebiet Am Hüttenbachweg aus der Vogelperspektive. Vorne: die ehemalige Hofstelle, die Familie Löhr erworben hat, ganz am äußeren Rand des Baugebietes, das sich in Richtung Siedlung erstreckt. © Günther Goldstein

Neubaugebiet in Selm

Landrat Mario Löhr kauft Hofstelle und sorgt damit für Spekulationen

Im Westen Selms entsteht ein Neubaugebiet. Ein künftiger Bewohner steht schon fest: Mario Löhr, der ehemalige Bürgermeister von Selm und jetzige Landrat des Kreises Unna. Das wirft Fragen auf.

Selm/Kreis Unna

, 08.11.2021 / Lesedauer: 4 min

Vor allem für die 200 künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sanitärgroßhandels Cordes & Graefe in Selm sei das 7,2 Hektar große Neubaugebiet gedacht, das die Stadt Selm gerade am Hüttenbachweg ausweist. So hatten Stadtverwaltung und Planungsbüro es angekündigt. Der erste, von dem bekannt wurde, dass er dorthin ziehen will, arbeitet aber nicht in der Logistik-Branche, sondern im öffentlichen Dienst: der frühere Selmer Bürgermeister und jetzige Landrat des Kreises Unna, Mario Löhr. Das sorgt für Spekulationen.

Persönlichen Vorteil gesucht? Löhr widerspricht

„Da verschafft sich in meinen Augen ein Landrat beziehungsweise ehemaliger Bürgermeister aus seinem Informationsvorsprung einen persönlichen Vorteil“, schrieb ein Leser an die Redaktion: ein heftiger Vorwurf. Denn wenn das stimmte, hätte es nicht nur ein Geschmäckle. Vorteilsnahme im Amt wird laut Strafgesetzbuch mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet. Was ist also dran an den Vorwürfen? „Rein gar nichts“, sagt Mario Löhr auf Anfrage der Redaktion. „Natürlich“ äußere er sich zu dem privaten Grundstückskauf. Fragen dazu beantwortete er schriftlich.

Die galoppierenden Preise auf dem Immobilienmarkt und die Verknappung landwirtschaftlicher Flächen lassen Menschen genau hingucken, wenn es um die Ausweisung von Neubaugebieten geht. Westlich der Bahntrasse Dortmund-Enschede mit dem Bahnhof Beifang gab es da zuletzt einiges zu sehen. Äcker und Weiden dort waren erst Bauerwartungsland, dann wieder Ackerland und jetzt doch Bauland.

Rolle rückwärts, um „Wohnen am Auenpark“ zu ermöglichen

Die erste Rolle rückwärts erfolgte nicht ganz freiwillig. Mit den absehbaren Problemen bei der verkehrlichen Erschließung hatte das laut Löhr aber nichts zu tun. „2018 gab es eine Umwandlung des Areals in eine ,Fläche für die Landwirtschaft‘ zugunsten des Regionale-Projektes ,Wohnen am Auenpark‘“, schreibt er. Der Grund: „Nutzung als Tauschfläche, weil Selm gemäß der Regionalplanung einen Überhang an Wohnbauflächenreserven“ habe. Mit anderen Worten: Selm musste das Baugebiet am Hüttenbachweg aufgeben, um eine Genehmigung für das Baugebiet zwischen dem neuen Campus-Platz und dem ebenfalls neu geschaffenen Auenpark zu bekommen: ein zentraler Baustein des von Löhr vorangetriebenen Regionale-Projektes, das Selm nachhaltig modernisiert hat.

Mario Löhr ist Landrat des Kreises Unna (hier bei einer Kreistagssitzung). Der ehemalige Selmer Bürgermeister wohnt mit seiner Familie weiter in Selm - künftig am Hüttenbachweg. © Stefan Milk

Warum dann 2019 die zweite Rolle rückwärts, die die landwirtschaftlichen Flächen doch wieder zu deutlich teurerem Bauland machte? „Wurde die Planung geändert, damit Herr Löhr den Bauernhof kaufen kann“, wie der Leser mutmaßt? Löhr nennt einen anderen Grund. Wieder sei es um eine Entwicklungschance für die inzwischen prosperierende Stadt Selm gegangen. Damals „hatten wir ein Gespräch mit der Bahnflächenentwicklungsgesellschaft (BEG, Essen)“.

Zweite 180-Grad-Wende wegen „Bauland an der Schiene“

Sie habe die Stadt „ermuntert“, die Fläche wieder als Baugebiet zu entwickeln und dafür auf eine andere Wohnbaufläche in gleicher Größe (am Beifanger Weg und an der Funnenkampstraße) zu verzichten. Das entspreche den Kriterien der Landesinitiative „Bauland an der Schiene“: einer Initiative des NRW-Bauministeriums. Dabei geht es laut Ministerium darum, bezahlbares Bauland im Einzugsbereich von Bahn-Haltestellen zu entwickeln. Kommunen, die dabei mitmachen, erhalten eine 50-prozentige Förderung der erforderlichen Rahmenplanungen. „Das macht Sinn auch vor dem Hintergrund einer notwendigen Mobilitätswende“, schreibt Löhr.

Der Kauf der Hofstelle - Löhr selbst spricht von einem Resthof, also einem Bauernhof, der kein landwirtschaftlicher Betrieb mehr ist, - erfolgte im Januar 2021 durch ihn und seine Familie: zu einem Zeitpunkt, als bereits öffentlich bekannt war, dass eine Umwandlung der Flächen von Agrarland in Bauland bevorsteht. Am 4. Juni 2020 hatte der Umweltausschuss der Stadt Selm die Änderung mehrheitlich beschlossen - und die Redaktion hatte auch darüber berichtet. Die betroffenen Grundstückseigentümer in dem Gebiet waren bereits zuvor informiert worden. Die Verwaltung hatte damals mitgeteilt, dass es bei ihnen Bereitschaft gebe zu verkaufen.

Löhr: „Weitere Flächen gehören uns nicht“

Im Besitz welcher Flächen ist Familie Löhr inzwischen? „Meiner Familie und mir gehört der Resthof Kock, weitere Flächen beziehungsweise weitere Höfe gehören uns nicht.“ Frage der Redaktion: „Gehören auch künftige Bauplätze zu dieser Fläche?“ Antwort von Löhr: „Nein.“

Der Resthof im Baugebiet besteht aus mehreren Gebäuden. Nicht alle wollen die neuen Eigentümer erhalten. © Günther Goldstein

Vorwürfe, sich durch das Amt bereichert zu haben, treffen Löhr nicht zum ersten Mal. 2020 hatten ein Lüner und ein Selmer ihn wegen Vorteilsnahme angezeigt: ein Verdacht, der sich laut Staatsanwaltschaft Dortmund aber nicht erhärten ließ. Sie stellte das Verfahren ein - knapp zwei Wochen vor der Stichwahl zum Landratsamt. Dass dennoch Unterlagen in den sozialen Medien kursierten, nannte Löhr damals „ein Mittel, mich als Person zu beschädigen“. Daraus wurde nichts. Löhr erhielt beim entscheidenden Wahlgang kreisweit 61,94 Prozent der Stimmen. In Selm sogar 73,21 Prozent.

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Davon, dass es auch Selmer gibt, die ihm hartnäckig kriminelles Fehlverhalten unterstellen, will sich der gebürtige Werner Mario Löhr von seiner Vorliebe für Selm aber nicht abbringen lassen: „Ich konnte mir schon vor meiner Zeit als Bürgermeister keinen anderen Wohnort vorstellen — das war einer der Gründe Bürgermeister werden zu wollen. Heute als Landrat hat sich das nicht geändert: Selm hat alles, was wir als Familie brauchen und das in bester Lage.“ Der Resthof - aufgrund der Bausubstanz will er „teilweise Gebäude durch neue ersetzen“ - biete „im wörtlichen Sinne den Abstand, den wir ab und an brauchen“. Sein Job bringe „viel Stress“ mit. Und gelegentlich auch Anfeindung.

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